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autobiografie 2.Teil
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 1964 verließ ich Paris und fuhr nach München. Ich fand nach einigen Nächten im  Studentenheim ein Zimmer in der Baumstraße bei meiner lieben Frau Bernecker, und Arbeit bei  Inlingua. Frau Umlauf, die Direktorin der Schule mochte mich und war viele Jahre immer wieder bereit, wenn ich keine Theaterarbeit hatte, mich zu beschäftigen. Ich fand dann auch die Möglichkeit, im Alten Simpel bei Toni Netzle mit einem Chansonprogramm aufzutreten, am Klavier begleitet hat mich Lilo, die später in Paris in der Amerikanischen Bar allabendlich spielte und sich vielleicht aus Gründen der  dortigen Isolation das Leben nahm.    

Auch bekam ich einen Stückvertrag im Münchener Volkstheater für „Liebelei“. Ich spielte die Mizzi Schlager. Die Kritiken waren gut, trotzdem ergab sich daraus kein weiteres Engagement. Manchmal nur der Statisterie ähnliche Filmröllchen. Also immer wieder Deutschunterricht bei Inlingua.

Privat gab es viele schöne Bekanntschaften und schöne Augenblicke.

1968 bekam ich durch Isolde, die gerade nicht abkömmlich war, einen Vertrag für eine 6 – monatige Theatertournee: „Der Schwierige“

Das Zugpferd ist O. W. Fischer. Mit unterwegs sind unter anderen Immi Schell, Alfred Lohner, Christian Futterknecht, Elisabeth Karg, mit der ich von damals bis heute befreundet bin. Wir sind im ersten Teil 3 Monate unterwegs. Da kehre ich dann nach München zurück und wohne bei dem befreundeten Ehepaar Roland und Eliza von Bohr. Roland ist Bildhauer und war Mitglied der Künstlergruppe um Faistauer in Salzburg. Er wurde schon als Kind von seiner Mutter als Vegetarier erzogen und aß selbst als Soldat kein Fleisch. Eliza sagte mir, sie würde sich von Zeit zu Zeit etwas Schinken kaufen, diesen aber nur im Geheimen essen, damit Roland es nicht erfährt, ihm würde sonst vor ihr ekeln. Roland war auch Wandervogel und verliebte sich als solcher in die Helene von Appel in Waidhofen an der Ybbs. Dort bin ich ja geboren und die alte Baronesse von Appel kaufte bei meinem Vater ein und brachte ihm von Zeit zu Zeit eine Zigarre. Roland war ein großes Kind und Eliza war eine sehr tüchtige Hausfrau und musste sicher in dem Künstlerhaushalt mit 2 Söhnen einige Unsicherheiten meistern, so wurde in der großzügigen Wohnung am Englischen Garten auch meist ein Zimmer vermietet. Dieses Mal eben mir. Vorher wohnte Isolde lange bei den von Bohrs.

Eines Tages kam Marcel Marceau zu einem Gastspiel nach München. Im Hotel Bayrischer Hof treffe ich ihn und da er im Begriff ist, ein eigenes Ensemble zu gründen, frage ich ihn, ob ich da  engagiert werden könne. Er sagt mir, dass es dann notwendig ist, mit seiner Frau Ella Jaroscewicz ein gemeinsames Training als Vorarbeit zu absolvieren. Also gehe ich nach Paris..

Zimmer bekomme ich gegen Deutschunterricht im 15.Arrondisment in der Nähe der Motte Piquet Grenelle: ein chambre de bonne von Parisern, die ein Geschäft für Fotoapparate haben.

Die Frau eine schöne Weißblondine mit braunen Rehaugen, schön aber sehr bourgeois, sagt mir, sie sei froh, Söhne zu haben, denn eine Tochter, wenn sie nicht schön wäre, sei von vornherein verloren. Jedoch war der 19 – jährige Sohn auch eine Schönheit wie die Mutter. Er studierte und hatte eine hübsche Freundin, eine Friseuse.

Ich suche mir auch eine Arbeit und finde diese bei einer Zahnärztin für täglich 2 Stunden, indem ich die Instrumente reinige. 

Mit Ella einer schönen, stolzen Polin, - bevor sie von Marceau nach Paris gebracht wurde, war sie Star im Ensemble von Tomaszevski in Wroclav, -  verstehe ich mich sehr gut. Täglich haben wir nachmittags unser Training.  

Als ich bei meiner Zahnärztin Instrumente reinigte, kam eines Tages eine junge Studentin und erzählte, dass die Vorlesungen auf der Sorbonne unterbrochen wurden und es zu einer Demonstrationen gekommen ist. Fahnen flatterten im Hof der Sorbonne mit Aufruf zum Widerstand gegen das Unterrichtssystem, Flugblätter werden verteilt, diese vor allem auch bei den Eingängen von Fabriken. Die Arbeiter werden zu Streiks aufgerufen. Bald streikt man überall, so auch im öffentlichen Verkehr, Benzin wird auch für die Autofahrer knapp. Man geht weite Wege zu Fuß. In den Räumen der Universität gibt es Sitins, auf den Straßen werden Autos angezündet und man marschiert. Studenten, Arbeiter und die Polizei rückt aus mit Schlagstöcken und Tränengas. Das Chaos macht unsere Arbeit unmöglich.

In meinem Zimmer in meinem Bett lasse ich auch die Friseuse übernachten, da sie den weiten Heimweg nicht machen will. Am nächsten Morgen borgt sie sich bei mir Geld aus, sie zahlt es mir nicht zurück. Ich habe mich entschlossen, Paris zu verlassen. Mein Chansonlehrer Charles fährt im Auto nach Köln, ich bitte ihn, mich mitzunehmen. Charles holt mich ab, ich gehe zum Abschiednehmen zu meiner Zimmerwirtin und bitte sie, dass sie mir das Geld geben möge, das mir die Freundin ihres Sohnes noch schuldet. Sie gibt es mir widerwillig. Ich bin froh, mit dieser Art von Parisern nichts mehr zu tun zu haben.

In Köln bringt mich Charles zum Bahnhof und ich fahre nach München. Dort finde ich wieder bei den von Bohrs meine Unterkunft. Und bei Inlingua vermittelt mir Frau Umlauf eine anfallende, interessante Tätigkeit als Reiseführerin einer Studentenreise von Amerikanern: Wien – Prag – Leipzig – Weimar – Dresden – Berlin – Venedig. Ich musste von Wien alles Sehenswerte studieren, dort führte ich dann meine Amerikaner. In den  anderen Städten gab es die Reiseführer des jeweiligen Ortes. Ich begleitete also dann nur die Gruppe und verdiente damit dazu noch Geld. In Berlin kaufte ich mir im Kaufhaus Horn einen Traum von bodenlangen, grauen Flanellhosenrock. Ich hatte fast schlechtes Gewissen so viel Geld auszugeben, das mir dann später zum Leben fehlen würde, mit dem Trost, dass auch Helene Weigl mit ihrem kommunistischen Weltbild in den Westen fährt, um sich bei Horn einzukleiden, befreite ich mich von meinen Skrupeln. Um so kostbarer wurde mir dieser Hosenrock, als ich in München angekommen im Taxi meine gesamten Einkünfte der Reise verloren habe, nachdem ich willfährig, da der Taxifahrer nicht herausgeben konnte, zum Getränkestand lief für Wechselgeld und dann die Geldtasche im Taxi beim Einstecken danebenfallen ließ. Jedenfalls kam ich bei den von Bohrs in meinem Zimmer an und als ich Eliza meine Miete zahlen wollte, konnte ich keine Geldtasche finden. Ich war also blank und konnte nur bis zum Beginn des 2.Teils der Tournée warten bis ich finanziell wieder einigermaßen in Ordnung kam. Konto hatte ich keines, um Schulden machen zu können, also machte ich Gelegenheitsarbeiten :in einer Limonadenfabrik: Flaschenabfüllen. Die Arbeiterinnen holten in der Pause immer Jausenpakete und fragten auch mich, was ich wolle, da ich sparen musste, verzichtete ich darauf, was mir den Hohn der Arbeiterinnen eintrug, doch an solches war ich gewohnt.

Für den Normalmenschen war ich immer eine „Spinnerin“, das begann schon als Jugendliche in Salzburg, wo ich aus Spargründen eine Einheitskleidung trug und diese in Schwarz. Als Herr Axel v. Ambesser junge Mädchen für seinen Film "Ihr Erstes Rendezvous" suchte, ging er die Reihen des Angebots ab, wählte und, obwohl der Aufnahmeleiter Richard Deutsch ihn auf mich aufmerksam gemacht hatte, denn ich hatte schon vorher im „Ihr erster Kuß“ in der Mädchenklasse mitgewirkt, winkte Herr Ambesser abfällig ab. Als dann gefilmt wurde, und ich dann doch in einer Szene dabeisein durfte, es war ein Spaziergang der Pensionatsmädchen im gestreiften, blauen Kleid und Strohhut, sagte Herr Ambesser in der Drehpause: „Sieh’ mal an, dass aus einer Existentialistin ein junges Mädchen geworden ist“ und ich wusste damals nicht einmal, was eine Existenzialistin ist. Mein Bruder sagte mir beim Begräbnis meines Vaters, als ich mein altes Cape anhatte -  es war das, welches die Pariser Polizisten immer bewunderten, meine Tante hatte es mir vom Dachboden geholt, es hatte dort viele Jahrzehnte gelegen, und weil es warm und auch hübsch war, hatte ich es dann viele Jahre als Wintermantel getragen – mein Bruder meinte dazu: „ weil Du immer anders sein willst“  dieses aber war nicht mein Anliegen, es ergab sich einfach aus meinen Verhältnissen und meine Verhältnisse aus meinen Anliegen. 

Nun begann Gott sei Dank der 2. Teil der Tournee und auch da sparte ich. Wenn die andern an den Raststationen zum Essen gingen, macht ich einen Spaziergang und im Hotel angekommen, packte ich meinen Kocher aus und machte mir ein schnelles, einfaches Essen.

Als der Chauffeur an einem Morgen meinen Koffer zum Bus trug, sah man auf dem Weg eine Spur des Kartoffelpureepulvers, das aus dem Koffer rieselte und er sagte: „Jetzt weiß ich, warum Ihr Koffer so schwer ist, Sie führen Sand mit sich.“ Die Tournee selbst war eine freudige Angelegenheit, wir waren eine freundliche Partie und über uns das Zugpferd O.W. Fischer und der Grand Seigneur  Alfred Lohner. Die Beiden unterhielten sich gerne über Nietzsche und andere Größen der Philosophie und Literatur. Mich zog O.W. immer wieder ins Gespräch über Marx und den Kommunismus, da ich damals durch den Pariser Mai ziemlich politisiert in Erscheinung trat. Eines Tages wurde ich von O.W. geschnitten. Es war die Reaktion auf mein Verhalten während seines Vortrags in der Mainzer Universität. Dieser war für meinen Begriff eine Farce. Ab diesem Moment waren mir Studenten insgesamt sehr suspekt.  O.W: wurde nämlich eingeladen, über seine sprachlichen Forschungen zu referieren. Der Hörsaal war gesteckt voll und sein Vortrag wurde in einen anderen Saal dazu übertragen. Wir Kollegen saßen ganz vorne 1. Reihe, als Otto ganz professoral seine Thesen vortrug: etwa Schweiz kommt von Schwitzen, Schweden von Schwaden etc. Elisabeth und ich lachten uns halbtot und als es den großen Applaus für Otto gab, trommelten wir mit Bleistiften auf die Tische. Damit haben wir Otto so beleidigt, dass er einige Tage kein Wort mit uns sprach. Eines Tages redete ich ihn diesbezüglich an und er sagte mir, ich sei ihm in den Rücken gefallen, worauf ich ihm antwortete: „Herr Fischer, Sie haben doch diese 68-er total hypnotisiert, Sie hätten ihnen ebenso gut das Telefonbuch vorlesen können und sie wären genau so begeistert gewesen.“ Und so war es. Viele Jahre später ging Otto nochmals auf den Vorfall ein in Form eines Kärtchens, das er mir geschrieben hatte und grotesker Weise interpretierte er mein Verhalten als von ihm total ergriffen. Er hatte den Seelenmechanismus alles zu seinem Gunsten zu deuten. Ende Dezember ging diese Tournée dann leider zu Ende. Ich habe sie sehr genossen.

Durch meinen Kollegen Bernstein, der mit auf der Tournee war, bekam ich einen Vertrag nach Recklinghausen für die Ruhrfestspiele. Ich wurde von Herrn Dr.Willi Schmidt für seine Inszenierung von den Büchnerstücken „Woyzeck“ und „Leonce und Lena“ engagiert. Er hatte die Idee, beide Stücke ineinander zu verweben und wollte sie mit Pantomimen ausstatten. Dafür wurde ab Beginn März in Recklinghausen probiert. Ich hatte mein Zimmer im Gasthaus, in dem auch der Schauspielerstammtisch war. Die ersten Abende dort fand ich ganz amüsant, jedoch bald merkte ich, dass sich Gespräche und Witze eigentlich immer wiederholten, so dass ich auch in Recklinghausen bald Einzelgänger wurde. Ich borgte mir ein Fahrrad aus und sah mir, wenn ich Zeit hatte, die Umgebung von Recklinghausen an. Vom Frühling dort habe ich einige sehr schöne Erinnerungen. Da unsere Gagen sehr schlecht waren und unser Kollege und Star der Ruhrfestspiele Horst Tappert davon erfahren hatte, versuchte er die Direktion zu veranlassen, unsere Gagen zu erhöhen. Ich bekam dann für „Der gute Mensch von Sezuan“ noch die kleine Rolle der Tante in der siebenköpfigen Familie, die Harry Buckwitz in das Stück eingeführt hatte. Dies war eine sehr schöne Probenarbeit und die Aufführung das Beste neben den Brechtinszenierungen, die ich früher im Schiffbauerdamm gesehen hatte.

Als nun auch die Ruhrfestspiele zu Ende waren, ging ich nach Berlin. Bei einem Ehepaar Kahlenberg fand ich ein Zimmer in einer Seitenstraße vom Kurfürstendamm. Da auch in Berlin sich die 68 – er  bemerkbar machten, es gab auch hin und wieder Demonstrationen, fand ich einen fixen Punkt im Republikanischen Klub, der mich vor allem wegen seiner dort vertriebenen Bücher interessierte. Es waren der Raubdruck von Reichs „Charakteranalysen“ und „Die Funktion des Orgasmus“, die ich dort erstand und die mein ganzes Leben veränderten. Ich unterzog mich richtig einem Studium dieser beiden Werke.

Beruflich habe ich gar nichts gemacht. Privat war die Zeit nicht uninteressant. Ich traf dort einige österreichische Schauspieler, ebenso eine gute Freundin Ellas Susanne Fels, sie gab mir für meinen 1. Flug ein Flugticket, das sie in Paris von dem Komponisten Xenakis erhalten hatte. Des öfteren  traf ich mich mit Gartelgruber, einem österreichischen Schauspieler, der in Berlin die Deutsche Erstaufführung von Handkes „Kaspar Hauser“ spielte, wie auch dann „Die Publikumsbeschimpfung“ wir saßen zusammen im Café mit Gerhard Rühm und eines Abends traf dort auch Günter Brus ein und erzählte von den Ereignissen in Wien, von denen er nach Berlin flüchtete. Es war auch Gartelgruber, der mich für die Inszenierung von „Magic Afternoon“ im Contra – Kreis Bonn empfahl.

Von meinen früheren Vorsprechfahrten war mir dieser als sehr gutes, erstrebenswertes Theater in Erinnerung. Zum ersten Mal nahm ich das Flugzeug und flog nach Bonn zum Vorsprechen. Kattinka Hofmann und ihr Lebenspartner Johanning, der dann Regie führte, waren davon  sehr angetan und ich bekam noch am selben Tag den Stückvertrag. Bald verließ ich dann Berlin, wo ich mich sehr wohlgefühlt hatte und ging nach Bonn, dort begann die Probenarbeit. Meine Kollegen waren Österreicher, die im Contra – Kreis ihr festes Engagement hatten Ute Jasch und Uwe Falckenbach, sowie auch als Gast Gartelgruber. Eine gut besprochene Aufführung brachte mir dann einen weiteren Stückvertrag nach Düsseldorf, wo der vor Jahren beim Vorsprechen im Contra – Kreis beeindruckende Regisseur und damalige Theaterleiter Dörner Regie führte. Diese Aufführung wurde dann noch vom Theater am Dom in Köln übernommen. Mein damaliger Partner in der Aufführung war Erhard Koren, Sohn des damaligen Nationalbankgouverneurs in Österreich. Erhard distanzierte sich damals explizit von seiner Familie. Ich habe ihn dann einige Male in Wien gesehen, unter anderem bei seiner damaligen Freundin Uschi Prammer, von der ich heute noch den „Neruda“ habe, den ich ihr gerne zurückgeben möchte, wenn ich nur wüsste, wo ich sie finde 

Als die Theaterarbeit in Köln beendet war, zog ich nach Düsseldorf und gab jetzt dort bei Berlitz Deutschunterricht. Dort befreundete ich mich mit einer aparten Französin, die mit dem deutschen Journalisten und Schriftsteller Klaus Gaedemann liiert war Wir waren oft zusammen, gingen auch reiten und hatten in manchem den gleichen Geschmack. Doch irgendwann ging mir das elegante Düsseldorf auf die Nerven, Zuerst machte ich noch eine Woche Urlaub im Tessin und fuhr absichtlich Autostop, um mir zu beweisen, dass ich noch nicht zu feige dazu bin, kam dann aber nur bis in die Nähe von Basel, da nahm ich den Zug, weil mir der Autofahrer den Antrag machte, an diesem schönen Frühlingstag ein bisschen die Landschaft zu genießen. Ich bat ihn, mich zum Bahnhof zu bringen. Ich fuhr nach Basel, wo  ich meinen werten Schauspielerkollegen Alfred Lohner besuchte. Als großer Liebhaber der Romantik spielte er mir gleich Schumanns „Rheinische“ vor. Im Fernsehen sah man dann gemeinsam mit Frau und Sohn die amerikanische Mondlandung. Am nächsten Morgen zeigte er mir seinen Briefwechsel mit Roul Aslan und einen Schatz, den er erstanden hatte: einen Brief der Duse. Ich übernachtete bei den Lohners und fuhr am nächsten Tag per Bahn nach Locarno. Dort nahm ich für eine Nacht ein Zimmer, um am nächsten Morgen  mich auf dem Orsellino für eine Woche in einem Gasthof einzumieten. Von dort aus unternahm ich die schönsten Wanderungen. Mein Gepäck bestand aus einer Plastiktasche mit Zahnbürste und Regenschirm.

Zurück in Düsseldorf kündigte ich meine kleine Wohnung, ebenso bei Berlitz, um auf gut Glück nach München zu gehen. Es war also ein Auszug mit schon etwas Gepäck, da ich mir in Düsseldorf doch einige Gegenstände für die Wohnung angeschafft hatte, so mein schönes Rosenthalbesteck mit blauem Porzellan. Ich bin noch heute darauf stolz, zumal es nicht mehr produziert wird. Es ist nämlich nur schön, schon manch einem Gast fiel das Porzellan auf den Teller.

In München angekommen, setze ich mich mit Isolde in Verbindung und frage sie, ob sie mir eine Adresse zwecks Untermiete wüsste. Sie meint im Hollerhaus in Irschenhausen, wo Roland v. Bohr inzwischen sein Atelier hat, denn die von Bohrs mussten nach 40 Jahren ihre Wohnung in Schwabing verlassen, das Haus wurde verkauft, und sie mussten in die schreckliche Satellitenstadt Neuperlach ziehen, wo die Wohnung viel zu niedrig für ihre alten, schönen Möbel war, das traurige Ende für ein altes Schwabinger Künstlerehepaar.

Also im Hollerhaus könnte ich wahrscheinlich was finden. Die Besitzerin des Hollerhauses Ingrid Lepsius, Nichte des Herausgebers des Münchener Merkurs Felix Buttersack, vermietet in ihrem Bauernhaus Zimmer, meist an Schauspieler. Also fahre ich ins Isartal nach Irschenhausen, ein Bauern und Künstlerdorf. Schon Rilke hatte dort Aufenthalt gemacht 

Am Abend nach meiner Ankunft im Hollerhaus kam die Hausfrau und führte ein Gespräch mit mir zum Kennenlernen. Dabei wollte sie natürlich wissen, was ich bisher in meinem Leben gemacht habe und so erzählte ich ihr auch von Buenos Aires, worauf sie mich fragte, ob ich vielleicht von dort Deli von Eidlitz kenne. Ich sagte ihr, ich hätte zu ihr besten Kontakt gehabt. Delis Mann gebürtiger Ungar hatte in Buenos Aires eine Textilfabrik und Deli brachte mir oft Stoff, damit ich meine spärliche Garderobe  bereichern konnte. Darauf zeigte Ingrid Lepsius an die Decke des Zimmers mit den Worten: “Deli hat das Zimmer da oben.“ Wie klein ist doch die Welt! Ich traf dann natürlich Deli, die inzwischen mit ihren Kindern in München lebte und beim Film arbeitete. Und da Deli das Zimmer in Irschenhausen selten bewohnte, schlug sie mir vor, das „Dichterstübchen“ so wurde ihr Zimmer genannt, das  viel billiger als mein „Grünes Zimmer“ war, zu übernehmen, was ich mit Freuden tat. Also wohnte ich unterm Dach. Eine Etage tiefer, wo auch das Grüne Zimmer lag, hatte meine Kollegin Ingeborg Lapsien 3 Zimmer mit einem schönen Balkon gemietet, auf dem wir oft gemeinsam frühstückten. Ingeborg hatte eine herrliche Plattensammlung und da sie beruflich viel beschäftigt war, durfte ich viele Stunden in ihrem Zimmer mit der herrlichsten Musik verbringen. Mit großem Dank bleibe ich ihr deshalb ein Leben lang verbunden. Überhaupt war das Leben im Hollerhaus ganz besonders schön, denn sowohl Ingeborg als auch Ingrid waren sehr gastfreundlich, hilfsbereit und fern jeder Klassifizierung. Ich war nämlich auch damals eher mittellos und lief von Theater zu Theater, von Filmfirma zu Filmfirma, um etwas zu bekommen. Das Volkstheater, wo ich ja schon gespielt hatte, engagierte mich dann für einen Nestroy: „Mädel aus der Vorstadt“. Da Irschenhausen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist, konnte ich nur bis Icking mit dem Bus fahren und dann musste ich zu Fuß weiter, - links und rechts Felder, Weiden mit Kühen - nach Hause gehen, manchmal zwar in Angst, meist aber diese Schönheit genießend.

Da es im Hollerhaus und im Isartal sehr schön war, hatte ich die Idee, für den Sommer Maximilien Decroux hierher einzuladen. Er war gern bereit, zu kommen und ich mietete für ihn das Grüne Zimmer, falls ihm dieses nicht groß genug gewesen wäre, habe ich zur Sicherheit ein großes, schönes Zimmer im repräsentativen Bauernhaus von Wacht als Option ermöglicht. Das Ehepaar Wacht  war sehr kunstinteressiert  und mir gefiel die junge schöne, rothaarige Bauernfrau sehr. Einige Wochen bevor Maximilien kommen sollte, worauf ich mich sehr freute, fand bei meinen Freunden Schröter eine Party statt, zu der ich eingeladen war. Da ich noch am Volkstheater meine Vorstellungen hatte, organisierte Ilse Schröter es, dass mich ein Freund von ihnen dort abholte und mich zur Party brachte, die natürlich schon lange in Gang war, ja die ersten Besucher diese schon verlassen hatten, deshalb wusste ich auch nicht, dass mein bevorzugter Gesprächspartner Hajo Grollmann mit seiner Familie anwesend war, da seine Frau mit den Kindern bei Schröters schlafen gegangen ist, ich lernte sie erst am Morgen beim Frühstück kennen. Da sie in Solln wohnten, das auf der Strecke Richtung Irschenhausen liegt, nahmen sie mich im Auto mit und Hajo brachte mich weiter nach Irschenhausen. Er har mir gut gefallen, doch hat mir in Paris auch Jean-Bernard Naudin gut gefallen, doch war er durch seine Ehe mit meiner Freundin Nicole ein Tabu und so auch Hajo. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Als mich eines Tages Ilse Schröter anrief und mir sagte, Hajo und Katja hätten einen schrecklichen Streit gehabt und Katja sei aus der Wohnung ausgezogen und hätte große Angst, dass Hajo Selbstmord verübt, sie würde mich bitten, mit Hajo Kontakt aufzunehmen,  so tat ich das. Kurz darauf kam Maximilien nach Irschenhausen. Er wollte im Grünen Zimmer wohnen. Er holte mich nach meiner Theatervorstellung vom Bus in Icking ab und wir hatten den Heimweg mit interessanten Gesprächen. Ingeborg Lapsien, die Maximilien sehr gut gefallen hat, fuhr uns im Auto durch das schöne Isartal, so dass Maximilien noch viele Jahre später davon schwärmte. An einem Sonntag besuchte uns Hajo und ich ging in die Küche, um uns ein gutes Mahl zu bereiten. Da ich zu wenig Fleisch zu Hause hatte, ging ich zum Gastwirt, der auch eine Metzgerei hatte. Dort saß man beim Frühschoppen und der Tischler vom Ort überredete mich, Platz zu nehmen „auf ein Glaserl“. Ich setzte mich neben seine Frau.  Da ich vorher kaum etwas gegessen hatte, spürte ich das „Glaserl“  sofort, um so mehr, da sie es mir immer wieder nachschenkten. Als ich mich auf den Grund meines Kommens besonnen hatte, war ich schon ganz schön betrunken, so dass mich die Tischlersfrau nach Hause begleitete. Jedoch setzte ich mich auf dem Heimweg ins Gras und plauderte mit ihr frisch drauf los, als Hajo und Maximilien uns entgegenkamen mit „die Fisolen seien schon längst verkohlt“ und es war auch schon so spät, dass ich nach München zur Vorstellung musste. Hajo führte mich hin, doch dort ging ich noch neben dem Theater in ein Café, um mit Gott und der Welt zu telefonieren, als ich endlich realisierte, dass es zum Ankleiden höchste Zeit war. Ich eilte ins Theater. Meine Kollegen saßen für ihren Auftritt bereit, ich zog mich flüchtigst an und ließ mir die Biedermeiefrisur irgendwie aufstecken, dann lief ich mit meinem Tablett zum Auftritt, um ins Zimmer zu stürzen, so dass die Kulissen wackelten. Die Mitspielerinnen bissen sich auf die Lippen. Herr Loibner, der Direktor, der die Hauptrolle spielte, war mit dem Rücken zu mir und merkte wohl nichts von meinem Danebensein, denn in der Pause kam er in unsere Garderobe zu einer Moralpredigt, doch diese galt nicht mir sondern meiner Kollegin Faber: „ Das Theater, Fräulein Faber, muß zu Grunde gehen, wenn die Schauspielerinnen nicht wissen, dass man an einem Tag, an dem man am Abend ein Kostüm mit Decoltée trägt, nicht in die Sonne gehen kann.“ Von meiner Alkoholisierung hat er nichts gemerkt, umso mehr hatten meine Kolleginnen den Kampf zu bestehen.

Gemeinsam mit Hajo und den Kindern besuchten Maximilien und ich auch die Auer – Dult, die ich bis dahin nicht gekannt habe, damals gab es neben den Vergnüglichkeiten für die Kinder auch noch hübsche Antiquitäten. Bei diesem Ausflug trafen wir auch Bernhard, Ilse Schröters Mann, Architekt aus München. Er erzählte, dass er und Ilse sich getrennt hätten und er jetzt eine andere Frau habe. Für mich unvorstellbar, da ich doch ihn und ihre Kinder in größtem Glück kennen gelernt hatte. Aber 1968 hat alles durchgerüttelt. So ging auch in Paris die Ehe von Nicole und Jean-Bernard mit ihren drei Kindern in Brüche. Mir erschien das alles wie eine um sich greifende Hysterie. Eine der wenigen Ehen, die diesem Kahlschlag Widerstand geleistet hatte, war die von Antoine und Marie-Odile, die schon am Beginn der Ehe den Broterwerb für die Familie getätigt hatte, als Antoine als Maler noch nichts verdiente.    

Für Maximilien habe ich einen Termin bei August Everding, damals Intendant der Münchener Kammerspiele, organisieren können. Everding war für die Pantomime sehr empfänglich. Er machte Maximilien die Hoffnung für die Regie von „Die Schlacht von Trafalquar“. Als wir die Kammerspiele verlassen hatten, sprach ich über das schöne Angebot, worauf Maximilien einen Ausbruch bekam, er war so böse, dass ich darüber spreche und damit alles kaputt mache. Ich wußte nicht, dass der so progressive Künstler so abergläubisch ist.

Nachdem Maximilien nach Paris zurückgekehrt war, habe ich ein zweites Dachstübchen gemietet, das Hajo sehr schön hergerichtet hatte und so war er auch öfters im Hollerhaus.

Er verlegte seine Wohnung aus der Schieggstraße in die Friedastraße, da er nicht, wie seine Frau Katja es wollte, mit ihr und den Kindern in eine Wohngemeinschaft ziehen wollte.

Für mich ging das Engagement am Volkstheater dem Ende zu und ich hatte keine Aussicht auf ein anderes, also begann ich wieder mit dem Deutschunterricht an der Sprachenschule Inlingua bei der lieben Frau Umlauf. Daneben nahm ich wieder Sprechunterricht bei Frau Turowski an der Falckenbergschule, zu der mich der liebe Gerd Brüdern einst vermittelt hatte. Stimmbildung machte ich bei der wunderbaren Frau Ottmer. Ich glaube, dass sie mich auch mochte, denn sie empfahl mich ihrer Freundin Ursula von Kalben, die an der Falckenbergschule Stimmbildung unterrichtete und sich mit dem Gedanken trug, ihr Pensum dort zu reduzieren und eine Assistentin heranbilden wollte. Dafür empfahl mich Frau Ottmer. So begann für mich eine schöne Zeit des Lernens. Ursula unterrichtete mich gratis und ich wohnte ihrem Unterricht an der Falckenbergschule bei. Ich nahm auch meinen Klavierunterricht wieder auf und arbeitete mit der temperamentvollen Begleiterin an der Falckenbergschule Ildy Sklarek. Es war eine arbeitsintensive Zeit. Auch für Hajo begann ein interessantes Leben. Er wurde Direktor des Kunstvereins München.

Inzwischen kam es zur Scheidung von Katja und Hajo. Damit gab ich mein geliebtes Hollerhaus auf und zog zu Hajo nach Solln. Da dort eine Wohnung frei geworden ist, zog meine damalige Bekannte Eva Gaul dort ein. Ich hatte mit ihr einen sehr guten Kontakt und sie interessierte sich sehr für meine Arbeit. Als ich in der Falckenbergschule meine Prüfung machte, um dort angestellt werden zu können, diente sie mir als Vorführobjekt. Die Prüfung verlief gut, doch war ich gar nicht so sicher, ob ich eine Stelle antreten werde, da ich inzwischen schwanger war. Damals wußte ich noch nicht, dass es ein Windei war. Dr. Helmut Mathiasek, nun Direktor der Falckenbergschule, den ich ja schon seit seiner Regisseurzeit am Salzburger Landestheater kannte, nahm eine sehr fragwürdige Haltung ein. Er rief mich zu sich und sagte, es würde ihn freuen, wenn ich als Stimmbildnerin an die Schule käme, jedoch sollte ich unbedingt zuerst bei Frau Kaminsky Unterricht nehmen, um nicht in  der Methode von Frau v. Kalben zu unterrichten. Und Ursula sagte er, wenn er mir einen Teil des Unterrichts überlasse, müsse sie ihren bisherigen Vertrag kündigen, denn es müsse dann ein anderer abgeschlossen werden.

Die arme Ursula tat es, im Glauben, dass wir dann den Unterricht teilen könnten. Am Ende wurde Herr Fleckenschild in ihre Position engagiert und Ursula und ich waren auf der Straße.

Für mich war es nicht so schlimm, aber für Ursula war es ein Schlag, da sie durch die Kriegszeit viel zu wenig Jahre für die Pension hatte. Doch in ihrem christlichen Glauben hat sie Herrn Mathiasek dies bald vergeben und sagte, letztlich sei es ein Glück gewesen, da sie so die letzten Jahre ihres Freundes Günther Lynen, der schon lange an Glasknochen erkrankt war, besser begleiten konnte. Ihr Leben fristete sie mit Privatunterricht. Eine Wiedergutmachung wurde ihr viel später zuteil. Als Herr Fleckenschild schon längst wieder die Falckenbergschule verlassen hatte und Herr Dalanski die Direktion übernommen hatte, musste Ursula, schon längst im Altersheim, den Stimmbildungsunterricht an der Falckenbergschule übernehmen.

Mir war die Arbeit an der Falckenbergschule leider nicht gegönnt. Einige Jahre später, als ich schon längst in Wien war, hatte man mir ein Angebot für 9 Wochenstunden gemacht, die sich später zu einer Vollzeittätigkeit entwickeln könnten, darauf bin ich aber nicht eingegangen.

Aus Interesse nahm ich aber den Kontakt zu Frau Kaminski auf und besucht bei ihr regelmäßig den Unterricht. Durch sie traf ich auch Renate Ronnefeld, die erste Frau von dem Komponisten Peter Ronnefeld, die mit ihrer gemeinsamen Tochter Aviva in München lebte und in Zusammenarbeit mit Frau Kaminsky den „Internationalen Gesangswettbewerb des ZDF“ ausrichtete. Durch Frau Kaminsky, aber auch durch Ursula und selbst von der Falckenbergschule bekam ich Schüler für Stimmbildung, auch in der Volkshochschule konnte ich Kurse geben, weiters ergab sich die Möglichkeit Referendarkurse für Stimmbildung an Münchener Gymnasien zu geben, so dass ich davon leben konnte und den Deutschunterricht bei Inlingua aufgeben konnte.

Durch eine Ausstellung über die „Pariser commune“ angeregt, lese ich sehr viel über die politische Entwicklung der Linken, lese auch Brechts „La commune“ und bleibe bei Brechts Werk, das ich als Ganzes durcharbeite und erstelle ein Programm: „Ändere die Welt – sie braucht es!“ Eine Folge von Texten und Chansons mit der Musik von Hanns Eisler. Hajo macht eine Bühneneinrichtung mit den einfachsten, Brecht  adäquaten Bühnenmitteln. Ich fahre nach Paris, wohne im billigen Hotel, Tour de L’ Isle und gehe jeden Tag zu Charles Leval, um mit ihm die Chansons zu arbeiten. Ich besuche und treffe natürlich in dieser Zeit auch alle meine Pariser Freunde. Im Sommer opfert Charles Leval seine Ferien und kommt nach München, um mich am Klavier bei meinem Brechtabend im Theater K zu begleiten. Wir geben eine Serie von 18 Vorstellungen, dann muß Charles zurück nach Paris zu Proben und führt unseren späteren Freund Gerhart Roscher ein, ist von dessen Arbeit sehr angetan und gratuliert mir, einen so guten Mann für meine weiteren Abende zu haben. Gerhart ist Dresdner, allerdings hat er auch österreichische Wurzeln, sein Großvater war ein Wiener Opernsänger.

Doch nochmals trete ich mit Charles auf, meine alten Freunde Christa und Peter Seidler organisieren mir ein Brechtgastspiel in Pirmasens und Charles kommt aus Paris gefahren, um mich zu begleiten. Ebenso für ein Wiengastspiel: 3 Abende im Theater am Kärntnertor. Charles, Hajo und ich fahren in Charles Auto nach Wien, dort angekommen, sagt man uns, dass die Auftritte sehr gefährdet seien, da alles gerade zur Besetzung der Arena unterwegs sei. Wir bestehen aber auf unseren Vertrag und treten auf und die Vorstellungen sind sehr gut besucht. Nach einer Vorstellung fahren wir auch noch zur Arena, wo die verschiedensten Künstler auftreten und wir geben auch einige Nummern zum Besten. Hajo allerdings musste alle 3 Tage das Haus hüten, da er eine schwere Zahneiterung durchmachte. Auf dem Heimweg nach Wien machte Charles bei der Zahnklinik Halt, damit Hajo sich dort endlich behandeln ließ. 

Durch den Erfolg mit meinem Brechtabend angeregt, den ich auch in Augsburg, Tübingen und dann auch 3 Wochen in Berlin gegeben hatte, erarbeitete ich ein neues Programm.

Ich hörte im Radio Hugo Huppert über seine Majakowskiübersetzung sprechen und erinnerte mich, in den 60er Jahren Klaus Kinski äußerst theatralisch im Konzerthaus Wien mit seiner Majakowskirezitation gesehen zu haben. Ich las also Majakowskis Werk von Huppert ins Deutsche übersetzt und  tauchte damit in die höchst interessante Geschichte Russlands, die mich vom Futurismus über Revolution, Lenin bis zu Stalin führte. Demnach strukturierte ich auch das Programm. Es wurde ein monumentaler Abend mit einem entsprechenden Bühnenbild von Hajo. Damit trat ich wieder im Theater K auf, bei unserem altbekannten Wolfgang Anraths, einem Kämpfer, der leider viel zu früh von dieser Erde gegangen ist.

Zur letzten Münchener Aufführung kam Herr Huppert, den ich schon vorher in Wien aufgesucht hatte und von dem ich viel Interessantes zu Majakowski, den er ja selbst kannte, und von seiner Zeit erfahren habe, er führte an die Aufführung anschließend ein Gespräch mit dem Publikum und mir schrieb er dann in der „Weltbühne“ eine großartige Kritik. Damit ermöglichte er mir, in vielen Städten, so auch in Berlin-West Aufführungen, die vielleicht sonst nicht stattgefunden hätten, da Majakowski außerhalb Russlands nicht den Bekanntheitsgrad von Brecht hat.

Da Eva Gaul von meiner Unterrichtstätigkeit angeregt, sich verändern wollte, zur Ausbildung nach Berlin ging, um dort die Methode von Ilse Middendorf zu erlernen, wurde ihre Wohnung frei, die ich mietete, um für den Privatunterricht genug Platz zu haben Es war eine produktive Zeit und ich konnte viele Erfahrungen machen. Auch privat und in Hajos Berufsleben gab es viel Interessantes. Wenn die Kinder zu Besuch kamen, wurden schöne Ausflüge gemacht, besonders hatte es uns der Thanninger Weiher angetan. Im Kunstverein wurde es immer spät, so dass wir selten vor 1 Uhr ins Bett kamen. Auch gab es oft Einladungen. Besonders opulent waren die von der Landesregierung bei Göppel in der Residenz und mit schönen Musikprogrammen im Antiquarium und auch bei Festen im Lenbach – Museum.

Mit der Zeit, Hajo und ich waren nun schon 6 Jahre zusammen, merkte ich, dass Hajo auch an anderen Beziehungen interessiert wäre, wir haben uns seit Anbeginn auf Freiheit geeinigt.So kam mir ein Angebot des Dramatischen Zentrums in Wien sehr gelegen, das mir die Möglichkeit bot, dort den Schauspielschülern Stimm- und Sprechunterricht zu geben. Ich pendelte zuerst zwischen München und Wien, bis ich da eine Riesenwohnung mietete, um auch Privatunterricht geben zu können.

Da ich in Wien kurz nach Beginn meiner Tätigkeit Bruno fand, so war auch meine private Ausrichtung verändert, was Hajo nicht unberührt gelassen hatte. Er kam nun auch öfter nach Wien, ich seltener nach München. Nachdem ich die Stimm- und Sprechbildung für die Oberammergauer Passionsspiele angeboten bekommen hatte, begann eine abermalige Pendelei  zwischen Wien und Oberammergau, manchmal machte ich Zwischenstation in der Münchener Wohnung, die jedoch für mich immer überflüssiger wurde, so dass ich sie nach Abscluß der Oberammergauer Tätigkeit kündigte. Unser Freund Roscher, damals Studioleiter am Theater am Gärtnerplatz, Dr. Mathiasek war dort inzwischen Intendant geworden, und seine Frau Cornelia Froboess ehemals „Pack die Badehose ein“, sang jetzt dort die „My Faire Lady“, also Gerhart übernahm mit Freuden die Wohnung und mein Hab und Gut wurde von einer Spedition nach Wien gebracht. Also war ich jetzt wieder in Österreich gelandet.

Da die große Wohnung in Wien renovierungsbedürftig war, kam Hajo sehr oft nach Wien, um Hand anzulegen. Er bekam natürlich einen großen schönen Raum mit einer Stuckaturdecke und altem, weißem Kachelofen als Atelier.  Intensiv, wie er alles tat, war die Wohnung nach kurzer Zeit wunderschön erneuert: das große, geräumige Badezimmer zierte ein gemaltes Lilienfries. Die alte Stuckatur in den Räumen wurde wunderschön neu gemalt, ich nähte Seidenvorhänge für alle Räume, die nicht viele Möbel ausstatteten, umso mehr aber Bilder.

Es war ein großzügiges Wohnen und Leben, das wir damals führten.

Neben meiner Unterrichtstätigkeit konnte ich meinen Brechtabend, Majakowski und dazu ist auch noch ein Prévertabend gekommen in Wien, aber auch in anderen Städten aufführen. Ein 3 – wöchiges Gastspiel mit „Prévert“ gab ich noch in München, kurz bevor auch Hajo seine Wohnung aufgegeben hatte, auch diese an unseren Freund Roscher inzwischen mit Frau und Kind, um nach Wien zu übersiedeln.

In Wien angekommen konnte er sich jetzt endlich wieder mehr der Malerei widmen, denn in München ist er wegen seiner vielfachen Vereinstätigkeiten doch sehr davon abgehalten worden 

Ich hatte einen Zyklus von Lesungen im Theater am Petersplatz unter dem Motto:„Dichter sehen die Landschaft“ , „Psychoanalyse“ und „Kriminalität“ Walter Benn, den ich bei Sendungen im ORF Argentinierstraße kennen gelernt hatte, war mein Partner und Hajo kümmerte sich um die Technik. Die letzte Lesung von „Dichter sehen die Landschaft“ war ein Text Wladimir Majakowskis von 1924 „Amerika“, dazu hatte ich auch Hugo Huppert eingeladen, er wollte als Übersetzer einleitend einige Worte dazu sagen. Am Vorabend rief er mich noch an und sagte mir, dass er nicht kommen könne, weil er einen akuten Gallenanfall hatte und vielleicht operiert werden müsse. Am Morgen meldete der Rundfunk bereits seinen Tod.

Für die Bezirksfestwochen hatten Hajo und ich eine schöne Goethelesung "Goethe und die Naturwissenschaft" im ehrwürdigen Ludwigs- Haus und einen Altenbergabend in der Volkshochschule in der Ammerlinggasse, zu der auf die Initiative Brunos Herr Hofbauer vom ORF mit seiner damaligen Freundin Vera Russwurm, die damals bei mir auch Stimm- und Sprechunterricht genommen hatte, gekommen waren. Wie ich merkte konnten sie mit meinem Programm nichts anfangen. Es war sicher nicht nach ihrem Geschmack. Herr Hofbauer hat später das Metropol übernommen und seine Programme sind auch nicht nach dem meinen. Noch vor Hofbauers Zeit machte Bruno  dort mit Erika Deutinger, mit der er auch oft nach Katzelsdorf gekommen ist, das Programm „Hank“ unter der Regie von Loek Huisman, der auch in fast allen Abenden  Michael Heltaus Regie führte.

Zu dieser Zeit war ich auch oft im ORF in der Argentinierstraße im Sprechfunk tätig, meist bei Dr. Strutzmann, doch der wurde irgendwann aus dubiosen Gründen gekündigt, damit wurde auch meine Tätigkeit dort seltener. Vielleicht wurde mir aber auch mein teurer, weißer Ledermantel, den sich Bruno gekauft hatte, ihn mir aber gleich danach schenkte, wahrscheinlich machte auch er schlechte Erfahrungen damit, zum Verhängnis, man sagte sich: die hat diese Arbeit nicht nötig. 

Als ich dann nochmals für eine Oberammergauer Passion zu tun hatte, begann wieder eine Pendelei. Wir hatten dann auch die Idee, zu dritt etwas auf dem Land zu suchen, das Hajo herrichten wollte und wir taten gut daran, dies zu tun, denn als ich von der Eröffnung der Passionsspiele nach Wien zurückkam, es war Hajos 51. Geburtstag, ich hatte alles für eine Feier im Gepäck, hatten wir keine Wohnung zur Verfügung, der Zugang war von der Polizei gesperrt und wir mussten uns mit einem Quartier in einem Wiener Hotel begnügen: im Mittelbau unseres Wohnhauses war eine Gasexplosion mit 3 Toten. Wir hatten Glück, dass wir zu diesem Zeitpunkt nicht in Wien waren, denn allein die Glassplitter hätten uns wahrscheinlich das Leben gekostet. Als wir die Wohnung wieder betreten durften fanden wir die Türen und Türstöcke zum Teil durch den Druck herausgerissen und natürlich das Glas aller Fenster in der Wohnung zerstreut. Noch bevor ich nach Oberammergau fuhr, waren Abbrucharbeiten eines alten Biedermeierhauses neben uns in Gang. Sicher kam es da durch die Erschütterungen zu einem Rohrgebrechen in unserem Haus. Doch die Stadt Wien und deren Baupolizei wusch sich die Hände in Unschuld. Für uns hieß es, aus dieser eben selbst renovierten Wohnung auszuziehen ohne irgendeinen Schadenersatz und trotzdem laut Kündigungsfrist, die Miete noch 6 Monate weiterzuzahlen. Es wäre mit einem Prozess wahrscheinlich zu einer anderen Regelung gekommen, doch wir konnten nicht auf einen St. Nimmerleinstag warten: wir waren freiberuflich „The show must go on“. Also fuhren wir unser Hab und Gut aufs Land, stellten das Klavier in einer Spedition ab, und ich zog als Untermieterin in die Eigentumswohnung einer Musikerin, die nicht mehr in Wien wohnte, Hajo weilte vorwiegend auf dem Land..                                                                                                   

In diesem etwas aus der Bahn geworfenen Zustand beginne ich mit der Arbeit an einem Strindbergprojekt. „Reminiszere“ so der Titel der Aufführung. Sie behandelt Strindbergs Leben in Bezug auf seine 3 Ehen. Ich bitte Werner Dahms den Strindberg zu interpretieren. Werner ist jetzt schon in Pension, verheiratet mit  Prof. Dr. Sibylle Dahms, geborener Schneider, die ich seit meiner Gymnasialzeit kenne, lebt er in  Salzburg zurückgezogen, kaum jemand weiß, welch großartiger Schauspieler er unter Stroux und Gründgens war. Er ist bereit, eine Tonaufnahme zu erstellen, die ich bei meinen Aufführungen als Strindberg über einer alten Schreibmaschine in Konfrontation zu den von mir gespielten Ehefrauen auftreten lasse. Hajo schafft eine adäquate Bühneneinrichtung. Proben und öffentliche Generalprobe finden in der stimmungsvollen Atmosphäre unserer Scheune in Katzelsdorf statt, die Aufführungen selbst in Emmy Werners „Theater in der Drachengasse“. Später gibt es davon eine CD als Hörbuch.

Im Frühling desselben Jahres gab es in der Scheune zu Brunos 47. Geburtstag auch eine Retrospektive von seinen journalistischen Tätigkeiten, wobei er vor geladenen Gästen auch ein literarisches Programm mit Gitarrenbegleitung von Sepp Dreissinger, professionellem Gitarristen, bekannter jedoch als Fotograph von Thomas Bernhard und dem Komponisten Werner Radicznig schauspielerisch perfekt mit seinen eigenen Texten unter dem Titel „Schlagzeilen“ vortug. Erfreulicherweise hatte Guido eine Videoaufzeichnung davon gemacht. Als Gäste kamen Peter Bleibtreu, ein journalistischer Freund Brunos, Sohn der berühmten Hedwig und Bruder von Monika, sowie Onkel von Moritz., Universitätsprofessor Leser mit seiner Mutter, bekannt mit Bruno seit seiner Kindheit, Erika Pluhar, Kestranek und auch Brunos Tochter Sonja, die er nach vielen Jahren der Trennung nun auch wieder gesehen hatte. Sie war jetzt eine junge Frau und kam in Begleitung eines reizenden jungen Mannes, der sich einige Jahre später das Leben genommen hatte. Auch meine deutschen Freunde, mit denen mich viele Erlebnisse in Paris verbunden haben, Christa und Peter Seidler feierten mit uns. Zwei große Tage für Bruno.

Ja, 1986 durfte ich auch wieder eine Woche in Paris verbringen. Anläßlich der großen Ausstellung "Wien Modern" brachte ich mit meinem lieben Charles Leval am Klavier meinen Altenberg-Abend "...und endlich stirbt die Sehnsucht doch". Angekommen in Paris ging ich mit der Kultursekretärin der Österreichischen Botschaft gleich zu einer Veranstaltung aus Wien. Es war das letzte Mal, daß ich Helmut Qualtinger sah, bei einer Lesung seiner Texte, das war Ende April, Ende September ist er gestorben. Den nächsten Tag verbrachte ich mit Charles und Simone, die mir eine großzügige Unterkunft zur Verfügung gestellt haben. Das Fernsehen brachte Berichte eines Atomunfalls in Tschernobyl mit Verstrahlung außer der Sowjetunion vorallem in Österreich. Von Frankreich war keine Rede. Natürlich war ich entsetzt. Nach meiner Rückkehr habe ich sofort meine guten Weichsel aus Katzelsdorf in Seibersdorf untersuchen lassen, bevor ich mich ans Einkochen machte und sie waren clean.  

Im Laufe der Jahre gab es viele erinnerungswürdige Feste, jedoch sind mir 3 besonders in Erinnerung, nämlich 1989 als Fritz Stapenhorst mit Isolde aus München angefahren kamen und auch Herr Rudolf Weishappel, Komponist aus Wien. Er hatte mir später eine Überspielung seiner Oper „Elga“ anvertraut, die ich Lavelli nach Paris sandte, damit er sich dafür verwenden möge, sie wurde seinerzeit in Wien in der Volksoper mit sehr guter Besetzung uraufgeführt, und leider bekam ich weder eine Antwort noch die Überspielung zurück. Nun zum Fest war also, wie gesagt auch Herr Weishappel gekommen, er brachte mir die schöne „Traviata“ Platte mit Cotrubas. Isolde und Fritz übernachteten bei uns und wir hatten am nächsten Morgen ein schönes Frühstück. Das Fest 1990 stellt insofern eine besondere Erinnerung da, weil auch diesmal Fritz und Isolde gekommen sind, auch Burga, eine damalige Freundin Brunos aus Hamburg, jedoch hatten viele der Geladenen keine Zeit, so dass nur ein kleiner Kreis feierte, wovon Isolde, die immer gerne Leute mit Namen um sich haben wollte, so enttäuscht war, so dass sie diesmal nicht bei uns übernachten wollte, sondern noch am frühen Abend mit Fritz nach München zurückfuhr. Dabei nahm sie noch Hans Czarnik mit, der erst am frühen Nachmittag zu Fuß aus Bernhardsthal bei uns angekommen war, da er keinen Busanschluß nach Katzelsdorf vorgefunden hatte. Und seinetwegen bleibt mir das Fest besonders in Erinnerung, er hatte nämlich im Auto von den Stapenhorsts sein Notizbuch verloren, Isolde hatte es mir geschickt und ich traf Hans, um es ihm zurückzugeben. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, kurze Zeit später hatte er sich durch Erhängen das Leben genommen. Bruno hatte ihn zuvor noch im Volksgarten gesehen und es bereut, ihn nicht angesprochen zu haben. Das 3. Fest, das ich noch schön in Erinnerung habe, war 1994. In diesem Jahr ging es Bruno seelisch sehr schlecht und trotzdem hat er dieses sein Geburtstagsfest noch genossen. Als er Holde vom Bahnhof Bernhardsthal abgeholt hatte, pflückte er noch unterwegs roten Mohn und war sehr heiter, so erzählte mir Holde. In Katzelsdorf am Hof waren sehr viele Gäste und Bruno freute sich besonders über die Anwesenheit von Frau Kolanda mit ihrer kleinen Tochter, um die sich Bruno reizend kümmerte. Von unserem letzten Fest 1995 berichte ich erst später, es stellte ein trauriges Ende unserer Gastlichkeit dar.

  Gastlich waren wir auch zu Klausi - Mausi, wie er sich bei Bruno am Telefon nannte, nämlich Klaus Löwitsch. Er war von einem Bild Hajos, das Bruno in seiner Wohnung hatte, so angetan, dass er uns in Katzelsdorf besuchte und unbedingt alle Bilder Hajos sehen wollte und eines aussuchte, das er kaufen wollte. Hajo wollte ihm noch keinen Preis nennen und meinte mir gegenüber, dass er es ihm billiger geben wird, weil Löwitsch daran so interessiert  sei. Immer wieder fragte er in den nächsten Tagen telefonisch nach dem Preis. Als Hajo ihm endlich eine Summe nannte, die viel geringer war, als er gewöhnlich für seine Bilder verlangte, war Löwitsch so böse, dass er auflegte. Wir wissen nicht, was er sich erwartete, vielleicht wollte er das Bild geschenkt bekommen, damit war der Kontakt zwischen uns für die Zeit bis nach Brunos Tod zu Ende. 

Bruno allerdings blieb bis zu seinem Tod in guter Beziehung zu dem etwas unberechenbaren Klausi – Mausi. Noch heute besitze ich von Bruno verehrt seine Breitling, die ihm Klaus eines Tages aus heiterem Himmel geschickt hatte mit einem Uhrband aus Leder. Bruno trug sie stolz aber selten, denn er kannte die Wiener Neidgesellschaft. Als ihm dann Klaus  auch noch das Originalband schickte, sollte die Uhr in meine Schatulle. Bruno trug letztlich nur noch Werbegeschenke. An sich war Bruno Uhrenfan. Eine IWC – Uhr brachte er mir, und sagte mir, dass sie repariert gehört. Ich, die ich keine Ahnung von Uhren und Uhrenfirmen hatte, ließ sie in meinem Schrottkästchen liegen im Glauben, es sei eine seiner Werbegeschenksuhren. Er fragte auch nicht danach. Nach einer Uhr allerdings fragte er, die er mir leider nicht für die Reparatur gegeben hatte. Es war Vaters Goldene Taschenuhr, ein Familienerbstück. An einem Geburtstag hatte sie ihm Vater gegeben. Bruno kam zum Frühstück zeigte mir stolz die Uhr. Am selben Tag ging ihm das Uhrglas kaputt. Ich weiß, dass auf seinem Weg zur Burggasse sich ein Uhrengeschäft befand mit Werkstätte für alte Uhren. Ich vermute, dass er dorthin die Uhr brachte, doch in seinem Zettelchaos hat er vielleicht den Zettel verloren und erst Monate später fragte er mich, ob ich wisse, wohin er die Uhr gebracht hat. So war Bruno. Er legte auf nichts großen Wert, Hauptsache war, er konnte arbeiten. 

Als Hajo die Verwaltung von Brunos Besitz übernommen hatte, die Hausverwaltung und die Büroverwaltung, hatte ich die Chance eine freigewordene Wohnung mieten zu können, sie war zwar klein für uns, jedoch besser als eine möblierte Untermiete. Wir konnten also unsere Habseligkeiten vom Land wieder nach Wien bringen, vor allem auch das Klavier wieder aus der Spedition holen und ich gab wieder Privatunterricht neben der Tätigkeit am Dramatischen Zentrum. Einige Jahre später konnten wir die freiwerdende gegenüberliegende Wohnung dazumieten, die wir mit der ersten zusammenlegten, so dass wir wieder eine sehr großzügige Bleibe hatten, mit 2 Eingängen: einen zu dem Unterrichtsraum, den anderen für Privat.

Ich eröffne das Internationale Theaterseminar und engagiere für einen 3- wöchigen Workshop Maximilien Decroux. Wir bekommen durch die Vermittlung von Herrn Dr. Busek dafür Räumlichkeiten im Raimundtheater. Anschließend gibt es einen 3 wöchigen Workshop in der Alexandertechnik, die bis dahin in Wien nicht bekannt war. Ich holte dafür Robin Simons aus London. Wir konnten die Räumlichkeiten des Dramatischen Zentrums dafür bekommen. Bald aber wurden dem Dramatischen Zentrum die Subventionen gestrichen. Man wollte den Direktor Herrn Forester aushungern, er jedoch hatte in seiner Beweglichkeit bald ein besseres Angebot in Deutschland. Getroffen hat es uns Lehrer und als ich versuchte für den weiteren Aufbau des Internationalen Theaterseminars Subventionen zu bekommen, erfuhr ich natürlich eine Abfuhr. Die Räumlichkeiten des Dramatischen Zentrums wurden mit viel Geld zum Literaturhaus umgebaut. Die alternative Theatertätigkeit wurde von den Staatstheatern übernommen. Die Gelder ergingen nun alle an sie. Ich versuchte nochmals ein eigenes Theaterprojekt zu starten. „Rockaby“ und „Nicht Ich“ von Samuel Beckett. Ich schrieb Beckett selbst, ob er die Regie übernehmen würde. Er schrieb mir zurück, dass die Zeit der Reisen für ihn beendet sei und wünschte mir Erfolg. Damals hatte ich eine fast freundschaftliche Verbindung zu Hans Czarnik und seiner Freundin Monika Riniker. Hans war Regisseur und ich sah von ihm mit Monika in den Hauptrollen einige eigenständige Inszenierungen, die mir gefallen haben. Ich erzählte ihm von meinem „Beckett-Projekt“ und fragte ihn als Beckettliebhaber, ob er die Regie übernehmen würde. Er machte eine Aufstellung der Unkosten, die ein derartiges Projekt bedeuten würde. Ich reichte die Bitte um Subventionierung bei Stadt und Bund ein. Die genehmigte Summe betrug weniger als ein Zehntel des notwendigen Betrages. Hans war damit nicht bereit, mitzumachen. So machte ich mich allein mit Hajo daran. Wir waren daran gewöhnt, künstlerisch für einen Hungerlohn zu arbeiten. Bruno hatte gerade mit Schimanko, dem Besitzer von Moulin Rouge ein Interview gemacht und erzählte ihm von meinem Beckett, worauf Schimanko sehr interessiert reagierte und sagte, warum nicht im Moulin Rouge? Bruno erzählte mir dies und ich nahm den Kontakt zu Herrn Schimanko auf. Zuerst sah ich mir die Räumlichkeit an. Sie war für meinen Beckett traumhaft. Also entschloss ich mich, nicht wie ursprünglich geplant im Technischen Museum, sondern im Moulin Rouge die Aufführung zu machen. 

Letztlich war diese Entscheidung keine gute, denn gut war sie nur wegen der großartigen Kulisse, in allen anderen Punkten war sie kontraproduktiv. Herr Schimanko stellte den Kontakt zu seinem Büro her, dort waren meist seine Frau oder die Tochter, die an meiner Sache sicher nicht interessiert waren, man hängte eher widerwillig das Plakat und andere Informationen über das Stück in einem unscheinbaren Schaukasten aus. Ich opferte dafür auch das Originalschreiben Becketts, das ich, da er natürlich mit Tinte geschrieben hatte, verschmiert zurückbekommen habe. Zum Umkleiden hatte ich eines der Chambres Séparées, zum ersten Mal habe ich ein solches kennen gelernt, nicht gerade animierend, gut, es war nicht geheizt. Die Aufführung musste um 22 Uhr beendet sein und die Bühne jedes Mal geräumt werden, da ja alles für das Moulin Rouge Programm wieder zur Verfügung stehen musste. Alle diese Nachteile hatte ich nicht bedacht, das Schlimmste jedoch war, dass die Presse, was Theater betrifft auf diese Adresse nicht eingerichtet war, also hatte ich kaum Ankündigungen, geschweige denn Kritiker, die die Aufführung besuchten. Einer der wenigen Kritiker, der auch in der Theaterkommission saß, Herr Hirschmann schrieb zwar keine Kritik, schlug mich aber für eine Prämie vor, wenigstens eine kleine Anerkennung für unsere Arbeit. Auch das Premierenpublikum war sehr beeindruckt unter ihnen Mimi Wunderer, die damals das kleine Theater im Metropol leitete, sie war bald darauf in St.Pölten Prinzipalin eines eigenen Theaters, trotzdem wurde ich von ihr niemals eingeladen, nachdem sie mich zu Hause nach meinem Beckett besucht hatte und mir ihre Begeisterung kundtat. Es fanden keine weiteren Vorstellungen nach unserer Premier statt. Wir haben jeden Abend die Bühne aufgebaut, ich wartete kostümiert auf Publikum, das nicht kam. So dass ich mich nach einer Woche entschloss, die Chose zu beenden. Hajos Söhne waren gerade bei uns in Wien, Clarens liebte Beckett und hoffte, die Aufführung zu sehen, er durfte mir anstatt die Vorstellung zu sehen, behilflich sein, die Kostüme und Requisiten zu verpacken, die wir dann zu dritt zu Fuß nach Hause trugen.

Ich konzentrierte mich dann weiters auf Gastspiele mit bestehenden Programmen, Unterricht und auf die Organisation in unserem Zusammenleben und da besonders am Hof, wo wir durch Bruno viel Besuch hatten. Ich versuchte, eine gute Gastgeberin zu sein, was mir bei diversen Frauen nicht immer gelang. Hajo zerlegte Rehe, jedes Jahr ein halbes Schwein vom Nachbarn erworben, er versorgte einen eigenen Weinkeller, worin er den frischen Wein jahrelang pflegte und uns und den Gästen beste Qualität offerierte. Ich verkochte wannenweise Weichsel zu Gelee und andere diverse Früchte aus unserem Garten. Ebenso verkochte ich die Abfälle, die Hajo nicht gut genug zum Einfrieren befunden hatte, zu Pasteten. 

Wenn es Angebote für Gastspiele gab, verlief alles sehr befriedigend. Doch diese wurden mit der Zeit weniger, vor allem seit auch die Staatstheater ihre Alternativangebote hatten, sehr preisgünstig, da hoch subventioniert. Unsere Projekte mit mehreren Schauspielern musste notgedrungen am Geld scheitern, wie unser Sommertheater am Resselpark: “Das Jahrmarktfest zu Plundersweilern“ .Die Subventionen betrugen ein Zehntel von den Unkosten, trotzdem wollten es die Schauspieler machen und das Risiko auf sich nehmen. Die Premier fand gerade noch statt, im Publikum war damals auch der heutige Bundespräsident Dr. Fischer. Aber die nächsten Abende fielen im wahrsten Sinne des Wortes  "ins Wasser" und da wurden die guten Kollegen aufsässig und sie setzten uns das Messer an, uns das war die „Kunst Webgasse“ unter welcher Adresse das Unternehmen lief. Sie traten dann auch bei schönem Wetter nicht auf, wenn „Kunst Webgasse“ ihnen nicht die Garantie von 500.- S Abendgage pro Mann pro Abend garantieren würde. Zuerst gab ich dem anwesenden Publikum das Geld für die Eintrittskarte zurück mit dem Bedauern, dass die Schauspieler nicht auftreten wollen, dann schrieb ich zu Hause an die Schauspieler mit der Bitte es am folgenden Abend unterzeichnet mir auszuhändigen. Ich habe die Post nachts eingeschrieben am Postamt Fleischmarkt aufgegeben. Am folgenden Abend kam es wieder zu Diskussionen, sie bestanden weiter auf ihre Forderung. Hajo und ich brachen damit die Veranstaltungsreihe ab, brachten alle Kostüme und Requisiten zurück ins Theater an der Wien, das uns großzügig damit unterstützt hatte. Den Volkswagenbus, wo nachts die Kostüme aufbewahrt werden mussten haben wir zurückgegeben, das Bühnengerüst wurde demontiert, alle Arbeiten mit großem Einsatz und Aufwand geleistet waren umsonst. Ich wusste, dass ich für alle Zukunft, nichts mehr in Gemeinschaft untenehmen werde.

Deshalb hielt ich Ausschau auf ein kleines Lokal, in dem ich mein eigenes Theater machen könnte. Als 1989 ein Teil des Souterrains in unserem Wohnhaus in der Lerchengasse frei wurde, mietete ich dieses, in der Hoffnung, dass vielleicht der danebenliegende Teil auch bald frei würde, um ein richtiges Kellertheater daraus zu machen. Es blieb über all die Jahre leider nur bei dem einen Teil und damit schon bei einem gewissen Provisorium, trotzdem ließ ich den gemieteten Teil renovieren und machte dort literarisches Theater unter dem Namen :  „Literaturtheater Club Lerchengasse 7“ Eröffnet wurde Oktober 1990 mit einer Lesung von 2 Stücken des Dichters Gottfried Benn mit Beteiligung von Bruno Seiser, Holde Naumann und Elga Weinberger - Martinez. Wir lasen „Ithaka“ und der „Vermessungsdirigent“. Im Laufe von 10 Jahren gab es dort viele Programme, die für Wien eine Novität bedeuteten, wie zum Beispiel „Pariser Landleben“ von Aragon oder „Die Transsibirische Eisenbahn“ von Cendrars. Die Besucherzahl blieb ziemlich konstant, so dass der kleine Raum genügte. Werbung war nicht möglich und das einzige Radiointerview, das mit Herrn Huemer schon terminmäßig und themenmäßig „Vive l’anarchie“ fixiert war, wurde knapp davor von ihm abgesagt mit „Sie wollen uns nicht“! Damit unternahm ich keinerlei weitere Anstrengungen, die Öffentlichkeit auf unseren Club aufmerksam zu machen. Jedoch erzählte Isolde Herrn Vogler von der Existenz dieses Literaturtheaters und er wollte unbedingt nach Wien kommen, um eine seiner Lesungen zu machen. Mit seinem Programm „Europäische Märchen“ lockte er keinen unserer Besucher, die an höhere literarische Ansprüche gewöhnt waren, so las er dann leider ausschließlich vor seinem geladenen Publikum, wobei seine Fans lediglich vor dem Theater Schlange standen, um ein Autogramm von ihrem „Karl-Mai-Film-Darsteller zu erhaschen, die Lesung interessierte sie aber nicht. Den Vorteil dieser Veranstaltung brachte mir allerdings, dass durch Brunos Initiative das Fernsehen einen „Seitenblicke – Beitrag“ brachte, aber auch das blieb ohne Auswirkung auf die Besucherzahl in der Zukunft. Die  einzige Folge für mich war, dass man im Vorhaus des Clublokals die Plakate heruntergerissen hatte und den verbleibenden Teil davon mit menschlichen Exkrementen anschmierte: „Wiener Brut“!   Irgendjemand im Haus war wohl mir gegenüber schlechtester Gesinnung, als ich nämlich einmal im Salettl eine Kaffeeeinladung hatte mit Vater Seiser und seiner 2. Frau Alice, wurde mir oben vor die Wohnungstür ebenfalls ein großes Exkrement unter die Fußtacke gelegt. Topsy Küppers, bei der ich mit meinem damaligen Begleiter Gottfried Rabl einen Brechtabend gab, dachte, nur ihr als Jüdin seien solche Geschichten im Theater passiert. „Wien, Wien nur du allein...“ Übrigens Gottfried wurde später ein sehr gefragter Dirigent. Er spielte als erster mit dem RSO mehrere Symphonien von Egon Wellesz ein, ebenso machte er die Orchsterrekonstruktion für die neue Carusoedition. Als Mensch war er, wie ich ihn kannte, sehr bescheiden und liebenswürdig, in seiner Arbeit tiefsinnig.

Nachdem mein Literaturtheater eröffnet war, verlief mein künstlerisches Leben in gemäßigten Bahnen, denn ich war mein eigener Dramaturg, meine Sekretärin, mein Ausstatter, meine Putzfrau, meine Regisseurin mittels Videokamera, die Billeteurin, und letztlich Schauspielerin. Jeden 2. Mittwoch im Monat fand eine Premiere statt. Das Tonband bediente dann eine ehemalige Schülerin. Manchmal versuchte ich noch, diese und Holde bei einem gemeinsamen Programm einzubauen. Diese Aufführungen waren aber oft sehr unfertig, da wir nie genug Proben hatten. Bruno allerdings hatte jedes Jahr 1 – 2 Lesungen seiner Texte und brachte dazu immer sein Publikum. Interessanterweise besuchte kein Einziger von dem meine Aufführungen, wie auch von meinem Publikum sehr wenige zu seinen Rezitationen kamen.

Privat hatte ich meine Arbeiten, die sich auf unsere Wohnung, Redaktion Bruno und Katzelsdorf bezogen. Manchmal musste ich Körbe voll Obst am Wochenbeginn nach Wien mitnehmen, ich fuhr mit Bus und öffentlichen Verkehrsmitteln, um sie während der Woche in Wien zu verarbeiten. Meine Zeit war sehr ausgefüllt. Im Nachhinein verstehe ich nicht, wie ich das alles geschafft habe. Es war eben eine Euphorie, in der ich lebte.

Desto schlimmer war der Sturz, der sich Ende 1993 ankündigte.

Ich hatte im Dezember noch ein schönes Programm gemacht: „Balladen“. Vater Seiser, der mit seiner Frau alle meine Aufführungen besucht hatte, war zum letzten Mal dabei. Er war inzwischen im 94. Lebensjahr. Bruno fuhr, wie jedes Jahr zu seinem Arbeitgeber „Bauer-Verlag“ nach Hamburg, ich fuhr, auch wie jedes Jahr zu diesem Zeitpunkt nach München. Als ich zurückkam, fand ich Bruno in sehr schlechtem Zustand vor. Er sagte mir, er könne unmöglich zum Schiurlaub auf die Turrach fahren, dies war seit ich ihn kannte sein Ausspannen in der Weihnachtszeit. Ich sollte auf der Turrach Bescheid sagen, dass er seine Ankunft verschieben müsse. Er kam mit uns nach Katzelsdorf. Ich habe es mir oft gewünscht, dass er mit uns Weihnachten feiern würde, doch waren dies die traurigsten Weihnachten meines Lebens. Er war so deprimiert, konnte kaum etwas essen, selbst unsere Spaziergänge in tiefem Schnee konnten ihn nicht erfrischen. Dazu kam noch ein Anruf, dass sein ehemaliger Kollege Peter Bleibtreu gestorben ist und Bruno zu seinem Begräbnis Anfang Januar doch unbedingt kommen  und dort einen Nachruf auf Bleibtreu halten soll, was er dann auch tat. Doch für Bruno war das alles der Beginn seines eigenen Todes.

Bei einem Interview am Semmering rief er mich an und sagte mir, dass es ihm so schlecht geht, dass er zu uns in die Lerchengasse kommen müsse, er könne unmöglich zu sich nach Hause in die Hameaustraße gehen. Ab da wohnte er bei uns. Er hatte schwere Panikattacken und es wurde alles sehr schwer. Trotzdem ging er seinem Beruf nach, wie zuvor und versuchte seinen Zustand nach außen hin zu verbergen. Mit neuen Beziehungen, die nun, wie er sagte, nur platonisch waren, da er keine Lust mehr hatte, versuchte er sein Befinden zu verbessern, was ihm dann auch zeitweise gelang, so feierten wir, wie schon oben erwähnt seinen 56. Geburtstag in Katzelsdorf, an dessen Feier auch Vater Seiser sich noch recht wohl fühlte, mit vielen Gästen in guter Stimmung. Aber bald danach, als ich eine Lesung aus seiner kurz davor erschienenen Gedichtsammlung „Bestandsaufnahme“ ansetzte, war er in so schlechter Verfassung, dass er mir sagte, er könne mit den Gedichten nichts anfangen, hatte sie dann aber doch, eher teilnahmslos gelesen. Kurz vor Weihnachten unterzog er sich einer Phimoseoperation, vielleicht war dies schon der Beginn der Metastasen. Anschließend fuhr er zur Kur nach Bad Gleichenberg und verbrachte dort Weihnachten und den Jahreswechsel. Von dort rief er mich jedoch an, dass es ihm psychisch sehr schlecht gehe und deshalb vom Arzt Psychopharmaka verschrieben bekommen habe. Und ab jetzt lebte er mit solchen. Für mich war das das Zeichen, dass Bruno nicht mehr Bruno war. Ich hatte zwar dies alles als psychisches Problem gesehen, jedoch zeigte sich nach seiner Rückkehr von einer Pressefahrt nach Florida das ganze wirkliche Problem in Form einer neuerlichen Melanomerkrankung.

 Bruno war vor 19 Jahren an einem Melanom erkrankt und man gab ihm eine Lebenschance von 3 Monaten, wenn er sich nicht einer Operation unterzogen hätte und einer anschließenden BBC – Behandlung. Unter den BBC – Behandelten war er einer der Wenigen, die dieses Versuchsprogramm erfolgreich überstanden haben und er stand 10 Jahre unter Kontrolle. Nach 10 Jahren hieß es, er könne den Krebs vergessen, er sei geheilt.  So erschien es uns auch, und so dachten wir bei seinen psychischen Downs niemals an die Möglichkeit einer neuerlichen Krebserkrankung. Umso zerschmetternder war die Diagnose vom 15. Februar 1995.

„Die schwarzen Gedichte haben mich eingeholt. Schwarz waren alle meine Gedichte, von einige wenigen abgesehen“ – und melancholisch war schon das Kind Bruno, wie es viele Fotografien zeigen. So konnten nur die „actions“ diese Seelenstimmung vertreiben oder vergessen machen: Journalist als Beruf !

BRUNOS LEIDENSWEG

Dieser Teil ist unter Bruno Seiser auf der Homepage zu finden

 

 

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