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DuineserElegien 2018

Auf den Spuren der Fahrenden Leute.

 

„Die Wäsche weg, die Schauspieler kommen !“ so war noch der soziale Status zu einer Zeit, als ich mich entschlossen hatte, zum Theater zu gehen, natürlich galten solche Sprüche nicht für den hehren Beruf am Burgtheater oder anderen Staatstheatern ausgeübt und ein wenig liebäugelten wir ja alle mit diesen. Aber die Bohemien galt lediglich auf der Bühne als reizvoll, in der eigenen Familie waren derlei Erscheinungen eher verpönt, so sagte mir die elegante Pariser Großmutter der 4-jährigen Florence, die ich während der Ferien in  Cabourg betreute: “Meine beste Freundin hat das Unglück, dass ihr Enkel Schauspieler ist.“ und dabei handelte es sich immerhin um den sehr erfolgreichen Jean Claude Pascal. Doch derlei Meinungen konnten  einen nicht abhalten – obwohl die Gagen ein Hungerlohn waren – zum Theater zu gehen. Und heute fast 75 – jährig bereue ich  diese Entscheidung keinen Augenblick.

Die Schauspielschule gerade gut beendet, dazu noch mit schönen Ergebnissen, so durfte ich zum Beispiel bei der Mozartwoche 1959 unter unserem Präsidenten Hofrat Bernhard Paumgartner die Madame Pfeil im „Schauspieldirektor“ spielen unter der Regie von - und als Partner - Geza Rech. Ganz am Anfang meiner Ausbildung durfte ich eine Lesung von „Daddy Langbein“ im Amerikahaus Salzburg machen.Um so hoffnungsvoller begab ich mich auf die Fahrt um ein Engagement zu erhalten, nicht etwa per Eisenbahn oder gar Flugzeug, von eigenem Auto ganz zu schweigen, den bürgerlichen Eltern Märchen erzählend, denn sie hätten Derartiges nie erlaubt:  AUTOSTOPP.

Anno 1959 konnte dies wohl auch schon einiges an Gefahren bringen, doch die Hoffnung, dass alles gut geht und zum erfolgreichen Engagement führt, war größer als die Angst.

Wir befinden uns auf der Ausfahrt nach Deutschland am Walserberg, einige 100 Meter von unserer eben verlassenen Schauspielschule entfernt. Ich wegen meines schlechten  Nervenzustandes nuckle an meiner Flasche Lezithin, im Gepäck habe ich ein Esspaket von zu Hause und 100.- Ö.S.,  dies für eine Fahrt, die mich bis Essen und Wuppertal bringen soll, denn dort hatten wir Vorsprechtermine. Wir, das sind Isolde und ich. Ja, allein wäre dies alles unmöglich gewesen, so half einer dem andern weiter, wenn der Mut ganz gesunken war, einerseits durch oft sehr langes Warten, bis wir wieder mitgenommen wurden, andererseits durch die Aussichtslosigkeit ein Engagement zu finden.

Auf unserer Route lagen Tübingen, damals ein sehr begehrtes Theater, leider stand man gerade vor einer Premiere, so dass wir nicht vorsprechen konnten. In Stuttgart hatten wir schon mehr Glück, der dortige Schauspielchef war mit dem großen Vorzeigeexemplar unserer Schauspielschule Johanna v. Koczian verheiratet und er gab uns einen Vorsprechtermin. Beim Stoppen immer warm und praktisch gekleidet begeben wir uns in eine Toilette, ziehen uns um, schminken uns und gehen so verschönt erwartungsvoll zum Vorsprechen.

Inmitten einer Improvisation fragt mich Herr Haugk :“Spielen Sie eine Hure?“ Ich war total irritiert: „Warum?“ „ Weil Sie die Hand in die Hüfte stützen?“ – er wird wohl seine Kriterien hinsichtlich Körpersprache ( falls er noch inszeniert ) inzwischen sehr revidiert haben müssen. Mich aber hat er damit damals total verunsichert. Isolde hatte bei ihm als Sentimentale mehr Glück – „denn vielleicht könnte in der nächsten Spielzeit dafür eine Vakanz sein.“ So durfte sie ihn dann später auf einen Ball begleiten. Engagement gab es leider keines. Immerhin gab es auf unserer Fahrt für Isolde so ein wenig Hoffnung. Und für mich gab es ja eine solche bis zum Ende unserer Fahrt, nämlich in Freiburg. So jedenfalls dachte ich.

Auf einer Autostoppfahrt – ich glaube es war die von Hamburg nach Salzburg – hatte ich den Redakteur einer Freiburger Zeitung kennen gelernt und er sagte mir: “Wenn Sie nach der Schauspielschule ein Engagement suchen, lassen Sie es mich wissen, denn ich habe gute Verbindungen zum Intendanten.“ So stellte ich mir Freiburg im Notfall als sicheren Hafen vor. Viel interessanter wären allerdings Essen, Wuppertal oder Bochum gewesen – deshalb Freiburg als letzte Station in unserer Planung.

Auf der Fahrt Richtung Wuppertal passierte uns das Missgeschick, dass wir bis zur Dunkelheit an einer Auffahrt zur Autobahn warteten ohne mitgenommen zu werden. Wir mussten aber spätestens um 22.00 Uhr in der Jugendherberge in Wuppertal sein, denn am nächsten Vormittag hatten wir bei Intendant Barfuß unser Vorsprechen. Wir entschlossen uns also, uns auf die Autobahn zu stellen und tatsächlich konnten wir einen großen Laster anhalten, dessen Beifahrer uns zurief  „Schnell, schnell, Mädels – das ist verboten!“ wir liefen ihm zu, selig, mitgenommen zu werden. Es war ein Sekttransport und wir bekamen gleich eine Kostprobe. Der Fahrer und der Beifahrer tranken keinen Tropfen, umso mehr Isolde und ich. In Wuppertal angekommen konnten wir nicht daran denken, in die Jugendherberge zu gehen, denn wir waren zu betrunken. So spendierte Isolde, die etwas besser bei Kasse war, das Hotel. Im  Zimmer angekommen setzten wir uns auf den Boden und lachten uns schief. Am Morgen im Theater lachten wir weiter, als der Intendant den Weg zur Probebühne nicht gefunden hatte. Ich glaube, wir waren noch immer beschwippst. Wir konnten auch unser Vorsprechen nicht beurteilen und wie es dem Intendanten gefallen hat, ist schwer zu sagen – jedenfalls hatte er keine Vakanz. Uns blieb die Hoffnung Freiburg.

Der sehr hilfsbereite Redakteur hatte uns ein Vorsprechen an einem Vormittag organisiert, welches ganz gut verlief, wir wurden beide recht positiv beurteilt, und danach von dem guten Mann, dem Redakteur, zum Mittagessen eingeladen. Nach dem ersten Glas Badischen Weins erfasste mich ein Heulkrampf, der nicht mehr aufhörte, so dass wir das  Lokal verließen. Der Redakteur fuhr zu seiner Zeitung und wir begleiteten ihn, dort verabschiedeten wir uns und bestiegen die Straßenbahn, aus der wir ihm zum Abschied – ich immer noch heulend  – zuwinkten. Eine Klosterschwester wollte mich trösten und fragte Isolde: „Ist das ihr Mann?“ Darauf brachen wir beide in schallendes Gelächter aus – die arme Klosterschwester wusste nicht, wie ihr geschah. Wir waren eben schon sehr am Ende. Und es war auch das Ende unserer ersten Reise auf  Engagementsuche.

Die zweite Reise zu diesem Zweck war mit meiner ehemaligen Seminarkollegin Ilse vorgesehen, die inzwischen in Wien ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Alle Vorsprechtermine waren fixiert. Nach Ostern sollte es losgehen und da bis Braunschweig, Berlin und  Hamburg. Kurz vor Abfahrt musste Ilse absagen und ich ging allein auf Fahrt mit ziemlichem Bammel.

Meine erste Station ist München, wo ich mich im Sekretariat der Münchener Kammerspiele vorstelle. Frau Herbert, die Chefsekretärin sagt mir, dass in der kommenden Spielzeit Herr karl paryla einen Nestroy inszenieren wird, deshalb würde sie mir rechtzeitig bei Herrn Paryla ein Vorsprechen organisieren. Ein guter Anfang für meine Fahrt und der erste Teil, das heißt bis Hannover, ging alles recht gut und ich hatte mich an das Alleinfahren gewöhnt. Es war Mitte April, sehr schönes Wetter, doch die Tage waren noch kurz. Als ich zur Ausfahrt Hannover – Braunschweig kam, begann es zu dämmern, und es kamen keine Autos. Als endlich ein Lieferwagen stehen blieb, sagte mir der Fahrer: „Sie können mitfahren, ich fahre nach Braunschweig, aber ich habe Lieferungen zu machen und mache deshalb Umwege.“ Gut, ich fuhr mit. Mein Koffer wurde hinten neben dem Brot  untergebracht. Nach ca.1 Stunde Fahrt, wir fuhren gerade durch einen Wald, blieb der Herr stehen – ich: „warum bleiben Sie stehen?“ er: „ich habe seit einem Jahr kein Mädchen gehabt“ ich, wie von der Tarantel gestochen, springe aus dem Auto, stürze auf die entgegengesetzte Straßenseite – auf der gesamten Straße weit und breit kein Auto – es ist eine große Biegung – in dieser Biegung sehe ich ein Licht – wie eine Wahnsinnige stoppe ich das herankommende Fahrzeug. Es sind Waldarbeiter und sie schimpfen mich, dass ich sie so gefahrvoll zur Notbremsung gezwungen habe. Ich bitte sie um Hilfe in dieser Situation, sie notieren das Autokennzeichen, der Fahrer will abhauen, ich sage, dass er noch meinen Koffer im Auto hat, die Arbeiter zwingen ihn, diesen herauszugeben und sie fahren mich nach Braunschweig zur Jugendherberge, die inzwischen geschlossen ist. Sie läuten den Verwalter heraus und erzählen ihm den Grund der Verspätung. Ich bekomme mein Bett, um am nächsten Tag fit zu sein für ein Vorsprechen, das nicht stattfindet.

Weiter geht es nach Berlin. Herr Alexander Selo, ein altwürdiger Theateragent, hält natürlich seinen Termin ein. Mein Vorsprechen gefällt ihm. Ja, Böhmbergerchen, sehr begabt. Nach allem, was war, eine Labsal.

Dagegen Hamburg bei Frau Höger, Theateragentin in den besten Jahren. Ich, die ich immer zu spät komme, komme bei ihr 5 Minuten zu früh: „Wissen Sie nicht, dass es unhöflich ist, zu früh zu kommen.“ Sie lässt mich im Wartezimmer warten. Ich nehme ein Journal aus dem Regal  und lese, Frau Höger kommt, ich lege das Journal ins Regal, "Wenn Sie in einer fremden Wohnung schon etwas angreifen, dann legen Sie es gefälligst wieder so hin, wie es gelegen hat. Jetzt kommen Sie!“ Ich folge ihr. Sie macht ihre Notizen. Bei der Frage „Größe“ sage ich "1,58 m“ Ich machte mich immer 1 cm größer als ich bin – Frau Höger springt auf, stellt sich neben mich und sagt: “Was?  Sie sind , wenn’s hoch kommt 1, 57 m . So jetzt sprechen Sie vor – aber bleiben Sie mir vom Leibe!“ Alles sehr verwirrend für mich und ich denke mir: am besten wäre, wieder zu gehen, doch schon geht es weiter: „Also, was sprechen Sie mir jetzt vor?“ Ich wähle den Schlussmonolog der „Widerspenstigen“. Frau Högers Kommentar: „Was Sie da machen, ist ja ganz hübsch, aber man kann Sie nicht ansehen. Ich rate Ihnen also: lassen Sie sich die Nase operieren, die Haare schneiden, anständige Fotos machen und dann kommen Sie wieder.“ Ich habe alles nicht gemacht und Frau Höger nie wieder gesehen. Gott hab’ sie selig.

Auf der Rückfahrt, ich habe inzwischen Ilses Zimmer in Wien für kurze Zeit übernommen, mache ich in Salzburg bei meinen Eltern Station und erfahre, dass ein Brief von den Kammerspiele München angekommen ist, den sie mir aber nach Wien nachgeschickt haben.

In der Annahme es handelte sich um einen Vorsprechtermin, den ich um alles in der Welt nicht versäumen will, stoppe ich nach München, gehe zu den Kammerspielen, erfahre allerdings, dass Herr Paryla in Wien ist. So stoppe ich schleunigst nach Wien und rufe Herrn Paryla an, der einige Tage in seinem Haus in Mauer verbringt. Er ist sehr kommunikativ und sagt mir, ich solle am nächsten Tag zu ihm kommen mit gelerntem Text der ersten Szene der Marie aus „Einen Jux will er sich machen.“  Ich lerne die ganze Nacht. In größter Aufregung fahre ich am Morgen nach Mauer. Herr Paryla empfängt mich sehr freundlich, führt mich in sein Arbeitszimmer, in dem auf einem Tisch sein dickes Regiebuch liegt. Er schickt mich ins Nebenzimmer und gibt mir die Anweisung, aus diesem aufgeregt herauszustürzen mit den ersten Worten der Marie: „August, das schickt sich nicht!“ Ich befolge seine Anweisung und er spielt den August, indem er mich von unten nach oben an sich reißt, schauspielerisch sicher erstklassig, doch ich erstarre. Die Szene muss deshalb mehrere Male wiederholt werden und wird eher schlechter als besser. Herr Paryla erbarmt sich meiner und setzt sich an seinen Regietisch und bittet mich zu ihm. Er setzt mich freundlich auf seinen Schoß und stellt mir Fragen, unter anderem : „Haben Sie schon einmal mit einem Mann geschlafen?“ Ich verneine dies. Das hatte er natürlich vermutet, denn das zeigten ihm ja meine Hemmungen. Wenn man überzeugend spielen möchte, müsse man dieses Erleben hinter sich haben, worauf ich ihm besserwisserisch sage: “Wenn Sie auf der Bühne einen Mord begehen, werden Sie doch hoffentlich im Leben vorher nicht gemordet haben". worauf er mir sagt: „Aber man muss das Gefühl haben, wie Morden ist.“  „Ja, und ich habe das, wie Lieben ist.“ „Das kann man nicht, wenn man es nicht erlebt hat.“ „Gut, ich werde wiederkommen, wenn ich es erfahren habe.“ Trotzdem ein freundlicher Abschied.

Am selben Tag schreibe ich einen Brief an Isolde, die inzwischen in München lebt. Ich rate ihr, sofort mit den Kammerspielen in Kontakt zu treten und um ein Vorsprechen bei Herrn Paryla zu bitten. Wenn es dazu  kommt, dürfe sie bei seinen Fragen, nicht die Wahrheit sagen. Isolde hat dann diese Rolle an den Kammerspielen sehr schön gespielt und hatte damit einen  guten Einstieg in die Theaterarbeit..  

Nachdem ich ohne Engagement, nicht mal mit  Empfehlungsbriefen von Herrn Dr.Matiasek, um die ich ihn hätte bitten dürfen, nach Wien gegangen bin, dort in der Veterinärmedizin das Buffet machte, täglich in die Franziskanerkirche zur Messe ging, um in meinem armseligen, kalten Untermietzimmer in der dunklen Ballgasse nicht zu verzweifeln, schickte mir Herr Selo einen Anfängervertrag an das Deutsche Theater von Buenos Aires. Dies kam für mich einem Wunder gleich. Drei Hauptrollen, mehrere Nebenrollen. Die Kollegen ausschließlich deutsche Schauspieler. Ich natürlich die Jüngste und einzige Österreicherin.

3 Wochen Schifffahrt. Genua – Buenos Aires. Hier aufgenommen von ehemaligen Emigranten aus Wien, Berlin, Hamburg. Geradezu auf Händen getragen. Permanent Einladungen, Geschenke und sehr viel  Gastfreundschaft. Es war eine traumhafte Zeit. Auch die deutschen Kollegen am Theater waren sehr hilfreich, obwohl sie sich über mein rollendes –R, das ich mir am Schauspielseminar mühsam erarbeitet hatte, lustig machen: „Du bist halt eine Wiener Mitzi“ – so die ewige Sage von Gert Haucke, den ich wiederum total „berlin’sch“ finde.  Alles in allem gute Kumpeln die Berliner und wir haben uns alle sehr gemocht.

 

Nach diesem argentinischen Intermezzo – es waren leider nur 6 Monate – ging ich zurück nach Salzburg. Hier versuche ich, jede Möglichkeit zu nützen, um Regisseuren und Intendanten vorzusprechen. Dabei kommt es zu einer interessanten, aber auch sehr belastenden Begegnung. Es wurde mir ein Vorsprechtermin in einem Hotelzimmer eingeräumt, den ich frank und frei angenommen hatte, doch der Regisseur, mit etwas neurotischem Verhalten, drückte plötzlich einen Kuß in mein Haar und begann zu masturbieren mit der Bitte, mich nicht zu entfernen. Ein Schock für mich, die ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts Ähnliches erlebt hatte. Ich hatte lange mit diesem Erlebnis zu kämpfen. Dr. Mathiasek, der damalige Intendant am Salzburger Landestheater, dem ich den Namen des Regisseurs nannte, sagte: „War er mit Ihnen auch im Wienerwald?“ Man kannte also das Verhalten des Regisseurs. Ich war also kein Einzelfall.

Ja, es war dann übrigens am Landestheater Salzburg, wo ich als Gast einen Nestroy spielen durfte, um dann bei den Festspielen unter der Regie von Leopold Lindtberg in den monumentalen Faustchören mitzuwirken.

Im Herbst darauf wollte ich nun endlich in Paris meinen Traum von der „école de mime“  verwirklichen.

Den ersten Versuch dazu machte ich bereits im Sommer vor meinem letzten Seminarsjahr, jedoch musste ich damals Paris verlassen, weil es im Sommer dort keine Arbeit für mich gegeben hatte und damals fand ich meine späteren Freunde Marie-Odile und Antoine de Bary, um deren Kind ich mich kümmerte, da sie in Italien Ferien machen wollten. Ich verbrachte mit Pauline einige Wochen in Burgund und dann bei ihrer Taufe auf dem Schloß Rousson, Besitz der riesigen Familie de Bary, wo ich im Turm ein Zimmer bewohnte.Vor meiner Heimreise verbrachte ich noch einige Wochen in Paris um da in Theatern, Museen, Museen, Theatern zu leben, körperlich ernährt von Baghettes und Milch, Milch und Baghettes. Auch Ilse war zu der Zeit in Paris und wir stoppten zusammen nach Brüssel zur  Weltausstellung. Von dort weiter, sie in Richtung Holland , ich nach Hamburg, wo ich bleiben wollte, um statt in Salzburg, dort mein letztes Jahr Schauspielseminar zu absolvieren. Auf der Fahrt in einem Laster überfahren wir einen Schäferhund, weiters sehen wir, wie bei einem Unfall einer auf einer Bahre weggetragen wird, das ist mir zu viel. In Hamburg angekommen schaffe ich es gerade noch bis zur Jugendherberge  am Jungfernstieg, doch schon vorher in der S-Bahn begannen sich die Stimmen lautstark zu vermischen und in der Jugendherberge spreche ich nur noch französisch und bitte darum, einen Arzt kommen zu lassen. Als mir dieser eine Spritze verabreic ht, kämpfe ich bis zum Morgen, um nicht einzuschlafen im sicheren Glauben, dieses brächte mir den Tod.

Am Morgen nach dem Frühstück gehe ich heulend auf Zimmersuche, die Tränen fließen ohne Unterlass. Nach zwei Tagen finde ich ein Zimmer. Jeden Nachmittag gegen Dämmerung falle ich in Depressionen, denen ich durch Theaterbesuche entfliehe. So sehe ich im Schauspielhaus die schönsten Vorstellungen und vergesse niemals Grabbes: “Don Juan und Faust“ in einer phantastischen Inszenierung von Gustav Gründgens. An einem Vormittag gehe ich zu einem Nervenarzt, der mir dringend rät, schleunigst in meine Familie zurückzukehren, was ich dann auch tue, zumal mein Zustand sich nicht bessert und mein angebeteter Gründgens keine Schauspielschule hat.

Nach dieser Rückblende zurück Richtung Paris. Trotz größeren Gepäcks fuhr ich auch diesmal Autostopp. Ich wusste, wie teuer Paris ist, also musste ich sparen, wo es nur ging.

Ich kam auch gut voran, doch am späten Nachmittag setzte starker Regen ein, deshalb fuhr ich von meinem Zwischenstopp, der nicht sehr weit von Paris entfernt war, mit dem Zug weiter. In einem Abteil saß ein Franziskaner ich setzte mich zu ihm und wir hatten ein schönes Gespräch. Vor der Ankunft am Gare de l’Est gab er mir die Adresse seines Klosters, falls ich Hilfe benötige. Ich besuchte ihn später des öfteren und  bete noch heute in dem Missel, den er mir schenkte, mein guter Frère Danièl.

In Paris fuhr ich noch abends nach Passy, denn ich hatte ein Schreiben von Essigmanns, einem Salzburger Ehepaar an eine liebe alte Dame, die gegen geringfügige Hilfe ein Dienstbotenzimmer zu vergeben hatte. Ja, sie nahm mich noch am Abend auf und führte mich in das Zimmer. Für mich war dieses, die ich von Wiener Untermietzimmern nicht verwöhnt war ein Albtraum. Das Zimmer selbst war normal möbliert, jedoch, wo es sich befand, war für unsere Verhältnisse unvorstellbar. Kellergänge kreuzten sich, Zimmer an Zimmer, irgendwo für viele Zimmer zusammen ein „französisches“ WC. . Ich frage mich jetzt, wo holte ich das Wasser? Es ist meinem Erinnern entfallen.  Und dies im vornehmen 16. Arrondissement, dem Nobelbezirk von Paris. Ich wohnte dort wohl einen Monat, dann sagte mir Mme. Berbigier, ich müsse leider ausziehen, da das Zimmer einer jungen Deutschen von ihr versprochen war. Diese kam und da das Bett ein Ehebett war, wohnten wir solange zu zweit, bis ich zu Marie-Odile ziehen konnte. Antoine musste in den Algerienkrieg , und da  Marie-Odile berufstätig war, konnte ich sie bei der Erziehung von Pauline unterstützen. Es waren schöne Tage.

Die Wohnung liegt auf dem Place Edgar Quinet am Montparnasse, sie gehörte Marie – Odiles Eltern in Casablanca, die nur im Sommer einige Monate nach Paris kamen und in dieser Zeit lebten dann die de Barys in ihrem ausgebauten Dachboden in der rue Gramont  nahe der Oper mit Blick aus dem Küchenfenster auf die Opéra Comique. Ich habe dann später in dieser Wohnung einige Jahre gewohnt. Jetzt aber der Blick auf den Place Edgar Quinet, auf das Café, in der Haustür dieses Hauses steht ab ca. 17 Uhr eine in die Jahre gekommene, eher elegante Dame und wartet auf  Kundschaft. An einem Sonntag Nachmittag im Winter wird ein kleiner Teppich auf dem Platz ausgebreitet, zwei  Männer mit nacktem Oberkörper stellen sich den Vorübergehenden zur Schau, die meisten von ihnen bleiben stehen und warten auf ein Spektakel. Der Magere wird in Ketten gelegt, gibt vor, die Ketten sprengen zu wollen,

der Beleibte ruft: „ Ne bouges pas“ er sieht in die Runde und sagt, die Zuschauer hätten noch nicht bezahlt. Diese werfen einige Francstücke auf den Teppich, der Angekettete stellt sich an, seine Ketten zu sprengen, der Dicke unterbricht die Aktion und bringt einige Päckchen Gauloises zur Verlosung, er zählt das Geld und stellt fest, dass noch nicht alle Zuschauer bezahlt hätten, wieder werden einige Geldstücke hingeworfen, sie werden gezählt und der Dünne begibt sich in Pose und dehnt seinen schmächtigen Brustkorb.“ Halt, halt, wir haben etwa vergessen.“ Es wird ihm noch eine Kette verpasst. Mehrere der Zuschauer gehen, andere kommen hinzu, der Ablauf wiederholt sich und mit der Zeit verlasse auch ich meinen Fensterplatz und habe daraus einiges gelernt.

In meinem „cours de mime“ , ja, ich bin inzwischen inskribiert, wiederhole ich diese Nummer. Etienne Decroux, der Vater der modernen Pantomime - dieses Wort ist allerdings verpönt – ist leider nicht in Paris, er wurde von Frau Piscator nach New York engagiert und so leitet sein Sohn Maximilien die Schule und den Unterricht. Und für ihn beginne ich in platonischer Liebe zu schwärmen, die mich vor vielen Gefahren in Paris bewahrt.


Nach dem Unterricht gehe ich oft mit Esther, einer Holländerin ins Café, bevorzugt in die „Pallette“, rue de Seine. Im Sommer sitzt man auf der Terrasse, und einmal am Nebentisch unterhalten sich zwei Männer über Griechenland und die deutsche Besatzung, sie versuchen uns, die wir miteinander Deutsch gesprochen hatten, ins Gespräch zu ziehen, was ihnen natürlich gelang. Bevor wir uns verabschiedeten, gaben sie uns die Adresse eines Ateliers, wo sie ein Abendessen machen wollten, zu dem sie uns einluden. Immer wieder musste dieses verschoben werden, einmal hatte ich keine Zeit, das andere Mal war Esther verhindert. Als wir nun endlich einen Termin fixiert hatten, musste ich am selben Tag absagen, da ich nach einer Nacht Filmstatisterie mit einer Angina nach Hause kam. Esther, die nun allein zu diesem Essen gehen sollte, wollte unbedingt, dass Charis, so hieß einer der beiden Griechen, sich von der Wahrheit überzeugen sollte und kam mit ihm mich besuchen. Ich lag vollkommen vermummt im Bett und man sah lediglich die Nasenspitze. Noch Jahre später, als er längst mit Esther verheiratet war, sagte er immer, dies wäre eine Verkleidungsszene gewesen.

In Paris war das Leben selbst Theater. Die Pariser Polizisten nannten mich „ma  petite cousine“, weil ich im Winter so wie sie, ein Cape trug. An einem Donnerstag Vormittag führte ich das Brüderchen eines meiner Deutschschüler im Kinderwagen im Park spazieren, plötzlich tritt von hinter einem Baum ein Exhibitionist in Erscheinung, ich erschrecke, will weg – ein Hexenschuß – und ich kann nicht mehr weiter. Als ich mich wieder bewegen kann, der Mann ist längst verschwunden, gehe ich schimpfend auf einen Polizisten zu, von denen mehrere im Park patrouillieren, er sieht mich lächelnd an und sagt resignierend: „Mais vous savez, Madame, heute ist Donnerstag – schulfrei – da ist der Park voll von diesen“. Ein andermal in der Stoßzeit in der U-Bahn: mir gegenüber sitzt onanierend ein Mann, zum Schutz hält er sich die Aktentasche vor. Kein Mensch kümmert sich darum. Ein andermal in der U-Bahn ein Blinder, er liest aufrecht sitzend, Blick nach oben gerichtet in Blindenschrift, hält inne und beginnt schallend zu lachen. Und ich selbst lebe dieses Theater. An einem Allerheiligentag lese ich „Die Blumen des Bösen“. In Baudelaires Biografie lese ich auch, dass er auf dem Friedhof  Montparnasse begraben liegt, also keine 10 Minuten vom Place Edgar Quinet entfernt. Ich schaue auf die Uhr: es ist ½ 6 Uhr abends. Ich laufe zum Blumengeschäft, kaufe ein wunderschönes Bouquet, eile zum Friedhof. Dort will man gerade abschließen. Ich bestürme den Wächter, ich müsse noch unbedingt das Bouquet auf Baudelaires Grab legen und bitte ihn, mich dorthin zu führen. Er schreitet voran und fragt mich: „Sind Sie verheiratet?“ Auf die Verneinung seiner Frage sagt er lapidar: “Ja, altes Mädchen, verrücktes Mädchen“

Sobald Antoine aus dem Algerienkrieg zurückkehrt, beziehe ich die Wohnung in der rue Gramont. Ich miete sie ( die Sommermonate, in denen sie von den Barys gebraucht wird, bin ich immer in Salzburg ) und sie ist für mich in jeder Beziehung ein Privileg. Georg Frischenschlager, ein Salzburger, später Solocellist an der Volksoper in Wien, den ich hier in Paris in der rue St. Simon im Hause der Cécile d’Armagnac, der Tante von Freunden, die auch hier wohnen, kennen gelernt habe, gibt mir den Rat, zwecks Lebenserhaltung mich in der Berlitzschool zu bewerben und diese befindet sich keine 10 Gehminuten von der rue Gramont entfernt.

Herr Westheimer, der Leiter der Deutschabteilung ist mir gut gesonnen und nach einem Unterrichtskurs, den er selbst leitet, ist er mit meiner Leistung zufrieden und ich werde als Deutschlehrer angestellt. Eine gute Kombination zu meiner künstlerischen Arbeit, die mir ein relativ sicheres Einkommen ermöglicht. Dazu habe ich sehr nette Kollegen. Einer von ihnen ist Herr Melms, er ist ein begabter Mathematiker und studiert in Paris, er wohnt in einem Hotel, das er zur Osterzeit des Tourismus wegen verlassen muß. Da meine Wohnung sehr groß, aber nur minimal möbliert ist, sage ich ihm, dass er, falls er eine Luftmatratze mitbringt, in einem Kabinett übernachten kann. Er kam und schlief in seiner Tageskleidung auf seiner Luftmatratze. Ich jedoch wurde von dem jungen Hausmeisterpaar verdächtigt, ich würde mit einem Mann zusammen sein und als ich am Karsamstag am Abend beim Schuhputzen war, klopfte es an die Wohnungstür. Der Hausmeister kam unter irgendeinem Vorwand, um bei mir zu spionieren.

Ich habe erst später erkannt, wie sehr die Hausmeister an dem Geschehen im Haus interessiert waren: einer ihrer Aussprüche mir gegenüber war: „In diesem Haus gibt es nur Juden.“ Sehr oft hielt man mich in Paris für eine Jüdin, da man oft meinen Namen mit der reichen jüdischen Familie Bromberger assoziierte. So fragte mich ein hübscher, blonder amerikanischer Schüler von Decroux auf jiddisch: „Bist Du eine von den Unsrigen?“ Als ich das verneinte, interessierte er sich nicht mehr weiter für mich.

Vor Ostern hatte ich viele festlichen Vorbereitungen getroffen, umso mehr, da mir Isolde angekündigt hatte, dass der Intendant des Deutschen Theaters von Santiago di Chile nach Paris kommt und sie ihm meine Adresse gegeben hat. Am Ostersonntag war ich, sowie Esther, die inzwischen mit dem Maler charis voyatzis verlobt war, bei ihm zu einem Osteressen eingeladen. Wir feierten ausgiebig mit Osterlamm und Retzina. Als ich schon ziemlich angeheitert in der Morgendämmerung das Fest allein verlasse, merke ich, dass ich nicht mehr sehr sicher in meinem Gang bin, also setze ich mich ins Gras ans Seineufer in mein Cape gehüllt. Zuerst nicke ich ein, dann im Aufwachen beginne ich über die Situation laut zu lachen, was zwei Clochards auf mich aufmerksam macht, sie nähern sich mir, ich stehe auf, sie fragen mich, vielleicht wirklich besorgt, ob sie mich begleiten dürfen. Ich sehe sie mir an und finde, dass ich ihnen vertrauen darf. Wir gehen plaudernd – immerhin gut ¾ Stunden bis zu mir nach Hause. Ich lade sie zu einem Osterfrühstück ein, ohne Angst, da ja Herr Melms  anwesend ist. Beim Eintreten rufe ich: „Herr Melms, wir haben Besuch!“ und gleich springt er auf von seiner Luftmatratze und begrüßt uns etwas erstaunt. Ich decke den Tisch und bringe Torte, mache Kaffee und wir beginnen zu schmausen. Plötzlich klopft es, ich gehe an die Tür, öffne: ein Herr im Silberstreif und Melone: Der Intendant aus Santiago, Herr Olzcewski. Ich führe ihn ins Zimmer, mache bekannt. Meine zwei Clochards stehen auf und sagen, sie müssten gehen, sie hätten zu tun. Herr Olzcewski, Herr Melms und ich trinken Kaffee und ich erzähle meine Geschichte, worauf Herr O. sagt, das könne man nur in Paris erleben. Er selbst habe hier, bevor er nach Südamerika ging als Boy Schuhe geputzt. Auch Herr Melms verabschiedet sich und ich spreche Herrn O. die Szene „Gretchen im Kerker“ vor. Leider kommt es aber nicht zu einem Vertrag. Ich wäre zu gerne nochmals nach Südamerika gegangen. Isolde aber hatte dann das Glück, in Chile ein Engagement zu bekommen.

Da ich natürlich auch sehr gerne in Paris Theater gespielt hätte, machte ich die Aufnahmeprüfung in der privaten Schauspielschule „René Simon“ Ich sprach die Antigone aus den „Fliegen“ vor und Herr Simon sagte:“Vous etes tragédienne“. Ich sagte ihm, dass das mit meiner Körpergröße von 1,57 m unmöglich ist, worauf er mir in einer Suada erklärte, dass der größte französische Tragöde Talma nur 1,60 groß war. Ich hätte ihm gerne geglaubt, doch blieb ich dann doch lieber im Charakterfach. Heute gibt es keine Facheinteilung, doch noch in den 60er Jahren erhielt man ausschließlich Fachverträge.

 

Ich blieb also letztlich doch nur in der „école de mime“ und arbeitete weiter in der Berlitz- School.. Abends ging ich sehr viel ins Theater, oft zusammen mit Jorgo Lavelli, damals ein sehr lieber noch nicht bekannter Theaterkollege. Wir hatten einen Ausweis vom Institut du theatre, rue du Helder, mit dem wir Freikarten bekommen haben und so sah ich die besten Inszenierungen. Besonders interessant war das „Theatre de nation, das jedes Jahr mehrere Wochen dauerte. Eines Tages gab mir Jorgo eine Einladung in das Theater der „Alliance francaise“. Es war für eine Aufführung des „Theatre de Monsieur, Monsieur“, die er selbst zauberhaft  inszeniert hatte. Bald darauf zeigte er mir Kostümentwürfe für eine französische Uraufführung : „Le Mariage“ von Witold Gombrowicz. Dieser polnische Dichter lebte in Argentinien und Jorgo Lavelli, selbst Argentinier, kannte ihn und hat ihn dann, so glaube ich, zum ersten Mal in Europa aufgeführt. Es wurde ein Riesenerfolg in Paris: der Beginn eines neuen Theaterstils und Jorgo Lavelli wurden damit die Tore zum  Pariser Theater geöffnet. Bald hat er mich zu seiner „Medea“ ins Odeon eingeladen. Dieses Haus unter der Direktion von Jean Louis Barrault war neben dem TNP das beste Theater von Paris. Also Jorgo hatte seinen Weg gemacht. Ich habe ihn dann kaum mehr gesehen. Zuletzt habe ich in einem Radiointerview von Isabel Karajan gehört, dass er mehrere Inszenierungen mit ihr gemacht hat. Er ist alles in allem inzwischen eine Institution im Pariser Theaterleben und nun  auch schon fast 80 Jahre alt.

Meine künstlerische Arbeit in Paris war außerhalb der Schule sehr reduziert, jedoch durfte ich einige schöne Literatur - Lesungen im Institut culturel d’Autriche unter der Leitung eines sehr feinen Menschen machen: dem alter Herrn Dr. Pariser. Über das Institut lernte ich einige sehr interessante Leute kennen unter andrem eine emigrierte Wiener Malerin, der ich Modell saß. Ich würde dieses Ölbild heute gerne besitzen. Leider habe ich den Kontakt zu vielen Parisern durch meine ewige Wanderschaft wieder verloren. Ein Freund, mit dem ich über seinen Tod hinaus durch Simone, seine Frau verbunden blieb, war mein Chansonlehrer Charles Leval. Die Verbindung ergab sich über Conny Daehn, bei dem ich einige Chansonstunden in Berlin genommen hatte. Er arbeitete seinerzeit mit Marlene Dietrich. Als ich zu ihm kam, musste ich ihm meine genauen astrologischen Daten bringen. Als es sehr fraglich war, ob ich als Aszendenten Waage oder Jungfrau habe, sagte er mir, er hoffe, dass es die Jungfrau ist, denn mit zwei Luftzeichen sei es aussichtslos Karriere zu machen. Da ich aber wieder nach Paris fuhr, gab er mir Charles Levals Adresse. Mit diesem nahm ich dann den Kontakt auf und wir verstanden uns in allem bestens, ganz besonders lieb war auch seine großartige Frau Simone. Sie erinnerte mich immer an meine älteste Schwester.

Charles war Hamburger und ist nach Paris emigriert, als die Deutschen Paris besetzten, hatte er in der Familie von Simone seinen Unterschlupf gefunden und letztlich so den Krieg überdauert. Charles ein sehr feiner, intelligenter Künstler hatte niemals über die Schrecklichkeiten des Holocausts ein Wort verloren. Er war politisch sehr an den Entwicklungen der Gegenwart interessiert. Eine Befreiung der menschlichen Dummheit erhoffte er sich durch die Wissenschaft und Kunst. Er komponierte viel für Klavier und hatte auch klavierspielend 82-jährig seinen Atem ausgehaucht. Ich hoffe, dass seine Kompositionen noch entdeckt werden.

Entdeckt  zu werden hätte ich auch meinem Mime – Kollegen Elias Ritvo gegönnt. Er war Israeli, eine große Begabung und sehr bescheiden, dazu fastete er unentwegt aus finanziellen Gründen. Er begleitete mich oft nach Hause und ich wollte ihn bei mir zum Essen einladen, doch er rührte nichts an mit dem Argument, wenn er zu essen beginnen würde, hätte er dann vielleichter Hunger. Als er mir eines Tages eine Menge Ketten schenken wollte, er fabrizierte sie eigentlich zum Verkauf, sagte ich ihm, dass ich mich auf den pont des arts setze und sie ihm verkaufe. Zu diesem Zweck fragte ich Marie-Odile bezüglich Verkaufspreis. Ich glaube, sie setzte diesen viel zu hoch an, denn ich verkaufte, obwohl ich einen ganzen Sonntag dort saß, kein einziges Kettchen, obwohl diese sehr hübsch waren. Das einzige, was ich dabei erreichte war: John, ein junger Chilene, den ich auf dem Schiff nach Buenos Aires kennen gelernt habe und der in Paris studierte, kam mit einer schönen Südamerikanerin über die Brücke, sah sich die Kettchen an und verabschiedete sich höflich. Er war sicher der Meinung, ich sei total heruntergekommen. Wir haben uns dann nie wieder gesehen. Seine Tante, eine Kunstsammlerin und Frau eines Börsianers, die mir sehr gewogen war, vielleicht dachte auch sie, ich sei Jüdin, jedenfalls hätte sie mich gerne mit John verbunden gesehen, erzählte mir, dass John wieder in Chile sei. Mag sein, dass er dann die schöne Südamerikanerin geheiratet hatte.

Noch immer wohnte ich in der Dachwohnung in der rue Gramont. Angst hatte ich dort immer. Eines Nachts hörte ich Schritte auf dem Dach. Da das Fenster im Bad nur aufzuheben war, also jederzeit mit einigen Handgriffen jemand einsteigen konnte, alarmierte ich die Polizei.  Zuerst sagte man mir: „Ah, Mademoiselle, das ist sicher ein Mann, der zusehen möchte, wie sich ein junges Mädchen entkleidet.“ Dann aber kamen relativ schnell zwei Polizisten und suchten das Dach ab. Dies war leicht, denn es wurden gerade Reparaturen ausgeführt. Sie wurden nicht fündig. Kaum jedoch waren sie fort, begann von neuem jemand auf dem Dach zu gehen. Es waren die Seile, die vom Wind auf das Dach geworfen wurden und ein Geräusch des Gehens erzeugten.

Bei aller Angst, die ich in dieser Wohnung hatte, öffnete ich eines Abends einem Unbekannten. Er behauptete, er habe damit gerechnet, Antoine würde hier wohnen. Antoines Name stand tatsächlich an der Wohnungstür. Ich glaubte ihm also und bat ihn, hereinzukommen. Er sagte mir, er habe gehofft bei Antoine übernachten zu können, Er kam aus Südfrankreich. Ich sagte ihm, er könne oben auf der Loggia übernachten und brachte ihm einige Decken. Selbst habe ich allerdings nicht geschlafen, da ich doch eine gewisse Vorsicht walten ließ. Am Morgen machte ich das Frühstück und der Fremde sagte mir: „Dass ich hier die Nacht verbringen durfte, ist für mich ein gutes Omen für meine Zukunft.“ Und dann erzählte er mir, dass er seine Familie in Südfrankreich verlassen hatte, um nach Paris zu gehen. Antoine kannte er nicht, sondern auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht, erhoffte er beim Lesen des Namens an der Tür, Hilfe. Nach dem Frühstück verabschiedete er sich und ging seiner Wege. Einige Wochen später fand ich in der Tür einen Zettel, auf dem er mich bittet, ihn im Café de la Trinitée zu besuchen, wo er als Kellner eine Stelle gefunden hatte. Ich ging hin und war sein Gast.

Da die Angst in dieser Wohnung mein ständiger Begleiter war überredete ich Esther, bei mir zu wohnen. Sie hat das auch gerne gemacht und wir fühlten uns zusammen auch sehr wohl.

Als ich vor Weihnachten nach Salzburg fuhr, war es damals auch in Paris sehr kalt, so dass die Wasserleitungen zufroren. Esther verließ nach mir die Wohnung und fuhr nach Holland, als sie von dort zurückkam, stand die Wohnung unter Wasser, das noch zwei Stock tiefer hinuntersickerte. Zuerst schrieb sie mir diese Schreckensnachricht nach Salzburg. Dann kam ich angereist und musste mich mit dieser Katastrophe auseinandersetzen, deren Ursache ein tropfender Wasserhahn war, der sich als das Eis in den Rohren geschmolzen war durch den Druck öffnete und das Wasser in vollen Strömen laufen ließ.

Ich ging zur Österreichischen Botschaft und Herr Dr. Perthain, der mir auch als Arzt des öfteren  geholfen hatte, sagte mir, Sie haben damit nichts zu tun, es ist die Sache des Vermieters. Ich sagte ihm, dass die Vermieter Freunde sind und da der Mann freischaffender Maler ist, auch selbst nicht auf Rosen gebettet sind. Dr. Perthain meinte dazu:“Edel können Sie sein, wenn Sie das Geld dafür haben.“ Ich hatte es nicht, sagte aber Marie-Odile, dass ich die Kosten per Abzahlung übernehme. Esther, die eigentlich recht gut situiert war, vertrat Dr. Perthains Rechtsstandpunkt und zog sich, indem sie die Wohnung verließ, aus der Affaire. Ich habe dann diese Freundschaft für beendet betrachtet. Marie-Odile meldete den Schaden der Hausversicherung und als der Gutachter kam, um den Fall zu überprüfen, saßen wir zitternd in der Küche in der Hoffnung, dass die Versicherung die Sache übernimmt – und sie hat sie übernommen. Marie-Odile  und ich fielen uns in die Arme.

Wie gesagt: Allein in dieser Wohnung war mir nie wohl, so griff ich die Idee von Georg Frischenschlager auf, mich um ein Zimmer im Maison d’Autriche zu bewerben, das gerade eröffnet werden sollte und da ich immer guten Kontakt zur Botschaft hatte, wurde mir eines zugeteilt. Am Abend der Eröffnung, zu der ich eingeladen war, kamen dann noch einige zu mir und man wunderte sich, wie ich diese Behausung gegen ein Zimmer im Heim austauschen kann. Ich überdachte die Sache und fand mich selbst sehr albern, so dass ich das Zimmer im Maison d’Autriche am nächsten Morgen kündigte.

Ende Juni gegen Schulende, bat mich Maximilien zu einer Aussprache. Er teilte mir mit, dass er die Schule verlässt, da sein Vater wieder nach Paris zurückkehrt und selbst die Schule weiterführen würde. Maximilien hatte zu seinem Vater, auch zu seiner Mutter ein eher gestörtes Verhältnis und tat damals den Absprung. Ich wollte nicht wieder einen neuen Versuch starten und entschloss mich, nun endlich wieder zum Theater zurückzukehren. Nach Salzburg fuhr ich ja wie immer in den Ferien, dort hatte ich noch immer in den Faustchören zu tun, aber anschließend wollte ich nach Berlin gehen. Aus diesem Grund kündigte ich bei Berlitz. Herr Westheimer wollte mich am liebsten nicht gehen lassen, doch es mußte sein. Ich räumte die Wohnung in der rue Gramont, die auch verkauft werden sollte und fuhr mit Hab und Gut nach Salzburg. Diesmal allerdings mit dem Zug.

In Salzburg traf ich unter anderem zufällig Thomas Bernhard, der gerade vom Arzt gekommen ist. Wir gingen zusammen ins Café Tomaselli, wo er mir von seiner Angst bei  schweren Erkältungen klagte, deshalb auch sein Arztbesuch. Er sagte, dass im Laufe seiner Lungenkrankheit, der Pneu angewachsen war, weil er die Zeit zum Austausch überschritten hatte und dass daher die Gefahr bestehe, dass dieser bei einer Bronchitis wieder aufbricht. Weiters erzählt er mir von der Problematik im Bezug auf seinen Bauernhof, den er damals gerade erworben hatte daß gewisse Paragraphen einer Renovierung im Wege stünden. Letztlich jedoch wird sich dieses Problem gelöst haben, wie die Zukunft gezeigt hat.

Während der Festspiele war ich sehr unzufrieden und ich fühlte mich nicht wohl. Nach einer Probe hatte ich starke Bauchkrämpfe. In der Angst vor einer akuten Blindarmentzündung ließ ich mich in das Sanatorium Wehrle fahren., doch dort gab es Entwarnung. Die Festspiele waren zu Ende und abermals befielen mich die Krämpfe. Meine Schwester war gerade in Salzburg auf Besuch und brachte mich in das Landeskrankenhaus. Dort wurde ich zur Beobachtung aufgenommen. Ich lag schon zwei Tage, da wurde ich unruhig, denn die Theatersaison stand vor Beginn und ich musste nach Berlin. Ich unterschrieb einen Revers und verließ das Krankenhaus. Mein Vater wollte mich nicht reisen lassen und ich verließ gegen seinen Willen Salzburg. Meine liebe, immer hilfsbereite Traudi Pilz, inzwischen als Eva Pilz in Wien bei Qualtinger Karriere machend, brachte mich zum Bahnhof und versah mich mit der Berliner Adresse von Ronnefeld, cousin des Komponisten Peter Ronnefeld, der uns an der Schauspielschule Musikunterricht gegeben hatte. Sie meinte, vielleicht könnte ich dort vorübergehend wohnen. Tatsächlich war dem so. Ich war glücklich und graste alle Berliner Theater ab, ob ich irgendwo spielen könnte. Und am Schlossparktheater fand ich bei Herrn Lecoq freundliche Aufnahme, denn er war dabei Anouils „Ball der Diebe“ zu inszenieren und da er selbst Pantomime war, sollte dies mit viel Pantomime ausgestattet werden. Er freute sich, dass ich Schülerin von Maximiien Decroux war, den er natürlich gut  gekannt hatte, und sagte mir, ich sei von ihm engagiert. Das war an einem Nachmittag und ich sollte am nächsten Tag ins Theaterbüro zum Vertragsabschluß kommen. Am selben Abend auf dem Weg zu einer Theateraufführung überfielen mich Bauchkrämpfe. Ich legte mich zuerst auf eine Bank am Straßenrand, doch dann bat ich einen Passanten, die Rettung zu rufen. Sie kam und brachte mich ins Krankenhaus Wilfersdorf. Dort wurde ich noch in der Nacht Blinddarm operiert. Am nächsten Tag kam ich in die Kinderabteilung, da sonst kein Platz war. Ich befand mich mindestens eine Woche lang mit 4-6 Jährigen im Krankenzimmer, das war sehr schön. Einen einzigen Besuch hatte ich empfangen, Gert Haucke, den ich seit Ende unserer Südamerikatournee nicht mehr gesehen hatte, kam und brachte mir einen großen Strauß Gladiolen. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging ich zu Fuß nach Hause zu Ronnefeldts Wohnung. Das letzte Stück fiel mir schon ziemlich schwer, umso mehr sei es mir verziehen, dass mich ein gewisser Neid befiel, als ich Peter Ronnefeld sehr dynamisch in ein Taxi springen sah, das vor dem Haus stand. Als ich in der Wohnung ankam, empfing mich Iris mit den Worten: „Maria, es tut uns sehr leid, aber Du kannst jetzt nicht weiter hier wohnen, da Peter aus Salzburg gekommen ist und hier wohnt.“ So machte ich mich wieder auf die Socken, um eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Da gerade die alljährliche Rundfunkausstellung in Berlin war, war es sehr schwer ein nicht zu teures Hotelzimmer zu finden. Endlich fand ich ein Zimmer in einer Pension, das ich für eine Woche mietete. Das Schlimmste an meinem Blinddarmzwischenfall war aber, dass ohne Vertrag meine Möglichkeit im „Ball der Diebe“ zu spielen ins Wasser gefallen ist. Nachdem ich keinerlei neue Einnahmequelle sehe – die Theatersaison hat inzwischen begonnen – ich habe das Zimmer bezahlt und bin blank . telegrafiere ich meinem Vater um Geld, um wieder nach Paris zu gehen, denn dort kann ich ja wenigstens bei Berlitz unterrichten. Mein Vater hilft mir aus und ich fahre nach Paris.

Ich wohne zuerst bei meinen Freunden im Hause der Cécile d’Armangnac in der rue Saint Simon, gehe zu Herrn Westheimer und sage ihm, dass ich der Schule wieder zur Verfügung stehe, doch er bedauert, mich nicht anstellen zu können, weil die Schülerzahl auf Grund einer Preiserhöhung sehr zurückgegangen ist. Also selbst hier keine Arbeitsmöglichkeit. Ich bin ziemlich desperat. Dann wurschtle ich mich mit einigen Privatstunden in Deutsch und Babysitting für einige Zeit so durch, besuche den Unterricht bei Vater Decroux, den ich sehr gut finde doch alles in allem darf ich nicht meine Zeit verlieren und ich verlasse Paris.

Von Jean-Bernard Naudin, meiner Freundin Nicoles Mann, einem sehr guten Pariser Photografen, der in den 90-er Jahren die Heyne – Reihe „Zu Gast bei“: Monet, Cézanne, Toulouse-Lautrec, Proust mit seinen schönen Fotos ausstattete und auch mir ein lieber Freund war, bekomme ich eine Serie von Fotos, die er von mir gemacht hat. Ich fahre dann nach Wien, wo ich bei meiner Schwester wohne, ihr helfe, da sie durch ihre Polyarthritis, die mit sehr hohen Dosen von Cortison behandelt wurde, sehr schlecht beisammen ist. Daneben versuche ich Kontakt zu Theatern zu knüpfen. Durch Traudi(Eva)Pilz bekomme ich die weibliche Hauptrolle in einer Uraufführung eines Stücks von Kuno Knöbel im „Würfel“, Regie führt Günther Tolar, die männliche Hauptrolle hat Kurt Jäger. Wir proben und sind nahe der Premier, aber Kurt kann noch immer nicht seinen Text. Wir alle sind verzweifelt und beschwören ihn, doch endlich den Text zu lernen. Er behauptet, er sei nicht in der Lage, ihn zu behalten. Tolar entschließt sich, den Part zu übernehmen. Wir spielen unsere Uraufführung. Die Kritiken sind gut:„Endlich wieder gutes Kellertheater!“ Doch im Würfel geht es anschließend wieder mit Kabaret weiter und ich gehe wieder auf Suche. Eines Tages treffe ich Kurt Jäger, er hatte den Kopf bandagiert: Operation Gehirntumor. Natürlich war es ihm also unmöglich, den Text zu lernen. Kurze Zeit später war er tot. Durch Traudi bekomme ich den Kontakt zu JoanaThul. Sie machte zu dieser Zeit Inszenierungen von Schattenspielen für das Fernsehen, damals noch Schwarz – Weiß. Sie ist glücklich, mich gefunden zu haben, denn sie kannte Etienne Decroux von einem Vortrag in Alpbach und war von ihm begeistert. Ich verkehre dann viel bei Joana, lerne ihren Mann Ernst Riedl kennen, in dessen Atelier ich einige Tage wohne, treffe in diesem Kreis Thomas Bernhard wieder, den ich ja aus Salzburg kenne, er besuchte extern auch das Schauspielseminar, wir hatten zusammen den „Maitanz“ von Schönherr geprobt, der dann aus mir unbekannten Gründen nicht zur Aufführung kam, jedenfalls in Wien bei Joana trffe ich Bernhard oft, denn Joana stellte verschaffte ihm viele Verbindungen, dies ist auch in seinem „Holzfällen“ nachzulesen. Nach der Fernseharbeit für das Schattenspiel „Der Zauberstoff“ ergab sich ein Stückvertrag am Burgtheater. Ewald Balser inszenierte und spielte den „Eingebildeten Kranken“ und wollte, dass die Arztszenen pantomimisch dargestellt wurden, zu diesem Zweck wurde der deutsche Pantomime Scharre engagiert, der ein früherer Schüler Etienne Decroux’s war. Danach spielte ich in hans gratzers Kammertheater in der Piaristengasse in einem interessanten Stück Ferdinand Bruckners. Da des öfteren Vorstellungen entfielen wegen zu geringer Besucherzahl brach ich meinen Wienaufenthalt ab und fuhr mit der Pantomimentruppe von Mehring/Grillon, die in Wien ein Gastspiel gegeben hatte nach Paris. Ich arbeitete dann weiter bei ihnen an meiner Technik. Gelebt habe ich von Gelegenheitsarbeiten mehr schlecht als recht. Ein Zimmer mietete ich bei einer jungen Witwe, ihre Adresse bekam ich über die österreichische Botschaft. Sie wollte nicht allein in ihrer Wohnung leben, diese lag in der Gegend von Montmartre.Ich fühlte mich jedoch dort nicht wohl und übernachtete meist bei meinen Freunden Nicole und Jean-Bernard Naudin in der rue St.Simon, deshalb kündigte ich das Zimmer für Ende Dezember. Bevor ich es räumte, für die  Weihnachtsferien fuhr ich nach Salzburg, hatte ich noch meine deutschen Freunde, das Ehepaar seidler zu einem Austernessen eingeladen. Als ich nach Weihnachten wieder nach Paris kam, hatte ich eine Ladung zur Polizei. Ich war erschrocken, ging hin und man verhörte mich. In meiner Abwesenheit wurde in der Wohnung eingebrochen und der Wohnungsinhaberin wurde der gesamte Schmuck gestohlen, wahrscheinlich verdächtigte sie mich und meine Freunde – Peter Seidler ist Fabrikant – jedoch der Polizeibeamte, der mich vernommen hatte, wollte im Grunde nur wissen, ob ich zur Zeit des Diebstahls in Paris war.

Da dies nicht der Fall war, ließ er mich gleich wieder gehen. Ich habe all die Jahre in Paris immer im Kreise von Künstlern verbracht und hatte kaum Kontakte zur übrigen Bevölkerungsschichten, die wenigen Male, die ich mit der petite bourgeoisie zu tun hatte, waren schlimmer als in anderen Ländern.

  
  
  
 

1964 verließ ich Paris und fuhr nach München. Ich fand nach einigen Nächten im  Studentenheim ein Zimmer in der Baumstraße bei meiner lieben Frau Bernecker, und Arbeit bei  Inlingua. Frau Umlauf, die Direktorin der Schule mochte mich und war viele Jahre immer wieder bereit, wenn ich keine Theaterarbeit hatte, mich zu beschäftigen. Ich fand dann auch die Möglichkeit, im Alten Simpel bei Toni Netzle mit einem Chansonprogramm aufzutreten, am Klavier begleitet hat mich Lilo, die später in Paris in der Amerikanischen Bar allabendlich spielte und sich vielleicht aus Gründen der  dortigen Isolation das Leben nahm.    

Auch bekam ich einen Stückvertrag im Münchener Volkstheater für „Liebelei“. Ich spielte die Mizzi Schlager. Die Kritiken waren gut, trotzdem ergab sich daraus kein weiteres Engagement. Manchmal nur der Statisterie ähnliche Filmröllchen. Also immer wieder Deutschunterricht bei Inlingua.

Privat gab es viele schöne Bekanntschaften und schöne Augenblicke.

1968 bekam ich durch Isolde, die gerade nicht abkömmlich war, einen Vertrag für eine 6 – monatige Theatertournee: „Der Schwierige“

Das Zugpferd ist O. W. Fischer. Mit unterwegs sind unter anderen Immi Schell, Alfred Lohner, Christian Futterknecht, Elisabeth Karg, mit der ich von damals bis heute befreundet bin. Wir sind im ersten Teil 3 Monate unterwegs. Da kehre ich dann nach München zurück und wohne bei dem befreundeten Ehepaar Roland und Eliza vonBohr. Roland ist Bildhauer und war Mitglied der Künstlergruppe um Faistauer in Salzburg. Er wurde schon als Kind von seiner Mutter als Vegetarier erzogen und aß selbst als Soldat kein Fleisch. Eliza sagte mir, sie würde sich von Zeit zu Zeit etwas Schinken kaufen, diesen aber nur im Geheimen essen, damit Roland es nicht erfährt, ihm würde sonst vor ihr ekeln. Roland war auch Wandervogel und verliebte sich als solcher in die Helene von Appel in Waidhofen an der Ybbs. Dort bin ich ja geboren und die alte Baronesse von Appel kaufte bei meinem Vater ein und brachte ihm von Zeit zu Zeit eine Zigarre. Roland war ein großes Kind und Eliza war eine sehr tüchtige Hausfrau und musste sicher in dem Künstlerhaushalt mit 2 Söhnen einige Unsicherheiten meistern, so wurde in der großzügigen Wohnung am Englischen Garten auch meist ein Zimmer vermietet. Dieses Mal eben mir. Vorher wohnte Isolde lange bei den von Bohrs.

Eines Tages kam Marcel Marceau zu einem Gastspiel nach München. Im Hotel Bayrischer Hof treffe ich ihn und da er im Begriff ist, ein eigenes Ensemble zu gründen, frage ich ihn, ob ich da  engagiert werden könne. Er sagt mir, dass es dann notwendig ist, mit seiner Frau Ella Jaroscewicz ein gemeinsames Training als Vorarbeit zu absolvieren. Also gehe ich nach Paris..

Zimmer bekomme ich gegen Deutschunterricht im 15.Arrondisment in der Nähe der Motte Piquet Grenelle: ein chambre de bonne von Parisern, die ein Geschäft für Fotoapparate haben.

Die Frau eine schöne Weißblondine mit braunen Rehaugen, schön aber sehr bourgeois, sagt mir, sie sei froh, Söhne zu haben, denn eine Tochter, wenn sie nicht schön wäre, sei von vornherein verloren. Jedoch war der 19 – jährige Sohn auch eine Schönheit wie die Mutter. Er studierte und hatte eine hübsche Freundin, eine Friseuse.

Ich suche mir auch eine Arbeit und finde diese bei einer Zahnärztin für täglich 2 Stunden, indem ich die Instrumente reinige. 

Mit Ella einer schönen, stolzen Polin, - bevor sie von Marceau nach Paris gebracht wurde, war sie Star im Ensemble von Tomaszevski in Wroclav, -  verstehe ich mich sehr gut. Täglich haben wir nachmittags unser Training.  

Als ich bei meiner Zahnärztin Instrumente reinigte, kam eines Tages eine junge Studentin und erzählte, dass die Vorlesungen auf der Sorbonne unterbrochen wurden und es zu einer Demonstrationen gekommen ist. Fahnen flatterten im Hof der Sorbonne mit Aufruf zum Widerstand gegen das Unterrichtssystem, Flugblätter werden verteilt, diese vor allem auch bei den Eingängen von Fabriken. Die Arbeiter werden zu Streiks aufgerufen. Bald streikt man überall, so auch im öffentlichen Verkehr, Benzin wird auch für die Autofahrer knapp. Man geht weite Wege zu Fuß. In den Räumen der Universität gibt es Sitins, auf den Straßen werden Autos angezündet und man marschiert. Studenten, Arbeiter und die Polizei rückt aus mit Schlagstöcken und Tränengas. Das Chaos macht unsere Arbeit unmöglich.

In meinem Zimmer in meinem Bett lasse ich auch die Friseuse übernachten, da sie den weiten Heimweg nicht machen will. Am nächsten Morgen borgt sie sich bei mir Geld aus, sie zahlt es mir nicht zurück. Ich habe mich entschlossen, Paris zu verlassen. Mein Chansonlehrer Charles fährt im Auto nach Köln, ich bitte ihn, mich mitzunehmen. Charles holt mich ab, ich gehe zum Abschiednehmen zu meiner Zimmerwirtin und bitte sie, dass sie mir das Geld geben möge, das mir die Freundin ihres Sohnes noch schuldet. Sie gibt es mir widerwillig. Ich bin froh, mit dieser Art von Parisern nichts mehr zu tun zu haben.

In Köln bringt mich Charles zum Bahnhof und ich fahre nach München. Dort finde ich wieder bei den von Bohrs meine Unterkunft. Und bei Inlingua vermittelt mir Frau Umlauf eine anfallende, interessante Tätigkeit als Reiseführerin einer Studentenreise von Amerikanern: Wien – Prag – Leipzig – Weimar – Dresden – Berlin – Venedig. Ich musste von Wien alles Sehenswerte studieren, dort führte ich dann meine Amerikaner. In den  anderen Städten gab es die Reiseführer des jeweiligen Ortes. Ich begleitete also dann nur die Gruppe und verdiente damit dazu noch Geld. In Berlin kaufte ich mir im Kaufhaus Horn einen Traum von bodenlangen, grauen Flanellhosenrock. Ich hatte fast schlechtes Gewissen so viel Geld auszugeben, das mir dann später zum Leben fehlen würde, mit dem Trost, dass auch Helene Weigl mit ihrem kommunistischen Weltbild in den Westen fährt, um sich bei Horn einzukleiden, befreite ich mich von meinen Skrupeln. Um so kostbarer wurde mir dieser Hosenrock, als ich in München angekommen im Taxi meine gesamten Einkünfte der Reise verloren habe, nachdem ich willfährig, da der Taxifahrer nicht herausgeben konnte, zum Getränkestand lief für Wechselgeld und dann die Geldtasche im Taxi beim Einstecken danebenfallen ließ. Jedenfalls kam ich bei den von Bohrs in meinem Zimmer an und als ich Eliza meine Miete zahlen wollte, konnte ich keine Geldtasche finden. Ich war also blank und konnte nur bis zum Beginn des 2.Teils der Tournée warten bis ich finanziell wieder einigermaßen in Ordnung kam. Konto hatte ich keines, um Schulden machen zu können, also machte ich Gelegenheitsarbeiten :in einer Limonadenfabrik: Flaschenabfüllen. Die Arbeiterinnen holten in der Pause immer Jausenpakete und fragten auch mich, was ich wolle, da ich sparen musste, verzichtete ich darauf, was mir den Hohn der Arbeiterinnen eintrug, doch an solches war ich gewohnt.

Für den Normalmenschen war ich immer eine „Spinnerin“, das begann schon als Jugendliche in Salzburg, wo ich aus Spargründen eine Einheitskleidung trug und diese in Schwarz. Als Herr Axel v. Ambesser junge Mädchen für seinen Film "Ihr Erstes Rendezvous" suchte, ging er die Reihen des Angebots ab, wählte und, obwohl der Aufnahmeleiter Richard Deutsch ihn auf mich aufmerksam gemacht hatte, denn ich hatte schon vorher im „Ihr erster Kuß“ in der Mädchenklasse mitgewirkt, winkte Herr Ambesser abfällig ab. Als dann gefilmt wurde, und ich dann doch in einer Szene dabeisein durfte, es war ein Spaziergang der Pensionatsmädchen im gestreiften, blauen Kleid und Strohhut, sagte Herr Ambesser in der Drehpause: „Sieh’ mal an, dass aus einer Existentialistin ein junges Mädchen geworden ist“ und ich wusste damals nicht einmal, was eine Existenzialistin ist. Mein Bruder sagte mir beim Begräbnis meines Vaters, als ich mein altes Cape anhatte -  es war das, welches die Pariser Polizisten immer bewunderten, meine Tante hatte es mir vom Dachboden geholt, es hatte dort viele Jahrzehnte gelegen, und weil es warm und auch hübsch war, hatte ich es dann viele Jahre als Wintermantel getragen – mein Bruder meinte dazu: „ weil Du immer anders sein willst“  dieses aber war nicht mein Anliegen, es ergab sich einfach aus meinen Verhältnissen und meine Verhältnisse aus meinen Anliegen. 

Nun begann Gott sei Dank der 2. Teil der Tournee und auch da sparte ich. Wenn die andern an den Raststationen zum Essen gingen, macht ich einen Spaziergang und im Hotel angekommen, packte ich meinen Kocher aus und machte mir ein schnelles, einfaches Essen.

Als der Chauffeur an einem Morgen meinen Koffer zum Bus trug, sah man auf dem Weg eine Spur des Kartoffelpureepulvers, das aus dem Koffer rieselte und er sagte: „Jetzt weiß ich, warum Ihr Koffer so schwer ist, Sie führen Sand mit sich.“ Die Tournee selbst war eine freudige Angelegenheit, wir waren eine freundliche Partie und über uns das Zugpferd O.W. Fischer und der Grand Seigneur  Alfred Lohner. Die Beiden unterhielten sich gerne über Nietzsche und andere Größen der Philosophie und Literatur. Mich zog O.W. immer wieder ins Gespräch über Marx und den Kommunismus, da ich damals durch den Pariser Mai ziemlich politisiert in Erscheinung trat. Eines Tages wurde ich von O.W. geschnitten. Es war die Reaktion auf mein Verhalten während seines Vortrags in der Mainzer Universität. Dieser war für meinen Begriff eine Farce. Ab diesem Moment waren mir Studenten insgesamt sehr suspekt.  O.W: wurde nämlich eingeladen, über seine sprachlichen Forschungen zu referieren. Der Hörsaal war gesteckt voll und sein Vortrag wurde in einen anderen Saal dazu übertragen. Wir Kollegen saßen ganz vorne 1. Reihe, als Otto ganz professoral seine Thesen vortrug: etwa Schweiz kommt von Schwitzen, Schweden von Schwaden etc. Elisabeth und ich lachten uns halbtot und als es den großen Applaus für Otto gab, trommelten wir mit Bleistiften auf die Tische. Damit haben wir Otto so beleidigt, dass er einige Tage kein Wort mit uns sprach. Eines Tages redete ich ihn diesbezüglich an und er sagte mir, ich sei ihm in den Rücken gefallen, worauf ich ihm antwortete: „Herr Fischer, Sie haben doch diese 68-er total hypnotisiert, Sie hätten ihnen ebenso gut das Telefonbuch vorlesen können und sie wären genau so begeistert gewesen.“ Und so war es. Viele Jahre später ging Otto nochmals auf den Vorfall ein in Form eines Kärtchens, das er mir geschrieben hatte und grotesker Weise interpretierte er mein Verhalten als von ihm total ergriffen. Er hatte den Seelenmechanismus alles zu seinem Gunsten zu deuten. Ende Dezember ging diese Tournée dann leider zu Ende. Ich habe sie sehr genossen.

Durch meinen Kollegen Bernstein, der mit auf der Tournee war, bekam ich einen Vertrag nach Recklinghausen für die Ruhrfestspiele. Ich wurde von Herrn Dr.Willi Schmidt für seine Inszenierung von den Büchnerstücken „Woyzeck“ und „Leonce und Lena“ engagiert. Er hatte die Idee, beide Stücke ineinander zu verweben und wollte sie mit Pantomimen ausstatten. Dafür wurde ab Beginn März in Recklinghausen probiert. Ich hatte mein Zimmer im Gasthaus, in dem auch der Schauspielerstammtisch war. Die ersten Abende dort fand ich ganz amüsant, jedoch bald merkte ich, dass sich Gespräche und Witze eigentlich immer wiederholten, so dass ich auch in Recklinghausen bald Einzelgänger wurde. Ich borgte mir ein Fahrrad aus und sah mir, wenn ich Zeit hatte, die Umgebung von Recklinghausen an. Vom Frühling dort habe ich einige sehr schöne Erinnerungen. Da unsere Gagen sehr schlecht waren und unser Kollege und Star der Ruhrfestspiele Horst Tappert davon erfahren hatte, versuchte er die Direktion zu veranlassen, unsere Gagen zu erhöhen. Ich bekam dann für „Der gute Mensch von Sezuan“ noch die kleine Rolle der Tante in der siebenköpfigen Familie, die Harry Buckwitz in das Stück eingeführt hatte. Dies war eine sehr schöne Probenarbeit und die Aufführung das Beste neben den Brechtinszenierungen, die ich früher im Schiffbauerdamm gesehen hatte.

Als nun auch die Ruhrfestspiele zu Ende waren, ging ich nach Berlin. Bei einem Ehepaar Kahlenberg fand ich ein Zimmer in einer Seitenstraße vom Kurfürstendamm. Da auch in Berlin sich die 68 – er  bemerkbar machten, es gab auch hin und wieder Demonstrationen, fand ich einen fixen Punkt im Republikanischen Klub, der mich vor allem wegen seiner dort vertriebenen Bücher interessierte. Es waren der Raubdruck von Reichs „Charakteranalysen“ und „Die Funktion des Orgasmus“, die ich dort erstand und die mein ganzes Leben veränderten. Ich unterzog mich richtig einem Studium dieser beiden Werke.

Beruflich habe ich gar nichts gemacht. Privat war die Zeit nicht uninteressant. Ich traf dort einige österreichische Schauspieler, ebenso eine gute Freundin Ellas Susanne Fels, sie gab mir für meinen 1. Flug ein Flugticket, das sie in Paris von dem Komponisten Xenakis erhalten hatte. Des öfteren  traf ich mich mit Gartelgruber, einem österreichischen Schauspieler, der in Berlin die Deutsche Erstaufführung von Handkes „Kaspar Hauser“ spielte, wie auch dann „Die Publikumsbeschimpfung“ wir saßen zusammen im Café mit Gerhard Rühm und eines Abends traf dort auch Günter Brus ein und erzählte von den Ereignissen in Wien, von denen er nach Berlin flüchtete. Es war auch Gartelgruber, der mich für die Inszenierung von „Magic Afternoon“ im Contra – Kreis Bonn empfahl.

Von meinen früheren Vorsprechfahrten war mir dieser als sehr gutes, erstrebenswertes Theater in Erinnerung. Zum ersten Mal nahm ich das Flugzeug und flog nach Bonn zum Vorsprechen. Kattinka Hofmann und ihr Lebenspartner Johanning, der dann Regie führte, waren davon  sehr angetan und ich bekam noch am selben Tag den Stückvertrag. Bald verließ ich dann Berlin, wo ich mich sehr wohlgefühlt hatte und ging nach Bonn, dort begann die Probenarbeit. Meine Kollegen waren Österreicher, die im Contra – Kreis ihr festes Engagement hatten Ute Jasch und Uwe Falckenbach, sowie auch als Gast Gartelgruber. Eine gut besprochene Aufführung brachte mir dann einen weiteren Stückvertrag nach Düsseldorf, wo der vor Jahren beim Vorsprechen im Contra – Kreis beeindruckende Regisseur und damalige Theaterleiter Dörner Regie führte. Diese Aufführung wurde dann noch vom Theater am Dom in Köln übernommen. Mein damaliger Partner in der Aufführung war Erhard Koren, Sohn des damaligen Nationalbankgouverneurs in Österreich. Erhard distanzierte sich damals explizit von seiner Familie. Ich habe ihn dann einige Male in Wien gesehen, unter anderem bei seiner damaligen Freundin Uschi Prammer, von der ich heute noch den „Neruda“ habe, den ich ihr gerne zurückgeben möchte, wenn ich nur wüsste, wo ich sie finde 

Als die Theaterarbeit in Köln beendet war, zog ich nach Düsseldorf und gab jetzt dort bei Berlitz Deutschunterricht. Dort befreundete ich mich mit einer aparten Französin, die mit dem deutschen Journalisten und Schriftsteller Klaus Gaedemann liiert war Wir waren oft zusammen, gingen auch reiten und hatten in manchem den gleichen Geschmack. Doch irgendwann ging mir das elegante Düsseldorf auf die Nerven, Zuerst machte ich noch eine Woche Urlaub im Tessin und fuhr absichtlich Autostop, um mir zu beweisen, dass ich noch nicht zu feige dazu bin, kam dann aber nur bis in die Nähe von Basel, da nahm ich den Zug, weil mir der Autofahrer den Antrag machte, an diesem schönen Frühlingstag ein bisschen die Landschaft zu genießen. Ich bat ihn, mich zum Bahnhof zu bringen. Ich fuhr nach Basel, wo  ich meinen werten Schauspielerkollegen Alfred Lohner besuchte. Als großer Liebhaber der Romantik spielte er mir gleich Schumanns „Rheinische“ vor. Im Fernsehen sah man dann gemeinsam mit Frau und Sohn die amerikanische Mondlandung. Am nächsten Morgen zeigte er mir seinen Briefwechsel mit Roul Aslan und einen Schatz, den er erstanden hatte: einen Brief der Duse. Ich übernachtete bei den Lohners und fuhr am nächsten Tag per Bahn nach Locarno. Dort nahm ich für eine Nacht ein Zimmer, um am nächsten Morgen  mich auf dem Orsellino für eine Woche in einem Gasthof einzumieten. Von dort aus unternahm ich die schönsten Wanderungen. Mein Gepäck bestand aus einer Plastiktasche mit Zahnbürste und Regenschirm.

Zurück in Düsseldorf kündigte ich meine kleine Wohnung, ebenso bei Berlitz, um auf gut Glück nach München zu gehen. Es war also ein Auszug mit schon etwas Gepäck, da ich mir in Düsseldorf doch einige Gegenstände für die Wohnung angeschafft hatte, so mein schönes Rosenthalbesteck mit blauem Porzellan. Ich bin noch heute darauf stolz, zumal es nicht mehr produziert wird. Es ist nämlich nur schön, schon manch einem Gast fiel das Porzellan auf den Teller.

In München angekommen, setze ich mich mit Isolde in Verbindung und frage sie, ob sie mir eine Adresse zwecks Untermiete wüsste. Sie meint im Hollerhaus in Irschenhausen, wo Roland v. Bohr inzwischen sein Atelier hat, denn die von Bohrs mussten nach 40 Jahren ihre Wohnung in Schwabing verlassen, das Haus wurde verkauft, und sie mussten in die schreckliche Satellitenstadt Neuperlach ziehen, wo die Wohnung viel zu niedrig für ihre alten, schönen Möbel war, das traurige Ende für ein altes Schwabinger Künstlerehepaar.

Also im Hollerhaus könnte ich wahrscheinlich was finden. Die Besitzerin des Hollerhauses Ingrid Lepsius, Nichte des Herausgebers des Münchener Merkurs Felix Buttersack, vermietet in ihrem Bauernhaus Zimmer, meist an Schauspieler. Also fahre ich ins Isartal nach Irschenhausen, ein Bauern und Künstlerdorf. Schon Rilke hatte dort Aufenthalt gemacht 

Am Abend nach meiner Ankunft im Hollerhaus kam die Hausfrau und führte ein Gespräch mit mir zum Kennenlernen. Dabei wollte sie natürlich wissen, was ich bisher in meinem Leben gemacht habe und so erzählte ich ihr auch von Buenos Aires, worauf sie mich fragte, ob ich vielleicht von dort Deli von Eidlitz kenne. Ich sagte ihr, ich hätte zu ihr besten Kontakt gehabt. Delis Mann gebürtiger Ungar hatte in Buenos Aires eine Textilfabrik und Deli brachte mir oft Stoff, damit ich meine spärliche Garderobe  bereichern konnte. Darauf zeigte Ingrid Lepsius an die Decke des Zimmers mit den Worten: “Deli hat das Zimmer da oben.“ Wie klein ist doch die Welt! Ich traf dann natürlich Deli, die inzwischen mit ihren Kindern in München lebte und beim Film arbeitete. Und da Deli das Zimmer in Irschenhausen selten bewohnte, schlug sie mir vor, das „Dichterstübchen“ so wurde ihr Zimmer genannt, das  viel billiger als mein „Grünes Zimmer“ war, zu übernehmen, was ich mit Freuden tat. Also wohnte ich unterm Dach. Eine Etage tiefer, wo auch das Grüne Zimmer lag, hatte meine Kollegin Ingeborg Lapsien 3 Zimmer mit einem schönen Balkon gemietet, auf dem wir oft gemeinsam frühstückten. Ingeborg hatte eine herrliche Plattensammlung und da sie beruflich viel beschäftigt war, durfte ich viele Stunden in ihrem Zimmer mit der herrlichsten Musik verbringen. Mit großem Dank bleibe ich ihr deshalb ein Leben lang verbunden. Überhaupt war das Leben im Hollerhaus ganz besonders schön, denn sowohl Ingeborg als auch Ingrid waren sehr gastfreundlich, hilfsbereit und fern jeder Klassifizierung. Ich war nämlich auch damals eher mittellos und lief von Theater zu Theater, von Filmfirma zu Filmfirma, um etwas zu bekommen. Das Volkstheater, wo ich ja schon gespielt hatte, engagierte mich dann für einen Nestroy: „Mädel aus der Vorstadt“. Da Irschenhausen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist, konnte ich nur bis Icking mit dem Bus fahren und dann musste ich zu Fuß weiter, - links und rechts Felder, Weiden mit Kühen - nach Hause gehen, manchmal zwar in Angst, meist aber diese Schönheit genießend.

Da es im Hollerhaus und im Isartal sehr schön war, hatte ich die Idee, für den Sommer Maximilien Decroux hierher einzuladen. Er war gern bereit, zu kommen und ich mietete für ihn das Grüne Zimmer, falls ihm dieses nicht groß genug gewesen wäre, habe ich zur Sicherheit ein großes, schönes Zimmer im repräsentativen Bauernhaus von Wacht als Option ermöglicht. Das Ehepaar Wacht  war sehr kunstinteressiert  und mir gefiel die junge schöne, rothaarige Bauernfrau sehr. Einige Wochen bevor Maximilien kommen sollte, worauf ich mich sehr freute, fand bei meinen Freunden Schröter eine Party statt, zu der ich eingeladen war. Da ich noch am Volkstheater meine Vorstellungen hatte, organisierte Ilse Schröter es, dass mich ein Freund von ihnen dort abholte und mich zur Party brachte, die natürlich schon lange in Gang war, ja die ersten Besucher diese schon verlassen hatten, deshalb wusste ich auch nicht, dass mein bevorzugter Gesprächspartner Hajo Grollmann mit seiner Familie anwesend war, da seine Frau mit den Kindern bei Schröters schlafen gegangen ist, ich lernte sie erst am Morgen beim Frühstück kennen. Da sie in Solln wohnten, das auf der Strecke Richtung Irschenhausen liegt, nahmen sie mich im Auto mit und Hajo brachte mich weiter nach Irschenhausen. Er har mir gut gefallen, doch hat mir in Paris auch Jean-Bernard Naudin gut gefallen, doch war er durch seine Ehe mit meiner Freundin Nicole ein Tabu und so auch Hajo. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Als mich eines Tages Ilse Schröter anrief und mir sagte, Hajo und Katja hätten einen schrecklichen Streit gehabt und Katja sei aus der Wohnung ausgezogen, sie würde mich bitten, mit Hajo Kontakt aufzunehmen, so tat ich das. Kurze Zeit darauf kam Maximilien nach Irschenhausen. Er wollte im Grünen Zimmer wohnen. Er holte mich nach meiner Theatervorstellung vom Bus in Icking ab und wir hatten den Heimweg mit interessanten Gesprächen. Ingeborg Lapsien, die Maximilien sehr gut gefallen hat, fuhr uns im Auto durch das schöne Isartal, so dass Maximilien noch viele Jahre später davon schwärmte. An einem Sonntag besuchte uns Hajo und ich ging in die Küche, um uns ein gutes Mahl zu bereiten. Da ich zu wenig Fleisch zu Hause hatte, ging ich zum Gastwirt, der auch eine Metzgerei hatte. Dort saß man beim Frühschoppen und der Tischler vom Ort überredete mich, Platz zu nehmen „auf ein Glaserl“. Ich setzte mich neben seine Frau.  Da ich vorher kaum etwas gegessen hatte, spürte ich das „Glaserl“  sofort, um so mehr, da sie es mir immer wieder nachschenkten. Als ich mich auf den Grund meines Kommens besonnen hatte, war ich schon ganz schön betrunken, so dass mich die Tischlersfrau nach Hause begleitete. Jedoch setzte ich mich auf dem Heimweg ins Gras und plauderte mit ihr frisch drauf los, als Hajo und Maximilien uns entgegenkamen mit „die Fisolen seien schon längst verkohlt“ und es war auch schon so spät, dass ich nach München zur Vorstellung musste. Hajo führte mich hin, doch dort ging ich noch neben dem Theater in ein Café, um mit Gott und der Welt zu telefonieren, als ich endlich realisierte, dass es zum Ankleiden höchste Zeit war. Ich eilte ins Theater. Meine Kollegen saßen für ihren Auftritt bereit, ich zog mich flüchtigst an und ließ mir die Biedermeiefrisur irgendwie aufstecken, dann lief ich mit meinem Tablett zum Auftritt, um ins Zimmer zu stürzen, so dass die Kulissen wackelten. Die Mitspielerinnen bissen sich auf die Lippen. Herr Loibner, der Direktor, der die Hauptrolle spielte, war mit dem Rücken zu mir und merkte wohl nichts von meinem Danebensein, denn in der Pause kam er in unsere Garderobe zu einer Moralpredigt, doch diese galt nicht mir sondern meiner Kollegin Faber: „ Das Theater, Fräulein Faber, muß zu Grunde gehen, wenn die Schauspielerinnen nicht wissen, dass man an einem Tag, an dem man am Abend ein Kostüm mit Decoltée trägt, nicht in die Sonne gehen kann.“ Von meiner Alkoholisierung hat er nichts gemerkt, umso mehr hatten meine Kolleginnen den Kampf zu bestehen.

Gemeinsam mit Hajo und den Kindern besuchten Maximilien und ich auch die Auer – Dult, die ich bis dahin nicht gekannt habe, damals gab es neben den Vergnüglichkeiten für die Kinder auch noch hübsche Antiquitäten. Bei diesem Ausflug trafen wir auch Bernhard, Ilse Schröters Mann, Architekt aus München. Er erzählte, dass er und Ilse sich getrennt hätten und er jetzt eine andere Frau habe. Für mich unvorstellbar, da ich doch ihn und ihre Kinder in größtem Glück kennen gelernt hatte. Aber 1968 hat alles durchgerüttelt. So ging auch in Paris die Ehe von Nicole und Jean-Bernard mit ihren drei Kindern in Brüche. Mir erschien das alles wie eine um sich greifende Hysterie. Eine der wenigen Ehen, die diesem Kahlschlag Widerstand geleistet hatte, war die von Antoine und Marie-Odile, die schon am Beginn der Ehe den Broterwerb für die Familie getätigt hatte, als Antoine als Maler noch nichts verdiente.    

Für Maximilien habe ich einen Termin bei August Everding, damals Intendant der Münchener Kammerspiele, organisieren können. Everding war für die Pantomime sehr empfänglich. Er machte Maximilien die Hoffnung für die Regie von „Die Schlacht von Trafalquar“. Als wir die Kammerspiele verlassen hatten, sprach ich über das schöne Angebot, worauf Maximilien einen Ausbruch bekam, er war so böse, dass ich darüber spreche und damit alles kaputt mache. Ich wußte nicht, dass der so progressive Künstler so abergläubisch ist.

Nachdem Maximilien nach Paris zurückgekehrt war, habe ich ein zweites Dachstübchen gemietet, das Hajo sehr schön hergerichtet hatte und so war er auch öfters im Hollerhaus.

Er verlegte seine Wohnung aus der Schieggstraße in die Friedastraße, da er nicht, wie seine Frau Katja es wollte, mit ihr und den Kindern in eine Wohngemeinschaft ziehen wollte.

Für mich ging das Engagement am Volkstheater dem Ende zu und ich hatte keine Aussicht auf ein anderes, also begann ich wieder mit dem Deutschunterricht an der Sprachenschule Inlingua bei der lieben Frau Umlauf. Daneben nahm ich wieder Sprechunterricht bei Frau Turowski an der Falckenbergschule, zu der mich der liebe Gerd Brüdern einst vermittelt hatte. Stimmbildung machte ich bei der wunderbaren Frau Ottmer. Ich glaube, dass sie mich auch mochte, denn sie empfahl mich ihrer Freundin Ursula von Kalben, die an der Falckenbergschule Stimmbildung unterrichtete und sich mit dem Gedanken trug, ihr Pensum dort zu reduzieren und eine Assistentin heranbilden wollte. Dafür empfahl mich Frau Ottmer. So begann für mich eine schöne Zeit des Lernens. Ursula unterrichtete mich gratis und ich wohnte ihrem Unterricht an der Falckenbergschule bei. Ich nahm auch meinen Klavierunterricht wieder auf und arbeitete mit der temperamentvollen Begleiterin an der Falckenbergschule Ildy Sklarek. Es war eine arbeitsintensive Zeit. Auch für Hajo begann ein interessantes Leben. Er wurde Direktor des Kunstvereins München.

Inzwischen kam es zur Scheidung von Katja und Hajo. Damit gab ich mein geliebtes Hollerhaus auf und zog zu Hajo nach Solln. Da dort eine Wohnung frei geworden ist, zog meine damalige Bekannte Eva Gaul dort ein. Ich hatte mit ihr einen sehr guten Kontakt und sie interessierte sich sehr für meine Arbeit. Als ich in der Falckenbergschule meine Prüfung machte, um dort angestellt werden zu können, diente sie mir als Vorführobjekt. Die Prüfung verlief gut, doch war ich gar nicht so sicher, ob ich eine Stelle antreten werde, da ich inzwischen schwanger war. Damals wußte ich noch nicht, dass es ein Windei war. Dr. Helmut Mathiasek, nun Direktor der Falckenbergschule, den ich ja schon seit seiner Regisseurzeit am Salzburger Landestheater kannte, nahm eine sehr fragwürdige Haltung ein. Er rief mich zu sich und sagte, es würde ihn freuen, wenn ich als Stimmbildnerin an die Schule käme, jedoch sollte ich unbedingt zuerst bei Frau Kaminsky Unterricht nehmen, um nicht in  der Methode von Frau v. Kalben zu unterrichten. Und Ursula sagte er, wenn er mir einen Teil des Unterrichts überlasse, müsse sie ihren bisherigen Vertrag kündigen, denn es müsse dann ein anderer abgeschlossen werden.

Die arme Ursula tat es, im Glauben, dass wir dann den Unterricht teilen könnten. Am Ende wurde Herr Fleckenschild in ihre Position engagiert und Ursula und ich waren auf der Straße.

Für mich war es nicht so schlimm, aber für Ursula war es ein Schlag, da sie durch die Kriegszeit viel zu wenig Jahre für die Pension hatte. Doch in ihrem christlichen Glauben hat sie Herrn Mathiasek dies bald vergeben und sagte, letztlich sei es ein Glück gewesen, da sie so die letzten Jahre ihres Freundes Günther Lynen, der schon lange an Glasknochen erkrankt war, besser begleiten konnte. Ihr Leben fristete sie mit Privatunterricht. Eine Wiedergutmachung wurde ihr viel später zuteil. Als Herr Fleckenschild schon längst wieder die Falckenbergschule verlassen hatte und Herr Dalanski die Direktion übernommen hatte, musste Ursula, schon längst im Altersheim, den Stimmbildungsunterricht an der Falckenbergschule übernehmen.

Mir war die Arbeit an der Falckenbergschule leider nicht gegönnt. Einige Jahre später, als ich schon längst in Wien war, hatte man mir ein Angebot für 9 Wochenstunden gemacht, die sich später zu einer Vollzeittätigkeit entwickeln könnten, darauf bin ich aber nicht eingegangen.

Aus Interesse nahm ich aber den Kontakt zu Frau Kaminski auf und besucht bei ihr regelmäßig den Unterricht. Durch sie traf ich auch Renate Ronnefeld, die erste Frau von dem Komponisten Peter Ronnefeld, die mit ihrer gemeinsamen Tochter Aviva in München lebte und in Zusammenarbeit mit Frau Kaminsky den „Internationalen Gesangswettbewerb des ZDF“ ausrichtete. Durch Frau Kaminsky, aber auch durch Ursula und selbst von der Falckenbergschule bekam ich Schüler für Stimmbildung, auch in der Volkshochschule konnte ich Kurse geben, weiters ergab sich die Möglichkeit Referendarkurse für Stimmbildung an Münchener Gymnasien zu geben, so dass ich davon leben konnte und den Deutschunterricht bei Inlingua aufgeben konnte.

Durch eine Ausstellung über die „Pariser commune“ angeregt, lese ich sehr viel über die politische Entwicklung der Linken, lese auch Brechts „La commune“ und bleibe bei Brechts Werk, das ich als Ganzes durcharbeite und erstelle ein Programm: „Ändere die Welt – sie braucht es!“ Eine Folge von Texten und Chansons mit der Musik von Hanns Eisler. Hajo macht eine Bühneneinrichtung mit den einfachsten, Brecht  adäquaten Bühnenmitteln. Ich fahre nach Paris, wohne im billigen Hotel, Tour de L’ Isle und gehe jeden Tag zu Charles Leval, um mit ihm die Chansons zu arbeiten. Ich besuche und treffe natürlich in dieser Zeit auch alle meine Pariser Freunde. Im Sommer opfert Charles Leval seine Ferien und kommt nach München, um mich am Klavier bei meinem Brechtabend im Theater K zu begleiten. Wir geben eine Serie von 18 Vorstellungen, dann muß Charles zurück nach Paris zu Proben und führt unseren späteren Freund Gerhart Roscher ein, ist von dessen Arbeit sehr angetan und gratuliert mir, einen so guten Mann für meine weiteren Abende zu haben. Gerhart ist Dresdner, allerdings hat er auch österreichische Wurzeln, sein Großvater war ein Wiener Opernsänger.

Doch nochmals trete ich mit Charles auf, meine alten Freunde Christa und Peter Seidler organisieren mir ein Brechtgastspiel in Pirmasens und Charles kommt aus Paris gefahren, um mich zu begleiten. Ebenso für ein Wiengastspiel: 3 Abende im Theater am Kärntnertor. Charles, Hajo und ich fahren in Charles Auto nach Wien, dort angekommen, sagt man uns, dass die Auftritte sehr gefährdet seien, da alles gerade zur Besetzung der Arena unterwegs sei. Wir bestehen aber auf unseren Vertrag und treten auf und die Vorstellungen sind sehr gut besucht. Nach einer Vorstellung fahren wir auch noch zur Arena, wo die verschiedensten Künstler auftreten und wir geben auch einige Nummern zum Besten. Hajo allerdings musste alle 3 Tage das Haus hüten, da er eine schwere Zahneiterung durchmachte. Auf dem Heimweg nach Wien machte Charles bei der Zahnklinik Halt, damit Hajo sich dort endlich behandeln ließ. 

Durch den Erfolg mit meinem Brechtabend angeregt, den ich auch in Augsburg, Tübingen und dann auch 3 Wochen in Berlin gegeben hatte, erarbeitete ich ein neues Programm.

Ich hörte im Radio Hugo Huppert über seine Majakowskiübersetzung sprechen und erinnerte mich, in den 60er Jahren Klaus Kinski äußerst theatralisch im Konzerthaus Wien mit seiner Majakowskirezitation gesehen zu haben. Ich las also MajakowskisWerk von Huppert ins Deutsche übersetzt und  tauchte damit in die höchst interessante Geschichte Russlands, die mich vom Futurismus über Revolution, Lenin bis zu Stalin führte.David Mairowitz, den ich während der Berliner Theatertage kennengelernt hatte, schickte mir "Die Wirbelsäulenflöte", eines der ersten Werke von Majakowski, um mich zu meinem Vorhaben zu beflügeln. So begann es futuristisch und endete mit Majakowskis Selbstmord. Es wurde ein monumentaler Abend mit einem entsprechenden Bühnenbild von Hajo. Damit trat ich wieder im Theater K auf, bei unserem altbekannten Wolfgang Anraths, einem Kämpfer, der leider viel zu früh von dieser Erde gegangen ist.

Zur letzten Münchener Aufführung kam Herr Huppert, den ich schon vorher in Wien aufgesucht hatte und von dem ich viel Interessantes zu Majakowski, den er ja selbst kannte, und von seiner Zeit erfahren habe, er führte an die Aufführung anschließend ein Gespräch mit dem Publikum und mir schrieb er dann in der „Weltbühne“ eine großartige Kritik. Damit ermöglichte er mir, in vielen Städten, so auch in Berlin-West Aufführungen, die vielleicht sonst nicht stattgefunden hätten, da Majakowski außerhalb Russlands nicht den Bekanntheitsgrad von Brecht hat.

Da Eva Gaul von meiner Unterrichtstätigkeit angeregt, sich verändern wollte, zur Ausbildung nach Berlin ging, um dort die Methode von Ilse Middendorf zu erlernen, wurde ihre Wohnung frei, die ich mietete, um für den Privatunterricht genug Platz zu haben Es war eine produktive Zeit und ich konnte viele Erfahrungen machen. Auch privat und in Hajos Berufsleben gab es viel Interessantes. Wenn die Kinder zu Besuch kamen, wurden schöne Ausflüge gemacht, besonders hatte es uns der Thanninger Weiher angetan. Im Kunstverein wurde es immer spät, so dass wir selten vor 1 Uhr ins Bett kamen. Auch gab es oft Einladungen. Besonders opulent waren die von der Landesregierung bei Göppel in der Residenz und mit schönen Musikprogrammen im Antiquarium und auch bei Festen im Lenbach – Museum.

Mit der Zeit, Hajo und ich waren nun schon 6 Jahre zusammen, merkte ich, dass Hajo auch an anderen Beziehungen interessiert wäre, wir haben uns seit Anbeginn auf Freiheit geeinigt.So kam mir ein Angebot des Dramatischen Zentrums in Wien sehr gelegen, das mir die Möglichkeit bot, dort den Schauspielschülern Stimm- und Sprechunterricht zu geben. Ich pendelte zuerst zwischen München und Wien, bis ich da eine Riesenwohnung mietete, um auch Privatunterricht geben zu können.

Da ich in Wien kurz nach Beginn meiner Tätigkeit Bruno fand, so war auch meine private Ausrichtung verändert, was Hajo nicht unberührt gelassen hatte. Er kam nun auch öfter nach Wien, ich seltener nach München. Nachdem ich die Stimm- und Sprechbildung für die Oberammergauer Passionsspiele angeboten bekommen hatte, begann eine abermalige Pendelei  zwischen Wien und Oberammergau, manchmal machte ich Zwischenstation in der Münchener Wohnung, die jedoch für mich immer überflüssiger wurde, so dass ich sie nach Abscluß der Oberammergauer Tätigkeit kündigte. Unser Freund Roscher, damals Studioleiter am Theater am Gärtnerplatz, Dr. Mathiasek war dort inzwischen Intendant geworden, und seine Frau Cornelia Froboess ehemals „Pack die Badehose ein“, sang jetzt dort die „My Faire Lady“, also Gerhart übernahm mit Freuden die Wohnung und mein Hab und Gut wurde von einer Spedition nach Wien gebracht. Also war ich jetzt wieder in Österreich gelandet.

Da die große Wohnung in Wien renovierungsbedürftig war, kam Hajo sehr oft nach Wien, um Hand anzulegen. Er bekam natürlich einen großen schönen Raum mit einer Stuckaturdecke und altem, weißem Kachelofen als Atelier.  Intensiv, wie er alles tat, war die Wohnung nach kurzer Zeit wunderschön erneuert: das große, geräumige Badezimmer zierte ein gemaltes Lilienfries. Die alte Stuckatur in den Räumen wurde wunderschön neu gemalt, ich nähte Seidenvorhänge für alle Räume, die nicht viele Möbel ausstatteten, umso mehr aber Bilder.

Es war ein großzügiges Wohnen und Leben, das wir damals führten.

Neben meiner Unterrichtstätigkeit konnte ich meinen Brechtabend, Majakowski und dazu ist auch noch ein Prévertabend gekommen in Wien, aber auch in anderen Städten aufführen. Ein 3 – wöchiges Gastspiel mit „Prévert“ gab ich noch in München, kurz bevor auch Hajo seine Wohnung aufgegeben hatte, auch diese an unseren Freund Roscher inzwischen mit Frau und Kind, um nach Wien zu übersiedeln.

In Wien angekommen konnte er sich jetzt endlich wieder mehr der Malerei widmen, denn in München ist er wegen seiner vielfachen Vereinstätigkeiten doch sehr davon abgehalten worden 

Ich hatte einen Zyklus von Lesungen im Theater am Petersplatz unter dem Motto:„Dichter sehen die Landschaft“ , „Psychoanalyse“ und „Kriminalität“ Walter Benn, den ich bei Sendungen im ORF Argentinierstraße kennen gelernt hatte, war mein Partner und Hajo kümmerte sich um die Technik. Die letzte Lesung von „Dichter sehen die Landschaft“ war ein Text Wladimir Majakowskis von 1924 „Amerika“, dazu hatte ich auch Hugo Huppert eingeladen, er wollte als Übersetzer einleitend einige Worte dazu sagen. Am Vorabend rief er mich noch an und sagte mir, dass er nicht kommen könne, weil er einen akuten Gallenanfall hatte und vielleicht operiert werden müsse. Am Morgen meldete der Rundfunk bereits seinen Tod.

Für die Bezirksfestwochen hatten Hajo und ich eine schöne Goethelesung "Goethe und die Naturwissenschaft" im ehrwürdigen Ludwigs- Haus und einen Altenbergabend in der Volkshochschule in der Ammerlinggasse, zu der auf die Initiative Brunos Herr Hofbauer vom ORF mit seiner damaligen Freundin Vera Russwurm, die damals bei mir auch Stimm- und Sprechunterricht genommen hatte, gekommen waren. Wie ich merkte konnten sie mit meinem Programm nichts anfangen. Es war sicher nicht nach ihrem Geschmack. Herr Hofbauer hat später das Metropol übernommen und seine Programme sind auch nicht nach dem meinen. Noch vor Hofbauers Zeit machte Bruno  dort mit Erika Deutinger, mit der er auch oft nach Katzelsdorf gekommen ist, das Programm „Hank“ unter der Regie von Loek Huisman, der auch in fast allen Abenden  Michael Heltaus Regie führte.

Zu dieser Zeit war ich auch oft im ORF in der Argentinierstraße im Sprechfunk tätig, meist bei Dr. Strutzmann, doch der wurde irgendwann aus dubiosen Gründen gekündigt, damit wurde auch meine Tätigkeit dort seltener. Vielleicht wurde mir aber auch mein teurer, weißer Ledermantel, den sich Bruno gekauft hatte, ihn mir aber gleich danach schenkte, wahrscheinlich machte auch er schlechte Erfahrungen damit, zum Verhängnis, man sagte sich: die hat diese Arbeit nicht nötig. 

Als ich dann nochmals für eine Oberammergauer Passion zu tun hatte, begann wieder eine Pendelei. Wir hatten dann auch die Idee, zu dritt etwas auf dem Land zu suchen, das Hajo herrichten wollte und wir taten gut daran, dies zu tun, denn als ich von der Eröffnung der Passionsspiele nach Wien zurückkam, es war Hajos 51. Geburtstag, ich hatte alles für eine Feier im Gepäck, hatten wir keine Wohnung zur Verfügung, der Zugang war von der Polizei gesperrt und wir mussten uns mit einem Quartier in einem Wiener Hotel begnügen: im Mittelbau unseres Wohnhauses war eine Gasexplosion mit 3 Toten. Wir hatten Glück, dass wir zu diesem Zeitpunkt nicht in Wien waren, denn allein die Glassplitter hätten uns wahrscheinlich das Leben gekostet. Als wir die Wohnung wieder betreten durften fanden wir die Türen und Türstöcke zum Teil durch den Druck herausgerissen und natürlich das Glas aller Fenster in der Wohnung zerstreut. Noch bevor ich nach Oberammergau fuhr, waren Abbrucharbeiten eines alten Biedermeierhauses neben uns in Gang. Sicher kam es da durch die Erschütterungen zu einem Rohrgebrechen in unserem Haus. Doch die Stadt Wien und deren Baupolizei wusch sich die Hände in Unschuld. Für uns hieß es, aus dieser eben selbst renovierten Wohnung auszuziehen ohne irgendeinen Schadenersatz und trotzdem laut Kündigungsfrist, die Miete noch 6 Monate weiterzuzahlen. Es wäre mit einem Prozess wahrscheinlich zu einer anderen Regelung gekommen, doch wir konnten nicht auf einen St. Nimmerleinstag warten: wir waren freiberuflich „The show must go on“. Also fuhren wir unser Hab und Gut aufs Land, stellten das Klavier in einer Spedition ab, und ich zog als Untermieterin in die Eigentumswohnung einer Musikerin, die nicht mehr in Wien wohnte, Hajo weilte vorwiegend auf dem Land..                                                                                                   

In diesem etwas aus der Bahn geworfenen Zustand beginne ich mit der Arbeit an einem Strindbergprojekt. „Reminiszere“ so der Titel der Aufführung. Sie behandeltStrindbergs Leben in Bezug auf seine 3 Ehen. Ich bitte Werner Dahms den Strindberg zu interpretieren. Werner ist jetzt schon in Pension, verheiratet mit  Prof. Dr. Sibylle Dahms, geborener Schneider, die ich seit meiner Gymnasialzeit kenne, lebt er in  Salzburg zurückgezogen, kaum jemand weiß, welch großartiger Schauspieler er unter Stroux und Gründgens war. Er ist bereit, eine Tonaufnahme zu erstellen, die ich bei meinen Aufführungen als Strindberg über einer alten Schreibmaschine in Konfrontation zu den von mir gespielten Ehefrauen auftreten lasse. Hajo schafft eine adäquate Bühneneinrichtung. Proben und öffentliche Generalprobe finden in der stimmungsvollen Atmosphäre unserer Scheune in Katzelsdorf statt, die Aufführungen selbst in Emmy Werners „Theater in der Drachengasse“. Später gibt es davon eine CD als Hörbuch.

Im Frühling desselben Jahres gab es in der Scheune zu Brunos 47. Geburtstag auch eine Retrospektive von seinen journalistischen Tätigkeiten, wobei er vor geladenen Gästen auch ein literarisches Programm mit Gitarrenbegleitung von Sepp Dreissinger, professionellem Gitarristen, bekannter jedoch als Fotograph von Thomas Bernhard und dem Komponisten Werner Radicznig schauspielerisch perfekt mit seinen eigenen Texten unter dem Titel „Schlagzeilen“ vortug. Erfreulicherweise hatte Guido eine Videoaufzeichnung davon gemacht. Als Gäste kamen Peter Bleibtreu, ein journalistischer Freund Brunos, Sohn der berühmten Hedwig und Bruder von Monika, sowie Onkel von Moritz., Universitätsprofessor Leser mit seiner Mutter, bekannt mit Bruno seit seiner Kindheit, Erika Pluhar, Kestranek und auch Brunos Tochter Sonja, die er nach vielen Jahren der Trennung nun auch wieder gesehen hatte. Sie war jetzt eine junge Frau und kam in Begleitung eines reizenden jungen Mannes, der sich einige Jahre später das Leben genommen hatte. Auch meine deutschen Freunde, mit denen mich viele Erlebnisse in Paris verbunden haben, Christa und Peter Seidler feierten mit uns. Zwei große Tage für Bruno.

Ja, 1986 durfte ich auch wieder eine Woche in Paris verbringen. Anläßlich der großen Ausstellung "Wien Modern" brachte ich mit meinem lieben Charles Leval am Klavier meinen Altenberg-Abend "...und endlich stirbt die Sehnsucht doch". Angekommen in Paris ging ich mit der Kultursekretärin der Österreichischen Botschaft gleich zu einer Veranstaltung aus Wien. Es war das letzte Mal, daß ich Helmut Qualtinger sah, bei einer Lesung seiner Texte, das war Ende April, Ende September ist er gestorben. Den nächsten Tag verbrachte ich mit Charles und Simone, die mir eine großzügige Unterkunft zur Verfügung gestellt haben. Das Fernsehen brachte Berichte eines Atomunfalls in Tschernobyl mit Verstrahlung außer der Sowjetunion vorallem in Österreich. Von Frankreich war keine Rede. Natürlich war ich entsetzt. Nach meiner Rückkehr habe ich sofort meine guten Weichsel aus Katzelsdorf in Seibersdorfuntersuchen lassen, bevor ich mich ans Einkochen machte und sie waren clean.  

Im Laufe der Jahre gab es viele erinnerungswürdige Feste, jedoch sind mir 3 besonders in Erinnerung, nämlich 1989 als Fritz Stapenhorst mit Isolde aus München angefahren kamen und auch Herr Rudolf Weishappel, Komponist aus Wien. Er hatte mir später eine Überspielung seiner Oper „Elga“ anvertraut, die ich Lavelli nach Paris sandte, damit er sich dafür verwenden möge, sie wurde seinerzeit in Wien in der Volksoper mit sehr guter Besetzung uraufgeführt, und leider bekam ich weder eine Antwort noch die Überspielung zurück. Nun zum Fest war also, wie gesagt auch Herr Weishappel gekommen, er brachte mir die schöne „Traviata“ Platte mit Cotrubas. Isolde und Fritz übernachteten bei uns und wir hatten am nächsten Morgen ein schönes Frühstück. Das Fest 1990 stellt insofern eine besondere Erinnerung da, weil auch diesmal Fritz und Isolde gekommen sind, auch Burga, eine damalige Freundin Brunos aus Hamburg, jedoch hatten viele der Geladenen keine Zeit, so dass nur ein kleiner Kreis feierte, wovon Isolde, die immer gerne Leute mit Namen um sich haben wollte, so enttäuscht war, so dass sie diesmal nicht bei uns übernachten wollte, sondern noch am frühen Abend mit Fritz nach München zurückfuhr. Dabei nahm sie noch Hans Czarnik mit, der erst am frühen Nachmittag zu Fuß aus Bernhardsthal bei uns angekommen war, da er keinen Busanschluß nach Katzelsdorf vorgefunden hatte. Und seinetwegen bleibt mir das Fest besonders in Erinnerung, er hatte nämlich im Auto von den Stapenhorsts sein Notizbuch verloren, Isolde hatte es mir geschickt und ich traf Hans, um es ihm zurückzugeben. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, kurze Zeit später hatte er sich durch Erhängen das Leben genommen. Bruno hatte ihn zuvor noch im Volksgarten gesehen und es bereut, ihn nicht angesprochen zu haben. Das 3. Fest, das ich noch schön in Erinnerung habe, war 1994. In diesem Jahr ging es Bruno seelisch sehr schlecht und trotzdem hat er dieses sein Geburtstagsfest noch genossen. Als er Holde vom Bahnhof Bernhardsthal abgeholt hatte, pflückte er noch unterwegs roten Mohn und war sehr heiter, so erzählte mir Holde. In Katzelsdorf am Hof waren sehr viele Gäste und Bruno freute sich besonders über die Anwesenheit von Frau Kolanda mit ihrer kleinen Tochter, um die sich Bruno reizend kümmerte. Von unserem letzten Fest 1995 berichte ich erst später, es stellte ein trauriges Ende unserer Gastlichkeit dar.

  Gastlich waren wir auch zu Klausi - Mausi, wie er sich bei Bruno am Telefon nannte, nämlich Klaus Löwitsch. Er war von einem Bild Hajos, das Bruno in seiner Wohnung hatte, so angetan, dass er uns in Katzelsdorf besuchte und unbedingt alle Bilder Hajos sehen wollte und eines aussuchte, das er kaufen wollte. Hajo wollte ihm noch keinen Preis nennen und meinte mir gegenüber, dass er es ihm billiger geben wird, weil Löwitsch daran so interessiert  sei. Immer wieder fragte er in den nächsten Tagen telefonisch nach dem Preis. Als Hajo ihm endlich eine Summe nannte, die viel geringer war, als er gewöhnlich für seine Bilder verlangte, war Löwitsch so böse, dass er auflegte. Wir wissen nicht, was er sich erwartete, vielleicht wollte er das Bild geschenkt bekommen, damit war der Kontakt zwischen uns für die Zeit bis nach Brunos Tod zu Ende. 

Bruno allerdings blieb bis zu seinem Tod in guter Beziehung zu dem etwas unberechenbaren Klausi – Mausi. Noch heute besitze ich von Bruno verehrt seine Breitling, die ihm Klaus eines Tages aus heiterem Himmel geschickt hatte mit einem Uhrband aus Leder. Bruno trug sie stolz aber selten, denn er kannte die Wiener Neidgesellschaft. Als ihm dann Klaus  auch noch das Originalband schickte, sollte die Uhr in meine Schatulle. Bruno trug letztlich nur noch Werbegeschenke. An sich war Bruno Uhrenfan. Eine IWC – Uhr brachte er mir, und sagte mir, dass sie repariert gehört. Ich, die ich keine Ahnung von Uhren und Uhrenfirmen hatte, ließ sie in meinem Schrottkästchen liegen im Glauben, es sei eine seiner Werbegeschenksuhren. Er fragte auch nicht danach. Nach einer Uhr allerdings fragte er, die er mir leider nicht für die Reparatur gegeben hatte. Es war Vaters Goldene Taschenuhr, ein Familienerbstück. An einem Geburtstag hatte sie ihm Vater gegeben. Bruno kam zum Frühstück zeigte mir stolz die Uhr. Am selben Tag ging ihm das Uhrglas kaputt. Ich weiß, dass auf seinem Weg zur Burggasse sich ein Uhrengeschäft befand mit Werkstätte für alte Uhren. Ich vermute, dass er dorthin die Uhr brachte, doch in seinem Zettelchaos hat er vielleicht den Zettel verloren und erst Monate später fragte er mich, ob ich wisse, wohin er die Uhr gebracht hat. So war Bruno. Er legte auf nichts großen Wert, Hauptsache war, er konnte arbeiten. 

Als Hajo die Verwaltung von Brunos Besitz übernommen hatte, die Hausverwaltung und die Büroverwaltung, hatte ich die Chance eine freigewordene Wohnung mieten zu können, sie war zwar klein für uns, jedoch besser als eine möblierte Untermiete. Wir konnten also unsere Habseligkeiten vom Land wieder nach Wien bringen, vor allem auch das Klavier wieder aus der Spedition holen und ich gab wieder Privatunterricht neben der Tätigkeit am Dramatischen Zentrum. Einige Jahre später konnten wir die freiwerdende gegenüberliegende Wohnung dazumieten, die wir mit der ersten zusammenlegten, so dass wir wieder eine sehr großzügige Bleibe hatten, mit 2 Eingängen: einen zu dem Unterrichtsraum, den anderen für Privat.

Ich eröffne das Internationale Theaterseminar und engagiere für einen 3- wöchigen Workshop Maximilien Decroux. Wir bekommen durch die Vermittlung von Herrn Dr. Busek dafür Räumlichkeiten im Raimundtheater. Anschließend gibt es einen 3 wöchigen Workshop in der Alexandertechnik, die bis dahin in Wien nicht bekannt war. Ich holte dafür Robin Simons aus London. Wir konnten die Räumlichkeiten des Dramatischen Zentrums dafür bekommen. Bald aber wurden dem Dramatischen Zentrum die Subventionen gestrichen. Man wollte den Direktor Herrn Forester aushungern, er jedoch hatte in seiner Beweglichkeit bald ein besseres Angebot in Deutschland. Getroffen hat es uns Lehrer und als ich versuchte für den weiteren Aufbau des Internationalen Theaterseminars Subventionen zu bekommen, erfuhr ich natürlich eine Abfuhr. Die Räumlichkeiten des Dramatischen Zentrums wurden mit viel Geld zum Literaturhaus umgebaut. Die alternative Theatertätigkeit wurde von den Staatstheatern übernommen. Die Gelder ergingen nun alle an sie. Ich versuchte nochmals ein eigenes Theaterprojekt zu starten. „Rockaby“ und „Nicht Ich“ von Samuel Beckett. Ich schrieb Beckett selbst, ob er die Regie übernehmen würde. Er schrieb mir zurück, dass die Zeit der Reisen für ihn beendet sei und wünschte mir Erfolg. Damals hatte ich eine fast freundschaftliche Verbindung zu Hans Czarnik und seiner Freundin Monika Riniker. Hans war Regisseur und ich sah von ihm mit Monika in den Hauptrollen einige eigenständige Inszenierungen, die mir gefallen haben. Ich erzählte ihm von meinem „Beckett-Projekt“ und fragte ihn als Beckettliebhaber, ob er die Regie übernehmen würde. Er machte eine Aufstellung der Unkosten, die ein derartiges Projekt bedeuten würde. Ich reichte die Bitte um Subventionierung bei Stadt und Bund ein. Die genehmigte Summe betrug weniger als ein Zehntel des notwendigen Betrages. Hans war damit nicht bereit, mitzumachen. So machte ich mich allein mit Hajo daran. Wir waren daran gewöhnt, künstlerisch für einen Hungerlohn zu arbeiten. Bruno hatte gerade mit Schimanko, dem Besitzer von Moulin Rouge ein Interview gemacht und erzählte ihm von meinem Beckett, worauf Schimanko sehr interessiert reagierte und sagte, warum nicht im Moulin Rouge? Bruno erzählte mir dies und ich nahm den Kontakt zu Herrn Schimanko auf. Zuerst sah ich mir die Räumlichkeit an. Sie war für meinen Beckett traumhaft. Also entschloss ich mich, nicht wie ursprünglich geplant im Technischen Museum, sondern im Moulin Rouge die Aufführung zu machen. 

Letztlich war diese Entscheidung keine gute, denn gut war sie nur wegen der großartigen Kulisse, in allen anderen Punkten war sie kontraproduktiv. Herr Schimanko stellte den Kontakt zu seinem Büro her, dort waren meist seine Frau oder die Tochter, die an meiner Sache sicher nicht interessiert waren, man hängte eher widerwillig das Plakat und andere Informationen über das Stück in einem unscheinbaren Schaukasten aus. Ich opferte dafür auch das Originalschreiben Becketts, das ich, da er natürlich mit Tinte geschrieben hatte, verschmiert zurückbekommen habe. Zum Umkleiden hatte ich eines der Chambres Séparées, zum ersten Mal habe ich ein solches kennen gelernt, nicht gerade animierend, gut, es war nicht geheizt. Die Aufführung musste um 22 Uhr beendet sein und die Bühne jedes Mal geräumt werden, da ja alles für das Moulin Rouge Programm wieder zur Verfügung stehen musste. Alle diese Nachteile hatte ich nicht bedacht, das Schlimmste jedoch war, dass die Presse, was Theater betrifft auf diese Adresse nicht eingerichtet war, also hatte ich kaum Ankündigungen, geschweige denn Kritiker, die die Aufführung besuchten. Einer der wenigen Kritiker, der auch in der Theaterkommission saß, Herr Hirschmann schrieb zwar keine Kritik, schlug mich aber für eine Prämie vor, wenigstens eine kleine Anerkennung für unsere Arbeit. Auch das Premierenpublikum war sehr beeindruckt unter ihnen Mimi Wunderer, die damals das kleine Theater im Metropol leitete, sie war bald darauf in St.Pölten Prinzipalin eines eigenen Theaters, trotzdem wurde ich von ihr niemals eingeladen, nachdem sie mich zu Hause nach meinem Beckett besucht hatte und mir ihre Begeisterung kundtat. Es fanden keine weiteren Vorstellungen nach unserer Premier statt. Wir haben jeden Abend die Bühne aufgebaut, ich wartete kostümiert auf Publikum, das nicht kam. So dass ich mich nach einer Woche entschloss, die Chose zu beenden. Hajos Söhne waren gerade bei uns in Wien, Clarens liebte Beckett und hoffte, die Aufführung zu sehen, er durfte mir anstatt die Vorstellung zu sehen, behilflich sein, die Kostüme und Requisiten zu verpacken, die wir dann zu dritt zu Fuß nach Hause trugen.

Ich konzentrierte mich dann weiters auf Gastspiele mit bestehenden Programmen, Unterricht und auf die Organisation in unserem Zusammenleben und da besonders am Hof, wo wir durch Bruno viel Besuch hatten. Ich versuchte, eine gute Gastgeberin zu sein, was mir bei diversen Frauen nicht immer gelang. Hajo zerlegte Rehe, jedes Jahr ein halbes Schwein vom Nachbarn erworben, er versorgte einen eigenen Weinkeller, worin er den frischen Wein jahrelang pflegte und uns und den Gästen beste Qualität offerierte. Ich verkochte wannenweise Weichsel zu Gelee und andere diverse Früchte aus unserem Garten. Ebenso verkochte ich die Abfälle, die Hajo nicht gut genug zum Einfrieren befunden hatte, zu Pasteten. 

Wenn es Angebote für Gastspiele gab, verlief alles sehr befriedigend. Doch diese wurden mit der Zeit weniger, vor allem seit auch die Staatstheater ihre Alternativangebote hatten, sehr preisgünstig, da hoch subventioniert. Unsere Projekte mit mehreren Schauspielern musste notgedrungen am Geld scheitern, wie unser Sommertheater am Resselpark: “Das Jahrmarktfest zu Plundersweilern“ .Die Subventionen betrugen ein Zehntel von den Unkosten, trotzdem wollten es die Schauspieler machen und das Risiko auf sich nehmen. Die Premier fand gerade noch statt, im Publikum war damals auch der heutige Bundespräsident Dr. Fischer. Aber die nächsten Abende fielen im wahrsten Sinne des Wortes  "ins Wasser" und da wurden die guten Kollegen aufsässig und sie setzten uns das Messer an, uns das war die „Kunst Webgasse“ unter welcher Adresse das Unternehmen lief. Sie traten dann auch bei schönem Wetter nicht auf, wenn „Kunst Webgasse“ ihnen nicht die Garantie von 500.- S Abendgage pro Mann pro Abend garantieren würde. Zuerst gab ich dem anwesenden Publikum das Geld für die Eintrittskarte zurück mit dem Bedauern, dass die Schauspieler nicht auftreten wollen, dann schrieb ich zu Hause an die Schauspieler mit der Bitte es am folgenden Abend unterzeichnet mir auszuhändigen. Ich habe die Post nachts eingeschrieben am Postamt Fleischmarkt aufgegeben. Am folgenden Abend kam es wieder zu Diskussionen, sie bestanden weiter auf ihre Forderung. Hajo und ich brachen damit die Veranstaltungsreihe ab, brachten alle Kostüme und Requisiten zurück ins Theater an der Wien, das uns großzügig damit unterstützt hatte. Den Volkswagenbus, wo nachts die Kostüme aufbewahrt werden mussten haben wir zurückgegeben, das Bühnengerüst wurde demontiert, alle Arbeiten mit großem Einsatz und Aufwand geleistet waren umsonst. Ich wusste, dass ich für alle Zukunft, nichts mehr in Gemeinschaft untenehmen werde.

Deshalb hielt ich Ausschau auf ein kleines Lokal, in dem ich mein eigenes Theater machen könnte. Als 1989 ein Teil des Souterrains in unserem Wohnhaus in der Lerchengasse frei wurde, mietete ich dieses, in der Hoffnung, dass vielleicht der danebenliegende Teil auch bald frei würde, um ein richtiges Kellertheater daraus zu machen. Es blieb über all die Jahre leider nur bei dem einen Teil und damit schon bei einem gewissen Provisorium, trotzdem ließ ich den gemieteten Teil renovieren und machte dort literarisches Theater unter dem Namen :  „Literaturtheater Club Lerchengasse 7“ Eröffnet wurde Oktober 1990 mit einer Lesung von 2 Stücken des Dichters Gottfried Benn mit Beteiligung von Bruno Seiser, Holde Naumann und Elga Weinberger - Martinez. Wir lasen „Ithaka“ und der „Vermessungsdirigent“. Im Laufe von 10 Jahren gab es dort viele Programme, die für Wien eine Novität bedeuteten, wie zum Beispiel „Pariser Landleben“ von Aragon oder „Die Transsibirische Eisenbahn“ von Cendrars. Die Besucherzahl blieb ziemlich konstant, so dass der kleine Raum genügte. Werbung war nicht möglich und das einzige Radiointerview, das mit Herrn Huemer schon terminmäßig und themenmäßig „Vive l’anarchie“ fixiert war, wurde knapp davor von ihm abgesagt mit „Sie wollen uns nicht“! Damit unternahm ich keinerlei weitere Anstrengungen, die Öffentlichkeit auf unseren Club aufmerksam zu machen. Jedoch erzählte Isolde Herrn Vogler von der Existenz dieses Literaturtheaters und er wollte unbedingt nach Wien kommen, um eine seiner Lesungen zu machen. Mit seinem Programm „Europäische Märchen“ lockte er keinen unserer Besucher, die an höhere literarische Ansprüche gewöhnt waren, so las er dann leider ausschließlich vor seinem geladenen Publikum, wobei seine Fans lediglich vor dem Theater Schlange standen, um ein Autogramm von ihrem „Karl-Mai-Film-Darsteller zu erhaschen, die Lesung interessierte sie aber nicht. Den Vorteil dieser Veranstaltung brachte mir allerdings, dass durch Brunos Initiative das Fernsehen einen „Seitenblicke – Beitrag“ brachte, aber auch das blieb ohne Auswirkung auf die Besucherzahl in der Zukunft. Die  einzige Folge für mich war, dass man im Vorhaus des Clublokals die Plakate heruntergerissen hatte und den verbleibenden Teil davon mit menschlichen Exkrementen anschmierte: „Wiener Brut“!   Irgendjemand im Haus war wohl mir gegenüber schlechtester Gesinnung, als ich nämlich einmal im Salettl eine Kaffeeeinladung hatte mit Vater Seiser und seiner 2. Frau Alice, wurde mir oben vor die Wohnungstür ebenfalls ein großes Exkrement unter die Fußtacke gelegt. Topsy Küppers, bei der ich mit meinem damaligen Begleiter Gottfried Rabl einen Brechtabend gab, dachte, nur ihr als Jüdin seien solche Geschichten im Theater passiert. „Wien, Wien nur du allein...“ Übrigens Gottfried wurde später ein sehr gefragter Dirigent. Er spielte als erster mit dem RSO mehrere Symphonien von Egon Wellesz ein, ebenso machte er die Orchsterrekonstruktion für die neue Carusoedition. Als Mensch war er, wie ich ihn kannte, sehr bescheiden und liebenswürdig, in seiner Arbeit tiefsinnig.

Nachdem mein Literaturtheater eröffnet war, verlief mein künstlerisches Leben in gemäßigten Bahnen, denn ich war mein eigener Dramaturg, meine Sekretärin, mein Ausstatter, meine Putzfrau, meine Regisseurin mittels Videokamera, die Billeteurin, und letztlich Schauspielerin. Jeden 2. Mittwoch im Monat fand eine Premiere statt. Das Tonband bediente dann eine ehemalige Schülerin. Manchmal versuchte ich noch, diese und Holde bei einem gemeinsamen Programm einzubauen. Diese Aufführungen waren aber oft sehr unfertig, da wir nie genug Proben hatten. Bruno allerdings hatte jedes Jahr 1 – 2 Lesungen seiner Texte und brachte dazu immer sein Publikum. Interessanterweise besuchte kein Einziger von dem meine Aufführungen, wie auch von meinem Publikum sehr wenige zu seinen Rezitationen kamen.

Privat hatte ich meine Arbeiten, die sich auf unsere Wohnung, Redaktion Bruno und Katzelsdorf bezogen. Manchmal musste ich Körbe voll Obst am Wochenbeginn nach Wien mitnehmen, ich fuhr mit Bus und öffentlichen Verkehrsmitteln, um sie während der Woche in Wien zu verarbeiten. Meine Zeit war sehr ausgefüllt. Im Nachhinein verstehe ich nicht, wie ich das alles geschafft habe. Es war eben eine Euphorie, in der ich lebte.

Desto schlimmer war der Sturz, der sich Ende 1993 ankündigte.

Ich hatte im Dezember noch ein schönes Programm gemacht: „Balladen“. Vater Seiser, der mit seiner Frau alle meine Aufführungen besucht hatte, war zum letzten Mal dabei. Er war inzwischen im 94. Lebensjahr. Bruno fuhr, wie jedes Jahr zu seinem Arbeitgeber „Bauer-Verlag“ nach Hamburg, ich fuhr, auch wie jedes Jahr zu diesem Zeitpunkt nach München. Als ich zurückkam, fand ich Bruno in sehr schlechtem Zustand vor. Er sagte mir, er könne unmöglich zum Schiurlaub auf die Turrach fahren, dies war seit ich ihn kannte sein Ausspannen in der Weihnachtszeit. Ich sollte auf der Turrach Bescheid sagen, dass er seine Ankunft verschieben müsse. Er kam mit uns nach Katzelsdorf. Ich habe es mir oft gewünscht, dass er mit uns Weihnachten feiern würde, doch waren dies die traurigsten Weihnachten meines Lebens. Er war so deprimiert, konnte kaum etwas essen, selbst unsere Spaziergänge in tiefem Schnee konnten ihn nicht erfrischen. Dazu kam noch ein Anruf, dass sein ehemaliger Kollege Peter Bleibtreu gestorben ist und Bruno zu seinem Begräbnis Anfang Januar doch unbedingt kommen  und dort einen Nachruf auf Bleibtreu halten soll, was er dann auch tat. Doch für Bruno war das alles der Beginn seines eigenen Todes.

Bei einem Interview am Semmering rief er mich an und sagte mir, dass es ihm so schlecht geht, dass er zu uns in die Lerchengasse kommen müsse, er könne unmöglich zu sich nach Hause in die Hameaustraße gehen. Ab da wohnte er bei uns. Er hatte schwere Panikattacken und es wurde alles sehr schwer. Trotzdem ging er seinem Beruf nach, wie zuvor und versuchte seinen Zustand nach außen hin zu verbergen. Mit neuen Beziehungen, die nun, wie er sagte, nur platonisch waren, da er keine Lust mehr hatte, versuchte er sein Befinden zu verbessern, was ihm dann auch zeitweise gelang, so feierten wir, wie schon oben erwähnt seinen 56. Geburtstag in Katzelsdorf, an dessen Feier auch Vater Seiser sich noch recht wohl fühlte, mit vielen Gästen in guter Stimmung. Aber bald danach, als ich eine Lesung aus seiner kurz davor erschienenen Gedichtsammlung „Bestandsaufnahme“ ansetzte, war er in so schlechter Verfassung, dass er mir sagte, er könne mit den Gedichten nichts anfangen, hatte sie dann aber doch, eher teilnahmslos gelesen. Kurz vor Weihnachten unterzog er sich einer Phimoseoperation, vielleicht war dies schon der Beginn der Metastasen. Anschließend fuhr er zur Kur nach Bad Gleichenberg und verbrachte dort Weihnachten und den Jahreswechsel. Von dort rief er mich jedoch an, dass es ihm psychisch sehr schlecht gehe und deshalb vom Arzt Psychopharmaka verschrieben bekommen habe. Und ab jetzt lebte er mit solchen. Für mich war das das Zeichen, dass Bruno nicht mehr Bruno war. Ich hatte zwar dies alles als psychisches Problem gesehen, jedoch zeigte sich nach seiner Rückkehr von einer Pressefahrt nach Florida das ganze wirkliche Problem in Form einer neuerlichen Melanomerkrankung.

 Bruno war vor 19 Jahren an einem Melanom erkrankt und man gab ihm eine Lebenschance von 3 Monaten, wenn er sich nicht einer Operation unterzogen hätte und einer anschließenden BBC – Behandlung. Unter den BBC – Behandelten war er einer der Wenigen, die dieses Versuchsprogramm erfolgreich überstanden hat und er stand 10 Jahre unter Kontrolle. Nach 10 Jahren hieß es, er könne den Krebs vergessen, er sei geheilt.  So erschien es uns auch, und so dachten wir bei seinen psychischen Downs niemals an die Möglichkeit einer neuerlichen Krebserkrankung. Umso zerschmetternder war die Diagnose vom 15. Februar 1995.

„Die schwarzen Gedichte haben mich eingeholt. Schwarz waren alle meine Gedichte, von einigen wenigen abgesehen“ – und melancholisch war schon das Kind Bruno, wie es viele Fotografien zeigen. So konnten nur die „actions“ diese Seelenstimmung vertreiben oder vergessen machen: Beruf: Journalist.

 "Am Wendepunkt die Wirklichkeit" Tagebuch eines Reporters

 

ad Elias Ritvo

 Madame Boehmberger bonjour.J'ai fais une petite recherche sur mon père Elias Ritvo, et je suis tombé sur votre histoire.Malheuresement mon père est décédé le 5 janvier 2006 au portugal et enterré en Israël.

Je vais vous raconter un peu l'histoire de mon père après ces étude de mime à Paris. Vous savez peut-être qu'il est né au Brésil en 1931 à Sao-Paulo et à l'age de 3 ans la Famille s'est installée à Rio de Janeiro, Il a perdu son pere en 1946 et la famille a éte très pauvre, finalement avec l'indépendance de l'état d'Israël lui et sa soeur ont amené la famille en Israël en 1954. Il s'est marié avec ma mère en 1959 et ils ont eu 2 enfants mon frère 1959 et moi 1965. donc quand il était à Paris pour étudié le Mime je ne suis pas encore né. Après ses étude de mime il est rentré en Israël et a participé à plusieurs voyages en tant que mime dans une troupe qui représentait les artistes israéliens. Il n'a pas pu vivre dans un si petit pays de son art le pantomime. Il a crée une fabrique de céramique avec un ami brésilien et a continué de réaliser des petits bijoux toute sa vie il a également fait beaucoup des tableaux en graphisme et collage et a continué de faire plusieurs fois par ans même bénévollement des spectacle de mime. Un art qui est perdu dans ce monde de multimédia mais que j'ai toujours aimé et pour lequel il était un des meilleur des sa génération. 

Je suis son fils cadet et je vie depuis 23 ans à Paris.
Merci d'avoir mentionné son nom 
Gil RITVO   ritvo@orange.f

 

 
 

 

BRUNOS ENDKAMPF

 

r  Samstag, den 18. Februar 1995 erwarteten wir unsere Freunde Jean-Bernard Naudin, seine 2. Frau Claire de Lavallée und deren Tochter Rosa aus Paris. Doch zuvor will sich Bruno am  15. Februar seine Krampfadern operieren lassen, aber am Samstag wird er wieder zu Hause sein. Das ist in der Lerchengasse, denn seit einem Jahr meidet er sein Domizil in der Hameaustraße.

Am Dienstag, den 14. Februar freut er sich über einen Brief, der ihn aus Thailand erreicht, in dem ihn ein Mädchen, das er zu Weihnachten in Bad Gleichenberg kennengelernt hatte, mit "Mein Meister" anspricht. Er zeigt mir den Brief.

Am 15. Februar morgens nach dem Aufwachen, noch im Bett, erzählt er mir einen Traum: "Statt eines Hochzeitszugs gab es einen Leichenzug".

Für diesen Tag hat Bruno den Termin für die Aufnahme in der Privatklinik Döbling als Patient von Doz. Dr. Michael Redtenbacher. Er vertraut sich diesem an, da er über Gerharde mit ihm bekannt ist. Die unschönen Krampfadern sollen entfernt und dadurch der Blutfluß im rechten Bein wieder aktiviert werden. "Eine problemlose Angelegenheit" versichert ihm Dr. Redtenbacher. Den unschönen Auswuchs in der linken Armbeuge, den Bruno neuerdings hat, der "eindeutig nur ein Fettgewebe ist", will er während der Krampfadernoperation auch entfernen.

Also begibt sich Bruno am Mittwoch in die Klinik. Ich begleite ihn. Wir bringen seine Sachen in das für ihn bestimmte Zimmer. Es ist ein Zweibettzimmer. Ein ca. 55-jähriger Mann sitzt lesend am Tischchen. Er kuriert seine Lungenentzündung aus. Auf dem Weg zur Röntgenabteilung sehen wir uns die Klinik etwas an und Bruno sagt: "Für diese Operation, die ja keine Hexerei zu sein scheint, lasse ich es mir hier gefallen, aber wenn ich etwas Ernsteres hätte, ginge ich niemals hierher, da kommt für mich nur das AKH in Frage." Wir setzen uns dann in den Wartebereich zur Voruntersuchung. Michael eilt einige Male an uns vorbei, wirft Bruno zum Gruß einige Blicke und Worte zu. Bruno fühlt sich aufgehoben und sagt mir, ich könne jetzt gehen, er wolle alleine warten. Ich wünsche ihm alles Gute und gehe.

Ich mache einige Besorgungen. Hajo will sich schon lange eine Hose kaufen, wir beschließen, dies zu tun, gehen in die Stadt, trinken auch bei Demel einen Kaffee. Hajo geht dann in die Burggasse, ich nach Hause. Als ich zu Hause ankomme, finde ich mehrere Telefonaufsprachen, sowohl von Bruno als auch von Dr. Redtenbacher. Alle in großer Erregung. Michael:"M;aria, rufen Sie mich sofort zurück, Bruno hat Metastasen in der Lunge." Bruno mit zwei Anrufen: "Wo bist Du denn? Bitte komme, irgendetwas scheint mit den Röntgen nicht in Ordnung zu sein. Sie haben etwas gefunden." Bitte komme sofort."

Ich rufe als erstes Michael zurück. Er bestätigt mir seine Aussage vom Tonband. Ich: "Aber Michael, das ist doch nicht möglich!" dann: "Und was kann man tun?" Er: "Als erstes Ruhe bewahren. In Ruhe die Schlacht führen. Sie müssen versprechen, Ruhe zu bewahren." Dies verspreche ich. Und versuche in Hinkunft, mich dieses Versprechens immer zu erinnern, auch wenn mir dies manchmal als eine Sache der Unmöglichkeit erscheint. Ich nehme ein Taxi und bin bei Bruno. Ich habe natürlich "noch nicht mit Michael gesprochen" und sage: "Bruno, sag', was erzählst Du da auf Tonband?!" Er: "Ja, sie haben auf der Lunge was gefunden, frag' den Michael. Ich habe gemerkt, daß sie die Röntgenaufnahme wiederholt haben, dann machten sie eine Computertomografie und da fuhren sie immer wieder zurück und redeten darüber, und dann kam Michael aufgeregt zu mir und sagte, daß es aussieht, daß ich auf der Lunge Metastasen habe. Die Oberschwester lud mich dann zu einem Gläschen Sekt ein, und daraufhin gaben sie mir ein anderes Zimmer, das angeblich "besonders schön ist" und in dem ich allein sein kann."

Die Welt stürzte für mich ein.

Mein Hinunterspielen der Situation als mir Michael neben Bruno die Röntgenaufnahmen erklärte, war wie in Trance. Mein Herz schlug, krampfte sich zusammen, wie so oft in diesem schrecklichen Jahr.

1995 das Jahr des Leidens und das schrecklichste für Bruno.

Als ich spät am Abend Bruno verließ, verblieben wir so, daß vielleicht doch alles ganz anders ist, ich am Morgen früh komme und wir dann weiter beraten. Was für eine furchtbare Nacht haben wir verbracht. Keiner hat darüber gesprochen.

Am Morgen des 16. Februars fahre ich früh zu Bruno. Michael zeigte sich nicht mehr. Gegen 11.00 Uhr kam ein Dr .L., der sich als Onkologe vorstellte, sagte unter anderem, er sei zwar nicht auf dem neuersten Stand, schlug aber Bruno verschiedene Möglichkeiten von Behandlungen vor, unter anderem wollte er sich erbötig machen, Bruno in einem ganz neuen Forschungsprogramm unterzubringen, nur müsse Bruno sich dann ganz schnell entscheiden, da es nur mehr wenige Plätze gibt. Später stellte sich heraus, daß damit das Forschungsprogrammvon Prof. Wolff / Stingl gemeint war. 

 

Ich hatte am Morgen,bevor ich zu Bruno gefahren bin, eingedenk der Aussage Brunos, daß er im Ernstfall nur das AKH für kompetent hält, Prof. Pehamberger angerufen und ihn gebeten,daß er die Untersuchungsunterlagen der Döblinger Klinik anfordert und beurteilt. Nach dem Anhören der Therapievorschläge von Dr. L. rief ich abermals Prof. Pehamberger an und bat ihn, uns zu empfangen. Er sagte: "Kommen Sie sofort und bringen Sie die Unterlagen mit." Ich informierte Bruno über das Gespräch mit Prof. Pehamberger und mit seinem Einverständnis holte ich die Duplikate der Untersuchungsergebnisse auf der Station, packte Brunos Sachen - inzwischen kam Dr. L. und legte uns eine Ausgangserlaubnis zur Unterzeichnung vor. Wir erklärten ihm sein Mißverstehen und sagten ihm, daß wir nicht vorhätten, nochmals zurückzukommen, nahmen ein Taxi Richtung AKH: eine Fahrt, die uns unendlich erschien.

Im AKH angekommen, sieht sich Prof. Pehamberger die Untersuchungsergebnisse an mit dem Hinweis, er möchte die Untersuchung nochmals durchführen lassen. Wir begeben uns in die Ambulanz der Dermatologie. Ein junger deutscher Assistenzarzt, Dr. Hörmann füllt die Fragebogen aus.  Der alte Akt "Seiser" ist beim Umzug ins neue AKH nicht mitgenommen worden, denn Seiser wurde 1987 nach 10-jähriger Kontrolle als "geheilt" entlassen. Dann werden die üblichen Untersuchungen durchgeführt. Später kommt eine Frau Dr. Mossbacher, rechte Hand von Prof. Pehamberger und sieht sich zusammen mit Dr. Hörmann die Haut an. Diese Untersuchung wird später auf der Station mit Dr. Stingl wiederholt. Es ist mir ein besonders widerlicher Akt gewesen, da ein Ausdruck von Gier oder Neugier in den Gesichtern und Gesten der Ausführenden lag.

 

Bruno wird im Roten Bettenturm auf Ebene H 17 ein schönes Einzelzimmer zugewiesen. Die Untersuchungen beginnen en detail: Ganzkörpercomputertomografie, Hirntomografie, Röntgen, Bauchsonografie. Jedesmal sitze ich vor der Tür, halte seine Brille und Schmuckgegenstände: Vaters Ring, Mikes Kennmarke an der Halskette und bete...bete...Wenn eine freundliche Schwester nach einer Tomografie uns augenzwinkernd zu verstehen gibt, daß alles in Ordnung ist, wie nach der Hirntomografie, gehen wir überglücklich davon.

Die Untersuchungen ziehen sich dahin. Ziemlich am Beginn kommt Prof. Wolff und erzählt von der einmaligen Chance, in das gerade anlaufende "Impfprogramm" einsteigen zu können. Dabei zeigt er die ersten Tage Bruno gegenüber nicht die größte Zartheit, wie er ihm seinen Zustand nahebringt. Einmal verbiete ich ihm weiterzusprechen, da Bruno schon ganz weiß vor Angst ist, was Wolff nicht mal registriert, er hält dann einige Sekunden inne, gleich aber redet er weiter auf ihn ein, und Bruno will ihn dann tagelang nicht sehen und bittet mich und Hajo, auf jeden Fall zugegen zu sein, wenn Wolff auf ihn losgelassen wird.

In den nächsten Tagen stürmen die Ereignisse auf Bruno ein - er liegt wie in Panik - jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, eine neue Hiobsbotschaft. So gehe ich um 8.00 Uhr früh ins Krankenhaus und verlasse es um 22.00 Uhr, um ein bißchen zu helfen, soweit das in dieser Situation möglich ist. Wir besprechen die Aussagen der Ärzte und ich versuche, ihm die Spitze der Angst zu nehmen. An einem Vormittag schlägt Hajo vor, daß Bruno seine Kontakte zur Außenwelt aufnehmen soll, nachdem er bis zu diesem Zeitpunkt nur Hajo und mich als Anwesende duldete, und dieser Rat schien wirklich die beste Wirkung zu haben: Bruno ruft sofort die vielen Personen an, mit denen er beruflich und privat in Kontakt stand: Löwitsch, Pluhar, Wildbolz, Senger, Freundinnen, Freunde und bittet sie zu kommen. Es beginnt ein reger Verkehr. Dazu laufen Telegramme, Briefe ein: von Muliar, Falk, Proksch und vielen anderen - alle wollen Bruno innerlich aufbauen. Die Reiseschreibmaschine wird wieder in Aktion gesetzt und Bruno holt sich seine Interviewpartner ins AKH und sie kommen: Leute vom ORF, aus der Wirtschaft, Zeitungsleute. Diese versuchen wiederum von Bruno Interviews zu machen. Doch dies ist nicht so leicht, denn Prof. Wolff will keinen Presserummel. Trotzdem erscheint ein Artikel über Bruno in "News", ein Interview in "Willkommen Österreich", auch Lahodynsky bringt in der "Presse" und Mucha im "Extradienst" einen Artikel über den neuerlichen Ausbruch von Brunos Krankheit.

Dr. Pauser vom "Orgonon" rät Bruno: "Aktivieren Sie Ihr Verhalten von anno dazumal, auch wenn es Ihrem heutigen Verständnis nicht mehr gemäß ist, schlagen Sie wie damals um sich, um die Krankheit zu meistern." Doch Bruno sagt, er habe nicht mehr die selbe Kraft. Er ist eben inzwischen 57 und rundherum sind viele Einbrüche, Frustrationen. Vater ist alt und krank. Beruflich ist es nicht mehr wie früher. Privat hat er keine Vision.

Ein Bubentraum: Die Tür geht auf und Klaus Löwitsch steht in der Tür und bringt das ganze AKH durcheinander - doch der ruft nur an, läßt mich ans Telefon holen und sagt mir, ich solle unten im AKH Blumen kaufen und sie von der Schwester als "von Klaus Löwitsch gesandt" überbringen lassen. Und der sonst so skeptische Bruno leuchtet übers ganze Gesicht vor Freude über Klausis Freundschaft, der ihn auch wissen läßt, daß er ihm in den nächsten Tagen jemand schickt, der Bruno einen Maßanzug bringt. Dieser Tag kam nie, abgesehen davon, daß Bruno ihn nicht brauchte, aber es kam auch nie wieder ein Lebenszeichen von Klaus, was sich Bruno nie erklären konnte und ihn sehr schmerzte.

Wenn auch keinen Klausi-Mausi so gab es doch viele Besuche für Bruno, Menschen, die ihm mit ihrer Gegenwart, mit Worten, lustigen und ernsten Talismanen Gesundheit und Hoffnung bringen wollten. Sie brachten die verschiedensten Therapievorschläge, Adressen von Alternativmedizinern, Naturheilern, Wenderinnen, brachten Tees, Notfalltropfen, die verschiedensten Wässerchen, jeder wollte ihn wieder auf die Beine bringen. Doch als alle Untersuchungsergebnisse vorlagen, war alles auf einmal so ernst, auf einige Fakten reduziert, die alles rundherum sehr naiv erscheinen ließen:

 

Metastasen:  

1 im rechten Unterlungenlappen                                                                                                     3 im linken Unterlungenlappen                                                                                                       1 in der Milz                                                                                                                                   3 in der Haut:1 in der linken Ellbogenbeuge                                                                                                      1 am rechten Oberarm                                                                                                                    1 am Rücken 

 

Bei dieser Streuung fallen die Vaccine flach. Oder ist es wirklich die noch nicht durchgeführte Chemotherapie, die angeblich gesetzlich Vorbedingung ist für die Vaccinebehandlung nach Prof. Stingl. Oder Prof. Wolff will keinen Presserummel. Damit bleibt also nur der übliche Weg der Schulmedizin, der laut Prof. Pehamberger folgendermaßen aussieht:

1. Operative Entfernung der Tumormasse.                  

2. Stärkung der Immunlage durch Interferon.                                    

3. Ausrottung bestehender Krebszellen durch Chemotherapie. 

Als erstes sollten am 28. 2. die Hauttomore entfernt werden. Doch davor wollen wir Bedenkzeit und verlassen über das Wochenende das AKH, um nach München zu fahren und dort den Heiler Chris aufzusuchen. Dieser rät von jeglicher Operation ab und empfiehlt, nur die Selbstheilungskräfte zu aktivieren und meint, daß Bruno das mit diversen Tees und Naturmitteln, die er ihm verschreibt, und mit Chris geistiger  Unterstützung erreichen könne. Für die zweieinhalb Stunden Sitzung zahlt Bruno 450.- DM und hat das Gefühl, jemand aufgesessen zu sein. Im Hotel besucht uns auf meine Bitte Dr. Magerstädt, Homöopath in München, der von einem ähnlichen Melanomverlauf bei seinem Schwager erzählt, der noch immer am Leben ist, und empfiehlt in die Paracelsusklinik bei Stuttgart oder in die Lukasklinik Basel zu gehen.

Der Münchner Aufenthalt war verregnet und ohne Lichtblick. Am ersten Abend holten uns Isolde und Fritz Stapenhorst im Hotel ab und luden uns zum Abendessen in ein Landgasthaus ein - in einer anderen Situation wäre es ein gemütliches Zusammensein gewesen. Isolde riet nach wie vor von einer Operation ab. Jeder von uns versuchte Brunos Zustand zu bagatellisieren, ob aus Vogelstraußpolitik, aus Nächstenliebe oder Eigenliebe. Keiner wollte sich eingestehen, wie ernst sein Zustand war. Sonntag Abend trafen wir abermals Isolde ohne Fritz und aßen italienisch im ehemaligen Sollner "Wienerwald". Am Montag früh flogen Bruno und ich in einer "Mini-Lauda" nach Wien zurück. Illusionslos steuerten wir dann im Taxi auf das AKH zu, und damit in die Hände der Schulmedizin. Am Montag Nachmittag kam Dr. Paus, er brachte uns seine Recherchen mit und riet eindringlich von einer Operation ab. Seine Empfehlung war,sich mit dem Ardennen-Institut in Verbindung zu setzen, zu diesem Zweck brachte er die Telefonnummer  von Frau Röllig mit, die auch die private Quartiervermittlung veranlassen würde, die Therapiekosten beliefen sich auf ca. 20.000.- DM. Jedenfalls würden die Heilerfolge der Ardennen-Therapie 60% betragen, hingegen die der herkömmlichen Chemotherapie 12%.

Bruno und ich berieten alle uns gemachten Empfehlungen, Vorschläge, Meinungen,alle Für und Wider. Ich sagte ihm meine Meinung: Ich kann nur das sagen, was ich täte, wenn ich mich in Deiner Situation befände, ich würde mich nicht operieren lassen."

Er dachte lange nach. Als sein Entschluß feststand sagte er: "Ich hätte keine ruhige Stunde mehr, wenn ich weiß, die Metastasen sind in mir. Für mich kommt nur der von Pehamberger vorgeschlagene Weg in Betracht."

Ab diesem Moment akzeptierte ich seinen Weg und nahm mir vor, ihn darin zu stärken. Ich, die Verächterin eines Systems, von dem die Schulmedizin eine notwendige Konsequenz ist, das Denksystem eines Henri Bergson hat bis heute unsere Universitäten nicht erreicht, habe mich Bruno zuliebe untergeordnet. was mir in diesem Jahr oft sehr schwer gefallen ist, nötigenfalls habe ich das Zimmer verlassen, um vor Bruno keine Diskussionen auszulösen. Einige jedoch waren unumgänglich.

Und so beginnt der Leidensweg.

Am Dienstag, den 28. Februar werden die drei Hauttumore operativ entfernt: zwei an den Armen, ein ganz kleiner am Rücken. Die Wenderin, mit der ich an diesem Tag telefoniere, spricht  " von einer Herde beißender Hunde", die sie vor sich hat. Auf ihre Empfehlung flöße ich Bruno täglich eine Menge von Injeel- Präparaten ein, auch trinkt er auf den Ratschlag japanischer Heiler täglich morgens etwas von seinem Urin, er dem so schnell von allem ekelt, läßt auch das nicht unversucht.

Prof. Dr. Jakesz, der die Milz operieren wird, sagt über den Zusammenhang Operation - Krebsgeschehen von uns befragt: "Operationen stellen immer eine Belastung dar, sodaß durch Schwächung der Immunlage etwaige Tumorzellen zum Wachstum kommen können."

Prof. Dr. Eckersberger, der die Lungenoperation durchführen wird, beschreibt, wie notwendig es ist, daß zuerst die Milzoperation erfolgt: "Einige Lymphknoten entlang der Hauptschlagader sind vergrößert. Man wird, wenn man den Bauchraum öffnet, diese ansehen und eventuell entfernen. Der Herd in der Milz ist 3,7 cm groß. Wir wissen nicht 100% ig, was es ist. Viel mehr kann ich nicht sagen, als: Sie sind in einer körperlichen Situation, in der Sie die Operation verkraften."

Bruno wog beim Eintritt ins AKH 79 kg. Sein EKG war bestens.

Am Donnerstag, den 9. März wird Bruno zum "Kennenlernen" auf die Chirurgie Grüner Bettenturm 21 C Zimmer 102 transferiert. Es werden verschiedene Untersuchungen gemacht.Während wir in der Wartezone auf die Untersuchungen warten, erzählt mir Bruno von der vergangenen Nacht: Er hatte wenig geschlafen und hatte ganz intensiv und mit größter Klarheit in allen Details die Situation durchgemacht, wie er nach Mike's Tod im allerletzten Augenblick Angola verlassen hatte. Er schien überhaupt an dem Tag vor seiner Operation äußerst konzentriert und klar zu sein.

Am Freitag um 10.45 Uhr wird er in den OP-Bereich gefahren. Als ich am Morgen ins AKH gekommen bin, lief ich noch zur Post, um ein Fax an Chris, den Heiler in München zu senden mit der Bitte, er möge Bruno geistig Beistand leisten. Ich hätte mir das allerdings ersparen können, denn wie ich später erfuhr, hatte Chris die Adresse gewechselt und das Fax nie bekommen, überdies hatte er nach unserer Abfahrt von München den geistigen Kontakt zu Bruno nicht wieder aufgenommen.

Ich mache Bruno ein Kreuz und wünsche ihm viel Glück, als der Pfleger ihn zur Narkose holt. Ich gehe auf den Gang, wo ich während der ganzen Operation warte. Um 11.45 Uhr kommt Prof. Jakesz und sagt "Jetzt geht' s los." Ich bitte ihn, mir sofort Bescheid zu geben, sobald die Operation beendet ist und er verspricht mir dies. Ich wünsche ihm viel Glück. Fast zwei Stunden lang gehe ich auf dem Gang auf und ab: betend - bangend - betend. Um 13.20 Uhr läßt mich Prof. Jakesz rufen: "Alles bestens gegangen - wenig Blutverlust - keine Blutkonserven - die Milz war etwas vergrößert - wir haben sie zur Untersuchung eingeschickt - wir haben auch zwei Lymphknoten, die minimal vergrößert waren zur Probe entnommen - sehr schön entfernt - alles ist sehr gut gegangen." Ein Stein fiel mir vom Herzen. Auf einmal war alles überstanden. Es mußte jetzt alles wieder gut werden.

Als man Bruno in den Aufwacheraum brachte, konnte ich ihn von weitem gut sehen, weil Prof. Jakesz mich hat rufen lassen, vertrieb man mich auch nicht aus dem Vorraum. Und als Bruno sich zu bewegen begann, lief ich in den Aufwacheraum und rief ihm zu: "Bruno, Bruno, es ist alles gut!" Ich hatte das Gefühl, daß er es gehört hat. Aber dann schüttelte es ihn schrecklich, er schlug um sich und bäumte sich auf. Die Pfleger und Schwestern versuchten ihn zu bändigen und zu beruhigen. Sie brachten ihm eine Heizdecke.

Eine nette, junge, blonde Ärztin kam lachend auf mich zu und sagte mir, da Verhalten sei ganz normal, es ist durch die Temperaturunterschiede zwischen OP und Aufwacheraum bedingt. Später kam der Narkosearzt und sagte, sie hätten ihm jetzt Sedierungsmittel gegeben und er würde ca. 2 Stunden schlafen. Ich solle jetzt für die Zeit weggehen und könne dann wieder kommen.

Das tat ich. Ein Gebet des Dankes in der Kapelle. Und ein Gebet als Bitte um Brunos Genesung. Anrufe: Vater Seiser, Hajo, daß alles gut gegangen ist. Dann ging ich ins Café Klinikum etwas essen. Nach zwei Stunden war ich wieder bei Bruno im Aufwacheraum. Er schlief noch. Ich ging wieder auf den Gang und wartete. Von Zeit zu Zeit ging ich wieder in den Vorraum, um zu sehen, ob er sich schon bewegt. Inzwischen ist es Abend geworden. Da kam Andy, der Pfleger und sagte mir, Bruno sei wach und möchte mich sehen, ich solle hineingehen. Er redete schon ein bißchen. Wandte sich aber bald von mir ab Andy zu und lobte ihn voll Hingebung, dann sagte er zu mir, ich könne gehen, weil er Andy hätte, der ihn bestens bewache. Er hate ja recht: Andy verfolgte via Apparaturen alles und konnte ihm in diesen Augenblicken wirklich helfen, während ich nur im Weg gestanden wäre. Dazu gab es im Aufwacheraum viel Betrieb. Ein junges Ehepaar kam mit einem kleinen Kind, das notoperiert werden mußte. Bruno erzählte später noch oft davon und von dem jungen Arzt, der sich so lieb des Kindes annahm, er hat diesen sehr ins Herz geschlossen und ihn gebeten, daß er ihn bei seiner Lungenoperation als Anästhesist betreut. Ich gab Andy meine Telefonnummer und bat ihn, mich anzurufen, falls es irgendwelche Komplikationen gäbe. Ich nahm Andys Nummer und bat, ihn von Zeit zu Zeit anrufen zu dürfen, um nach Brunos Befinden zu fragen. So verließ ich erleichtert das Krankenhaus. Eine Schlacht schien gewonnen.

Früh am Morgen des nächsten Tages war ich bei Bruno. Er war noch im Aufwacheraum. Gegen 9.30 Uhr fuhren wir dann, ein Pfleger und ich mit ihm aufs Zimmer. Es schien alles bestens zu sein. Sein Gewicht betrug 73 kg. Ich war wie immer den ganzen Tag bei ihm. Er sollte noch keinen Besuch haben. Da schaute auf einmal Peter Tiedemann bei der Tür herein. Ich mußte ihm zu verstehen geben, daß Bruno noch nicht in der Lage ist Besuch zu empfangen und er ging auch gleich wieder. Schlimmer war es, daß am Nachmittag Vater Seiser und Alice kamen. Ich mußte auch sie bitten, möglichst bald wieder zu gehen, zumal Bruno bereits vor seiner Krankheit sehr unter dem Anblick seines geliebten nun schon sehr zittrigen Vaters litt.

Inzwischen war es Abend geworden und Bruno wollte die Nachrichten im Fernsehen sehen. Im Laufe der Nachrichten veränderte er auf einmal sein Aussehen, wurde starr im Blick und bat mich, den Fernseher auszuschalten. Ich nahm wahr, wie er voll von Ängsten zu sein schien, und überlegte mir, daß er vielleicht seine Psychopharma entbehrte, die er in den letzten Wochen in ziemlich hoher Dosierung verabreicht bekam. Diese Dosis wurde angesichts der Operation noch erhöht und nun, da er oral nichts zu sich nehmen durfte, fehlten sie ihm offenbar. Ich ging auf die Station und machte den Nachtdienst habenden Stationsarzt darauf aufmerksam. Er registrierte es und versprach, Bruno der oralen Dosis adäquate Spritze zu geben. Allerdings hatte er dies bis 22.00 Uhr nicht getan. Da ich um diese Zeit das Krankenhaus verlassen mußte, bat ich ihn nochmals, Brunos Spritze nicht zu vergessen. Er sagte, er würde sie ihm gleich geben. So ging ich.

Als ich am Sonntag Morgen gegen 9.00 Uhr kam, lag Bruno total verängstigt, wie in Panik, starr im Auge, er machte mir den Vorwurf, warum ich ihn so lange warten lasse, dann bat er mich, ihm Gift zu besorgen, oder ihm zu helfen, sich aus dem Fenster zu stürzen. Er allein könne es nicht, da er durch Kanülen unbeweglich war. Da ich ihm das auszureden versuchte, rief er eine Bekannte an, die einmal behauptet hatte, daß sie für den Fall des Falles als letzten Ausweg immer Gift bei sich hätte, und er bat sie, ihm etwas zu bringen. Ich war über Brunos psychischen Zustand entsetzt und lief zum Stationsarzt. Da noch immer der Arzt vom Vorabend da war, fragte ich ihn, ob er Bruno die Spritze gegeben hätte, worauf er mir sagte, man habe gestern die Spritze nicht mehr geben können, aber er würde sie heute bekommen. Ich drängte, sie ihm gleich zu geben, da stellte sich heraus, daß sie die Spritze noch gar nicht haben. Ich lief auf den Gang und zerrte den Oberarzt, der gerade Visite machte und Bruno wissentlich überging, ins Zimmer. Ich zwang ihn, sich Brunos Zustand anzusehen. Er sah, wie Bruno fertig war und sagte, es sei schon alles in die Wege geleitet, man müsse aber auf den Psychotherapeuten warten. Es verging eine Stunde. Brunos Panik nahm zu und von Seiten der Ärzte passierte nichts.

Man muß bedenken:Gleich zu Beginn des Krankenhausaufenthaltes begannen Psychotherapeuten sich Brunos depressiven Zustandes anzunehmen. Zuerst kam eine Frau Dr. Denk, die dann den Fall an Herrn Doz. Dr. Siemhandl abgab. Von ihm bekam Bruno täglich:                                      

1/2, 0, 1, 0  Temester                                                            

1/2, 0, 0, 2  Trittico  ( 100 mg )

 0,  0,  0, 1/2 Rohypnol

Diese Verordnung wurde vor der Operation erhöht auf:

1, 1, 0, 0   Temester

1/2, 1/2, 1, 0 Trittico

 0, 0 , 0, 1    Rohypnol

 

Jeder Laie kann sich vorstellen, daß solche Dosen, wenn sie plötzlich weggelassen werden, schwere Entzugserscheinungen hervorrufen. Herr Doz. Dr. Siemhandl, der vor der Operation fast täglich kam, hatte sich seit der Operation nicht mehr gezeigt und inzwischen war Sonntag. Die Wartezeit war für Bruno unerträglich. Er wollte sterben. Später sagte er oft, daß bei allen Schmerzen und Schrecken, die er in all diesen Monaten erlebt hatte, dieser Vormittag der schrecklichste war. Er ist in seinem Kalender als "Zusammenbruch" markiert. Also lief ich wieder auf die Station und zwang den Jungarzt ( noch immer der vom Abend ) in Brunos Zimmer zu gehen und sich seinen Zustand anzusehen.

Nachdem er ihn gesehen hatte, erbarmte er sich und piepste nochmals die Psychiatrie an. Nach ca. 1/2 Stunde kam ein Herr Dr. Berger. Er stellte sich vor und begann mit einem Fragenkatalog "Wie geht es?" "Wie steht's mit dem Appetit?" Es war Brunos 2. Tag nach der Operation, er hing an Schläuchen, durfte noch nicht mal trinken. "Sie haben schon einmal Psychopharma gehabt?" "Möchten Sie wieder welche?" Bruno war doch gar nicht in der Lage zu denken. Ich beschwor Dr. Berger, die von Siemhandl verschriebenen oralen Dosen auf intervenöse oder intermuskuläre Dosen umzurechnen und ihm diese endlich zu spritzen. Der Arzt ging auf die Station und 1/2 Stunde später kam er dann mit der Spritze. 1 Stunde nachdem Bruno die Spritze erhalten hatte, war sein Zustand gebessert. Mit etwas mehr Genauigkeit hätte man ihm wenigstens diese Qualen ersparen können.

Dieser unvergeßliche Schreckenstag war der 12. März.

Nach diesem Tag machte Bruno, wie es seine Art war, sofort alle Anstrengungen, um aufzustehen, sich selbst zu waschen, mit den Schläuchen am Gang Gehversuche zu machen und sehr bald wieder an die Schreibmaschine zu gehen: am Samstag, den 18. März sitzt er bereits wieder beim Schreiben. Am selbigen Tag hat er um 15.00 Uhr zum ersten Mal eine Therapiestunde bei Dr. Becker. Dessen Adresse erhielt ich von Frau Dr. Mitscherlich in Frankfurt. Herr Dr. Becker macht einen integeren Eindruck und ist Bruno gegenüber sehr respektvoll, was sehr wohltuend ist, zumal in einer Zeit, in der er sich nur mehr gegängelt fühlt, da immerwährend angewiesen. Trotz Therapiestunde ist Bruno am nächsten Tag, es ist ein Sonntag eher depressiv. So gebe ich ihm 1/2 Temester mehr und es geht ihm bald etwas besser. Um 11.00 Uhr kommt Else und entführt uns zu einem Wienerwald - Spaziergang. Brunos erster Ausgang nach der Operation, abgesehen von kleinen ist  Spaziergängen auf dem Terrain des AKH's. Wir fahren zuerst in Brunos Wohnung. Da werden wir zu einem Calvados eingeladen, Bruno allerdings darf nur daran riechen. Wir trinken auf sein Wohl. Bruno und Else gehen dann spazieren. Ich packe Sachen zusammen, die Bruno im AKH haben will und fahren damit in die Lerchengasse, um sie ihm später ins Krankenhaus zu bringen. Um 15.15 Uhr bin ich dort. Bruno ist schon vom Spaziergang zurück. Frau Steinweg-Seeleib ist bei ihm, dann kommt Gerti Sengers Sohn mit einem großen Stoffpapagei, der reden kann und als ich um 20.30 Uhr das Krankenhaus verlasse, treffe ich Dr. Lebiszczak, der auf dem Weg ui Bruno ist. Ich bitte ihn, den Besuch zu vertagen, da Bruno schon schlafengegangen ist, todmüde nach seinem ersten Ausgang.

Am Tag des Frühlingsbeginn kommt Gerti Senger mit ihrem Aufnahmeteam von "Willkommen Österreich" um von Bruno und mir einen Beitrag zu "Platonischer Liebe" zu machen. Bruno freut sich, wieder einmal im Fersehen zugegen zu sein. 

Am Montag spreche ich mit Prof. Wolff und er ist mit Brunos Zustand sehr zufrieden. Mittags hat Bruno seine 2. Therapiestunde mit Dr. Becker. Am Nachmittag kommen Vater und Alice. Als ich zu Bruno komme, sitzen er und Hajo lachend bei einem Automatenkaffee, sich über das Wässerchen amüsierend. Dann kommt Roland Machatschke zu einem Interview. Um 17.00 Uhr setzt sich Bruno an die Maschine, das Portrait zu schreiben. 

Die Milzoperation hat Bruno gut verkraftet, er hat jetzt, es ist der 3. April, 72 kg. Sein Blutdruck ist 132 / 76. Sein EKG ist in Ordnung. So soll der 2. Schritt unternommen werden: die Lungenoperation.

Die letzten zwei Wochen verbrachte er, wie vor der Milzoperation im Roten Bettenturm auf H17. Jetzt wird er wieder in das Grüne Bettenhaus transferiert auf D 20.

Es ist Dienstag, der 4. April 1995. Ich bin um 6.45 Uhr im AKH. Fahre auf D 20, gehe zu Brunos Zimmer, aber Bruno wird schon herausgefahren. Wir schieben ihn auf  9 G / OP   Gruppe II, Allgem.Gefäß / Herz / Thorax Chirurgie in den Warteraum. Bruno ist sehr ruhig, konzentriert. Ich bleibe beim Warten dicht neben ihm, halte seine Hand. Als der Pfleger kommt, um ihn zur Narkose zu fahren, mache ich ihm ein Kreuz und wünsche ihm alles Glück. Es ist ein schrecklicher Moment. Ich gehe zur Leitstelle und frage, wie lange die Operation dauern wird. Man sagt mir ca. 2 1/2. Es ist jetzt 7.20 Uhr. Man sagt mir, ich kann um 10 Uhr fragen kommen. Bis dahin gehe ich, wie auch während der Milzoperation, auf dem Gang auf und ab. Um 9.15 Uhr kommt mir Prof. Jakesz entgegen in Richtung OP eilend: "Guten Morgen, jetzt geht's los!" Ich bin verdutzt: "Ach, jetzt erst!? Ich dachte, die Operation sei schon in Gang." Prof. Jakesz, der sich bereit erklärte, Prof. Eckersberger zu assistieren, da Bruno ihn darum gebeten hatte: "Ja, zum Aufschneiden haben sie mich nicht gebraucht. Jetzt beginnt es erst richtig. Ich sage Ihnen, sobald wir es wissen, Bescheid."

Mein auf dem Gang Auf- und Abgehen schien mir unendlich. Ich betete, las Psalmen und war im Geist nur bei Bruno. Um 10.00 Uhr wagte ich mich herzklopfend zur Leitstelle und fragte, ob die Operation schon beendet sei. Man verneinte. Natürlich fürchtete ich, es könnte eine Komplikation eingetreten sein. Doch um 10.15 Uhr kam Prof. Jakesz und sagte: "Alles in Ordnung. Es ist sehr schön gegangen.Eine Metastase ließ sich ganz wunderschön herausschälen. Die anderen zwei waren auf einer Ebene und auch sehr schön zu entfernen. Es wurde kein Gewebe entnommen. Jetzt wird er schon zugenäht. Er muß als Wichtigstes versuchen, seine Abwehrkräfte aufzubauen." Prof. Jakesz war sehr positiv in seiner Haltung.

Ich bin gleich darauf in die Leitstelle gegangen. Da sagte man mir: "Es wird noch etwas dauern. Wir rufen Sie." Um 10.45 Uhr kam Prof. Eckersberger und verlautbarte: "Alles bestens gegangen! Die eine größere Metastase im oberen Bereich war ganz leicht herauszuschälen, sie war eingekapselt und bei den zwei unten im hinteren tiefen Lungenbereich mußte ich etwas Gewebe, 1cm herum, entfernen. Keine Blutkonserven. Alles ging sehr schön." Ich dankte ihm und auch er war strahlend. Bruno war aber auch um 11.15 Uhr noch immer im OP. Prof. Eckersberger war bei ihm. Dann kam dieser wieder und sagte mir: "Alles in Ordnung!" Er sprach dann mit der Schwester im Aufwacheraum, daß sie mich hineinlassen soll, wenn Bruno dorthinkommt. Um 11.30 Uhr kam Dr. Walter Klimscha, der Anästhesist, mit dem sich Bruno angefreundet hatte, er sagte mir, jetzt gerade käme Bruno in den Aufwacheraum. Auch er bestätigte: "Es ist alles bestens gegangen." Auf meine Frage, ob das Entnommene noch histologisch untersucht werde, antwortete er: "Das Gewebe wird noch zur histologischen Untersuchung eingeschickt." Gleich darauf rief man mich, daß ich in den Aufwacheraum kommen könne. Als ich zu Bruno eilen wollte, standen 4 Personen um ihn herum, er hatte eine Atemmaske und sie hatten damit zu tun und sagten mir, ich müsse noch draußen warten. So ging ich wieder , aber ich hatte ihn wenigstens gesehen. Um 11.45 Uhr durfte ich aber dann zu ihm. Er registrierte mich nicht wirklich, redete aber einige unverständliche Wortbrocken. Die Augen waren sehr herausgetreten. Ich blieb bei ihm bis ich wegen eines anderen Patienten für einige Minuten hinausgeschickt wurde. Als ich dann wieder hineindurfte sagte Bruno: "Nicht allein lassen." Walter hatte sich inzwischen rührend um Bruno gekümmert. Bruno schlief dann ein. Walter ging essen und sagte, ich solle ruhig im Aufwacheraum bei Bruno bleiben, damit er mich sehe, wenn er aufwacht und keine Angst hat, so konnte ich bei ihm bleiben. Als Walter wiederkam, gab er ihm eine Trittico- Ampulle. Und dann durfte Bruno schon ins Zimmer transferiert werden. Walter, der Pfleger und ich fuhren ihn ohne Atemmaske nach oben. Zuvor wurde noch ein Thoraxröntgen gemacht. Walter installierte oben in Brunos Zimmer einen Apparat, mit Hilfe dessen Bruno sich selbst bei zu großen Schmerzen Abhilfe schaffen konnte. Während der Installationszeit ging ich in das Besucherzimmer und trank eine Flasche Vöslauer.

Bruno ist jetzt mit einem Apparat verbunden, der bei Anwachsen der Schmerzen durch Druck die Gabe einer Dosis eines schmerzstillenden Mittels auslöst, so daß die schrecklichen Schmerzen, die eine Lungenoperation zur Folge hat, auf ein mögliches Minimum reduziert werden. Ich bin bei Bruno und betätige zwei Mal den Druckknopf, da ihm dieser entfallen ist, und er vor Schmerzen stöhnt. Walter ist für einige Zeit weggegangen, als er um 23.30 Uhr wiederkommt, verabschiede ich mich von Bruno, der aber schläft und ich fahre nach Hause.

Die zweite große Schlacht war geschlagen.

Am nächsten Morgen komme ich sehr früh zu Bruno. Er ist wach und wir können schon miteinander sprechen. Sein Blutdruck wird gemessen 123/68. Sein Puls ist 97. Und alles ist für den 1. Tag nach dieser schweren Operation normal und gut. Die ersten Anrufe kommen, doch Bruno kann noch nicht antworten, er will seine Ruhe haben.

Am 2. Tag nach der Operation ist sein Blutdruck schon auf 130/85 und er will schon zum Selbstwaschen aufstehen. Willi der treffliche Pfleger, über den Bruno später auch ein "Portrait" schreibt, bringt ihn zum Waschbecken, dort sitzt Bruno dann allein und versucht sich zu waschen, während Willi mit einem anderen Pfleger das Bett macht. Ich bleibe neben Bruno und sehe seine plötzliche Blässe, er kippt nach vorne, ich schreie und mit einem Satz ist Willi da, hat ihn im Arm und trägt ihn wie einen Säugling aufs Bett. Bruno wird ans Sauerstoffgerät angeschlossen, der Blutdruck ist normal.

Bruno schafft es, wie nach der Milzoperation, sehr schnell wieder hochzukommen. Sein Wille, gesund zu werden, ist enorm. Er steht immer wieder auf, geht auf den Gang mit allen Schläuchen und Säckchen und empfängt wieder viele, viele Leute. Prof. Eckersberger ist sehr zufrieden mit ihm und rät ihm, bald seine Atemkapazität zu steigern. So übt Bruno täglich mehrere Male mit einem kleinen Apparat: er muß 3 Kugeln ein- und ausatmend nach oben bringen. In der Einatmung schafft er es gleich am 2. Tag bestens, nur ausatmend schafft er die 3. Kugel nie so recht. So verliert er die Lust daran und wir machen zusammen dann andere Atemübungen, aber auch diese langweilen ihn bald. Erst als er von allen Schläuchen befreit, die Erlaubnis für Körperübungen erhält, macht Bruno täglich seine "Tibeter". Ich bringe ihm von zu Hause eine dicke Decke, die wir im Krankenzimmer auf den Boden breiten und so übt Bruno täglich mindestens 7x jeden "Tibeter", auch wenn er beim "Derwisch" leicht schwindelig wird und die "Brücke" ihm Schmerzen im Brustkorb verursacht, er gibt nicht nach. Als er an einem Tag einen Zimmernachbarn mit Bypassoperation bekommt, weichen wir zum Üben ins Badezimmer aus. Aber an keinem Tag vernachlässigt er seine Gymnastik. Bald kommen Prof. Pehamberger und Prof. Zielinsky und beglückwünschen Bruno zum Gelingen der zwei großen Operationen: "tumorfrei", so sagen sie, ist er jetzt. Bruno immer im Wettkampf mit seinen Zeitgenossen fragt Prof. Zielinsky, ob er so gut dran sei wie Heinzl, und Zielinsky antwortet darauf mit gerunzelter Stirn, er würde sich wünschen, daß Heinzl so gut beisammen wäre wie Bruno. Ein ungeheurer Auftrieb für Bruno.

An einem Tag spricht ihn eine Frau auf dem Gang an, die gerade eine Herztransplantation hinter sich hat, sie stellte sich ihm vor als Monika und sagte ihm, daß er ihre erste große Liebe war, daß sie damals zusammen bei "Semperit" beschäftigt waren und sie brachte am nächsten Tag Fotos mit, die sie beide auf der Hochzeit von Monikas Schwester zeigten, Bruno noch ganz jung mit vollem Haar. Er konnte sich daran nicht mehr erinnern. Eine Reise in eine Vergangenheit, die ihm abhanden gekommen war. Auch von "Adam" wurde er am Gang angesprochen, dieser hatte gerade eine Lebertransplantation überstanden. Er sagte, daß er mit Brunos Cousine verheiratet sei. Bruno kannte diese nicht einmal. Eines Tages kam sie in sein Zimmer, für Bruno eine Fremde. Sie erzählte, daß sie sich als Kinder immer gefreut hätten, wenn Bruno zu Besuch kam, weil sie ihn sekkieren konnten ( dabei wurde sie ganz rot im Gesicht ), er sei immer so schön angezogen und brav gewesen. Bruno konnte sich an nichts davon erinnern, aber er wollte mehr erfahren und fragte die Cousine über seine Mutter aus. Er hörte ganz hingebungsvoll ihren Erzählungen zu. Eine neue Dimension in seinem Leben.

Zwei Wochen nach der Lungenoperation erscheint Prof. Pehamberger, um mit Bruno das weitere Vorgehen zu besprechen. Als er vorschlägt, in einigen Tagen mit der 1. Chemo zu beginnen, begehre ich auf, denn ich erinnere mich daran, daß man ursprünglich davon gesprochen hatte, zuerst die Immunkraftsteigerung mittels "Interferon" zu aktivieren und erst dann mit der Chemo zu beginnen. Doch Bruno ließ sich von Prof. Pehamberger überzeugen, daß die Chemo als erstes notwendig ist und  Pehamberger verbittet sich meine Stellungnahme. So wird für den 20. April der Beginn des Chemozyklus anberaumt. Am Mittwoch, den 19. April bei der Blutdruckmessung hat Bruno die Werte 135/80.

Am Donnerstag, den 20. 4. 1995 bekommt Patient 95 - 1146 Bruno Seiser geb. 24. 6. 38           auf Station DE 17 H  DACARBAZIN  1490,0 mg 149,00 ml Lösung, Kurzinfusion in NaCl 0,9 über 1,0 Std.

Für 16.30 Uhr hat Bruno einen Interviewpartner geladen und um  20.00 Uhr sind wir mit Else zusammen bei der Präsentation von "Publicis" im Metro Kino auf Einladung von Dr. Lebiszczak. Wir versuchten alle drei guter Dinge zu sein. Jedem von uns fiel es nicht leicht am schwersten sicherlich Bruno, aber er zeigte nichts davon und lachte mit so gut er konnte.

Am Freitag, den 21. April wird Bruno zum ersten Mal Interferon gespritzt, sein Befinden nach der Chemo ist schlechter. Er kann nicht essen, hat starken Brechreiz, an die "Tibeter", die er in letzter Zeit an keinem Tag versäumte, ist nicht zu denken. Er empfängt seine Interviewpartner im Liegen und das für Sonntag, den 23. April vereinbarte Essen bei Else kann er nicht einhalten, er sagt es ab und bleibt im Krankenhaus. Um 13.30 Uhr kommt Dr. Becker zur Therapiestunde.

Ich hatte schon im Februar während Brunos Untersuchungszeit uns zu einem Qui Gong Kurs am Gießhübl für den 21. April angemeldet. Nun fahre ich alleine dorthin, denn Bruno ist nicht in der Lage, daran teilzunehmen. In der Mittagspause am 23. April mache ich einen Rundgang und suche das Häuschen in der Nähe des Friedhofs, in dem Brunos Großvater als Schuhmacher mit seiner Frau und den Kindern einst lebte und den Bruno als Kind oft mit seiner Mutter besucht hatte, den sie eines Tages tot - auf seinem Schusterschemel wie eingeschlafen - vorfanden. Leider konnte mir niemand sagen, welches von den Häusern das  "Schenk'sche Schuhmacherhaus" war. Alle Häuser waren renoviert und verriegelt. Ich pflücke einige Blumen, die ich zur Erinnerung Bruno ins Krankenhaus brachte, und heute noch bei mir aufbewahre.

Ab 24. April spritzt sich Bruno selbst 3 x die Woche "Roferon". Die Reaktion darauf sind Gliederschmerzen, besonders in den Oberschenkeln und leicht erhöhte Temperatur, Zerschlagenheit und der Appetit läßt sehr zu wünschen übrig. Trotz dieses Zustandes absolviert Bruno seine Interviews. Auch über ihn soll ein Artikel im "City-Tele" erscheinen. Er wartet darauf aber leider vergeblich, obwohl Gerti Senger seine Hoffnung diesbezüglich bei jedem ihrer Besuche bestärkt, denn das Interview wurde vom Mann ihrer Stieftochter gemacht.

Am 27. April um 14.00 Uhr erscheint Doz. Dr. Redtenbacher, von dem Bruno seit unserer Flucht aus der Döblinger Klinik nichts mehr gehört hatte. Er beglückwünschte Bruno zum Gelingen seiner Operationen und verabredete mit ihm für den Abend einen Treff im "Hilton" zum Abendessen. Den ersten Ausgang unter Männern nach der Lungenoperation machte Bruno mit Walter, seinem geliebten Anästhesisten. Dieser entführte den damals noch etwas wackeligen Bruno zum "Wirten" auf dem Gürtel auf ein Bier. Das war am 22. April. Das Essen mit Michael im "Hilton" überstand Bruno gut, wenn es ihm, wie er mir am nächsten Tag erzählte, zwar nicht besonders schmeckte. Aber dieses Problem gab es für Bruno schon seit gut einem Jahr: Das Essen und Trinken war für ihn nicht mehr, was es einmal war. Am liebsten aß er Apfelkompott und Früchte.

Bei ihrem Essen im "Hilton" haben Michael und Bruno ein Essen für den 1. Mai in Grinzing verabredet. Dieses fand dann gemeinsam mit Marieli, Gerharde, sowie Renate und Peter Heinzl statt. Von diesem Zusammensein kam Bruno sehr angeregt ins AKH zurück. Er erzählte mir von Heinzls Zustand und Renate Heinzls Aktivität, ihrem Mann immer wieder volle Häuser zu bereiten. Bruno interessierte sich auch in den folgenden Monaten immer dafür, wie es Heinzl gerade ginge.

Am 8. Mai um 14.30 Uhr referiert Bruno auf Empfehlung von Doz. Dr. Siemhandl im "Ana - Hotel" über "Depression" bei der Präsentation von "Seroxat", einem Antidepressivum, das er nun auch selbst verschrieben bekommt. Von der Präsentation ins AKH zurückgekehrt, interviewt er die neue Kulturchefin des ORF Dr. Brigitte Hofer. Else und ich packen inzwischen Brunos Sachen, die sich seit 16. Februar in seinem Krankenzimmer angesammelt hatten, um sie in die Lerchengasse zu bringen, denn am Dienstag, den 9. Mai darf Bruno nach so langer Zeit das Krankenhaus für zwei Wochen verlassen.

Wir haben beschlossen, daß Bruno in die Krebsklinik nach Bad Aibling geht. Ich habe die Adresse und Empfehlung von Dr. Zur Linden bekommen. Bruno will , daß nach seiner Entlassung aus dem AKH und dem nächsten Chemozyklus das Maximum an Aufbau geschieht und er nicht untätig hinwarten muß. Ich komme am Dienstag, den 9. Mai um 8.00 Uhr ins AKH, um ihn abzuholen. Der Zug geht um 9.40 Uhr. Doch die Visite ist noch in Gang und die schon vor Tagen angeforderten Unterlagen für die "Klinik St. Georg" sind noch immer nicht fertig. Wir müssen so lange darauf warten, daß wir nur mit Mühe den Zug um 12.40 Uhr erreichen. Dieses hat zur Folge, daß wir so spät in Bad Aibling ankommen, daß die Aufnahme durch einen Arzt an dem selbigen Tag nicht mehr möglich ist.

Bruno bekommt ein Zimmer zugewiesen. Beim Empfang stürzt man sich auf uns, um ja sofort alle Formulare auszufüllen und die pro Woche notwendige Anzahlung von 5000.- DM zu leisten. Sonst geschieht an diesem Tag nichts. Die Atmosphäre ist wie im Hotel und nach der medizinischen Versorgung im AKH rund um die Uhr fühlt sich Bruno im Stich gelassen. Das Essen wird in einem Gewölbe ( ehemals Brauhaus ) eingenommen und die dort speisenden Krebspatienten sind ausschließlich mit dem Thema "Krebs" im Gespräch. Wir lernen an diesem Abend Gerti aus München kennen. Die 54-Jährige leidet an einem kleinzelligen Lungenkrebs und die Schulmedizin gibt sie als verloren. Unvorstellbar, sie sieht so frisch aus, sehr klare Augen, wenn auch etwas hart und metallhaft, sie ist drahtig in den Bewegungen, man kann es nicht glauben, sie soll todkrank sein.

Vor dem Abendessen ging Bruno zum ersten Mal seit Februar 95 in die Sauna und schwimmen. Er ist so zart geworden. Wenn ich ihm früher auf der Turrach bei seinem Morgenschwimmen zusah, war das ein muskulöser, starker Körper, der das Wasser schnitt und viele Male die Längen schwamm, jetzt friert er im Wasser, hat nach 2 Längen Atemnot und es bereitet mir großen Schmerz, ihn so verändert zu sehen. Trotzdem bin ich voll Hoffnung und sage ihm, wie schön er schwimmt und daß es großartig ist, nach so langem Spitalaufenthalt und zwei so großen Operationen so viel Kraft aufzubringen.

Nachdem Bruno in seiner neuen Bleibe schlafen gegangen ist, mache ich mich auf Hotelsuche und entscheide mich für das nächstgelegene Hotel, obzwar es sicher billigere im Ort gibt. Aber ich möchte in der Nähe von Bruno sein, falls er meine Hilfe braucht. Ich nehme das billigste Zimmer, es hat nur fließendes Wasser und leider kein Telefon. Aber ich gebe in der Klinik die Telefonnummer der Hotelrezeption  bekannt und bitte die Schwester, mich zu verständigen, falls Bruno nach mir verlangt. Dann gehe ich zu Bett in dem Kämmerchen unter dem Dach, das ich in den nächsten Monaten immer wieder bewohne.

Am Morgen gehe ich zu Bruno. Der Stationsarzt, er ist Anästhesist, kommt zur Visite. Wir haben kein gutes Gefühl. Er stellt die simpelsten Fragen und hat kein Gespür. Wir fragen nach Prof. Douwes, wir sind seinetwegen nach Bad Aibling gefahren auf Empfehlung Dr. Zur Lindens. Wir wollten als erstes mit ihm sprechen. Es war alles sehr undurchsichtig, zumindest für uns und am ersten Tag. Mit vielen Kämpfen setzten wir schließlich durch, daß wir nach schrecklich langem Warten vor der Tür des Professors unseren Sprechtermin erharren durften. Im Nachhinein versuche ich, mir den ersten Eindruck von Prof. Friedrich Douwes ins Bewußtsein zu rufen: eine Erscheinung vollblütig, leutselig, strahlend, naiv wirkend, mit einer Portion Selbstgefälligkeit - unwillkürlich muß man an einen Operettenbuffo denken, wenn man ihn sieht - applausheischend aber auch sehr konzentriert. Ein eigenes Gefühl, daß Brunos Geschick in seinen Händen liegen soll. Aber wo ist eine bessere Alternative? Das Gespräch verlief sehr gut, er zeigte eine große Erfahrung, er ließ sich die Unterlagen bringen und meinte im Hinblick auf die Operationen, daß sie ziemlich unumgänglich waren. Er sagte jedoch auch, daß es gar nicht so weit hätte kommen müssen, wenn man in diesen 15 letzten Jahren die BCG - Impfung wiederholt hätte. Es war falsch, nach 10 Jahren Kontrolle das Melanom als erledigt anzusehen.

Das war, so erscheint es auch mir, wenn ich alles Revue passieren lasse, der größte Fehler. Wäre Bruno nicht mit "Das Melanom können Sie vergessen" entlassen worden, wäre er in den letzten Jahren viel vorsichtiger bezüglich "Sonne" geblieben. Das volle Entsetzen befiel mich, als er im Sommer 94 krebsrot von Taille bis Kniekehlen von seinem Badewochenende am Traunsee zurückkam. Die 10 Jahre nach seiner Krebserkrankung während der Kontrollzeit hatte er Schwimmen im Freien und Sonnenbaden immer gemieden.

Prof. Douwes stellte die "Chemie" in Bezug auf Melanom in Frage. Doch leider wurde im AKH das BCG nicht mehr verwendet, obschon ich im Internet von einem an Melanom Genesenen, die BCG- Impfung als größte Chance empfohlen vorfand. Prof. Douwes verordnete in den nächsten 10 Tagen Hyperthermie und Fieberbett. Das Verstehen und der Kontakt zwischen Bruno und Douwes war gut. Sie schienen einander zu mögen.

Am Sonntag, den 14. Mai verließ ich Bad Aibling, es war am späten Nachmittag, ich wollte nach Rosenheim, fuhr aber irrtümlich in die Gegenrichtung, so stand ich volle zwei Stunden auf offenem Feld, bevor ich den nächsten Zug nach Rosenheim hatte, um von dort Richtung Wien zu fahren. Und Bruno war nun allein in der Klinik St. Georg.

Ich rief ihn täglich morgens und abends an. Er hatte Kontakt zu Gerda gefunden, einer Patientin aus Frankfurt, die an Brustkrebsrezidiven erkrankt war und sich voll Hoffnung der Therapie von Prof. Douwes unterzogen hatte. Mit ihr ging er morgens in der Klinik schwimmen, er veranlaßte sie und Gerti mit ihm täglich die "Tibeter" zu machen, und tagsüber unternahmen sie miteinander Spaziergänge im Kurpark mit Fischfütterung. Manchmal gabs Kuchen oder Eis im Café Biehler. Desöfteren traf er sich im Park mit Schorsch, einem Aiblinger Original, den er mochte und täglich ging er zu Herrn Cremer, um sich im Orgonakkumulator aufzuladen. Am 17. Mai gab er dann eine Lesung. "Mit einem blauen Auge davongekommen" schrieb er dafür und die Patienten waren dankbar und kopierten sich das Gedicht voll Hoffnung - wie Bruno. Sie liebten ihn. Er war wie ein Irrlicht auf den Gängen im St. Georg: immer unterwegs, immer voller Ideen, beweglich und nie larmoyant, er brachte Hoffnung.

Am Feitag, den 19. Mai verließ er die Klinik in Richtung Wien.

Bruno kommt um 14.25 Uhr am Westbahnhof an. Else ist am Bahnhof und bringt ihn zum Anschlußzug nach Bernhardsthal, denn ich bin schon in Katzelsdorf. Hajo und ich holen Bruno in Bernhardsthal ab. Er ist sehr animiert, sogar heiter, erzählt über seine Reiseerlebnisse, über die Freundlichkeit des Speisewagenkellners, die Unfreundlichkeit eines österreichischen Fahrgastes, den er um die Zeitung gebeten hatte: "jetzt wußte ich, daß ich wieder in Österreich bin." Er freut sich dann über alles, was er in Katzelsdorf vorfindet. Er deckt den Tisch mit seinem Zinnbesteck und sagt dabei "ich weiß gar nicht, ob die L. ein so schönes Besteck haben". Er freut sich über Dinge, die er früher nicht einmal wahrgenommen hatte. Sonntag früh kommt Else mit einer Riesentorte. Wir feiern Hajos 62. Geburtstag. Es ist ein glückliches Zusammensein. Aber schon um 18.00 Uhr kehrt Bruno nach Wien ins AKH zurück.

Er bezieht das Zimmer 601 auf 17 H. Am Montag wird ihm eine Computertomografie gemacht und anschließend erhält er die 2. Chemotherapie.

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Am Abend desselben Tages besucht er mit den Redtenbachers und Gerharde die Aufführung von Heinzl im Raimundtheater. Die nächsten Tage bleibt er im AKH, um die Auswirkungen der Chemo zu überdauern. Er läßt sich zwar wieder die Interviewpartner kommen, aber es ist für ihn sehr anstrengend - die Chemie setzt ihm schwer zu. Als das neue "City-Tele" erscheint, ist er wieder enttäuscht, daß auch diesmal kein Interview über ihn drinnen ist. Am 26. Mai sehen wir uns zusammen um 14.30 Uhr im ARD Fernsehen "Löwitsch persönlich" an. Es war sicher schwer für Bruno den "Superman" Klausi-Mausi zu verkraften, wo er selbst so schwach und durchsichtig war. Aber kein Wort eines Ressentiments seitens Bruno. So wie ich ihn die ganze Leidenszeit lang nie über andere Böses sagen hörte, auch seine Krankheit betreffend machte er niemals irgendwelche Vorwürfe. Er war von einer bewundernswerten Besonnenheit und Geduld.

Am Sonntag, den 28. Mai abends gingen Bruno und ich in eine Premier der Wiener Festwochen "Die Zofen". Als wir zu unseren Plätzen gingen kamen wir an U. Pasterk vorbei, die von Brunos Veränderung sichtlich erschrocken uns grüßte. Vor uns saß Georg Novotny, der Bruno nach der Lungenoperation im AKH besucht hatte, neben uns ein Kollege von mir und ein ehemaliger Interviewpartner von Bruno Christian Futterknecht, der Bruno keines Blickes, geschweige denn Grußes würdigte. In der Pause trafen wir Georg Schuchter, dessen Schwester Gaby seinerzeit Brunos Verse mit Sepp Dreißingers Musik in den "Salzachgeschichten" aus der Taufe hob. Alles ferne Vergangenheit. Diese Gesellschaftswelt - so fern von uns - wir nur auf das nackte Überleben reduziert kehrten nach diesem Regie-Klamauk in das Zimmer 601 auf H 17 ins AKH zurück. Ich wünschte Bruno eine "gute Nacht" und fuhr in die Lerchengasse. 

Am Dienstag, den 30. Mai kam Prof. Pehamberger zu einer Vsite, denn Bruno durfte an diesem Tag um 11.00 Uhr das AKH für fast einen Monat wieder verlassen bis zum 3. Chemozyklus. Ich packte seine Sachen. Wir fuhren in die Lerchengasse. Am Mittwoch, den 31. Mai feierten wir, Bruno, Hajo und ich meinen Geburtstag. Es gab ein großes Frühstück und Bruno schrieb mir auf eine Visitenkarte: "Kauf Dir was Schönes!" und legte dazu Geld. Ich erstand dafür eine herrliche Aufnahme von Händels "Salomon". Um 16.30 ging dann Bruno zum ersten Mal seit der verhängnisvollen Diagnose im Februar in die ED - Konferenz. Am Abend um 20.00 Uhr gab es im "Club Lerchengasse" eine Lesung von Genets "Das Kriminelle Kind". Es war die letzte Lesung, die Bruno im Club erlebte. An die Lesung schloß sich noch eine Geburtstagsfeier und Bruno blieb bis zum Ende tapfer dabei, obwohl er sichtlich überstrapaziert war.

Die Pfingsttage verbringen wir in Katzelsdorf. Am Dienstag nach Pfingsten hat Bruno um 8.30 Uhr einen Termin bei Prof. Pehamberger. Am Donnerstag, den 8. Juni fahren wir wieder nach Bad Aibling. Ich bleibe bis Sonntag dort. Bruno bekommt am Montag das "Fieberbett". Es ist dies eine Gesamtkörperhyperthermie, bei der 42 Grad Fieber erzeugt werden und die Erhitzung viele Stunden aufrechterhalten wird. Sie kostet, wie alles in der Klinik "St. Georg" einen stattlichen Preis, doch im Hinblick auf Brunos Genesung darf nichts zu teuer sein. Deshalb wird das "Fieberbett" am 20. Juni wiederholt. Den Abend zuvor verbringt er mit den Douwes im "Bayerischen Hof" München, wo sie sich das "Curie - Stück" mit Barbara Wussow ansehen und anschließend mit dieser und Albert Fortell noch lange zusammensitzen. Und Bruno mit seinem eisernen Willen gibt gleich am Tag nach den Strapazen des "Fieberbetts" eine Lesung. Am 22. Juni verläßt er dann Bad Aibling, um sich im AKH zum 3. Chemozyklus einzufinden. Am Freitag, den 23. Juni, einen Tag vor seinem 57. Geburtstag, bekommt er die Infusion, die verabredet letzte:

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Am Samstag, seinem 57. Geburtstag hat er keinen Appetit auf die Demel-Geburtstagstorte, den Sekt und auch die vielen kleinen Geschenke, die ihm gebracht werden, können seine Stimmung und vorallem Körperverfassung nicht verbessern. Nicht einmal Fred Aram, der mit einigen columbianischen Tänzerinnen Bruno ein Geburtstagsständchen bringt, kann echte Freude entfachen. Bruno macht gute Miene, aber er ist von diesem Tag sehr überanstrengt. Die nächsten Tage verbringt er im AKH, macht trotz Schwäche seine "Tibeter", läßt die Interview - Partner kommen, sitzt, wie immer an der Schreibmaschine. Für 29. Juni wird er von Schiejok zu einer Sendung eingeladen: "Schiejok-Täglich". Es geht um Krebs, ein Buch von Lebenshelfer Dahlken wird vorgestellt. Bruno tritt in Konfrontation zu Dahlken, er weiß wovon er spricht, jener hat weise Ratschläge, von denen er gut lebt. Bruno hat eine große Resonanz, er bekommt eine Menge Post.

Am Abend des 2. Juli bevor ich Bruno verlasse, sagt er mir: "Morgen brauchst Du nicht so früh zu kommen. Da ich ja entlassen werde, brauchst Du bei der Visite nicht da zu sein." Aber bevor ich mich am Morgen des 3. Juli auf den Weg mache, erreicht mich Brunos Anruf: "Bitte komme sofort ind sprich mit Prof. Wolff, er war gerade bei mir, sie haben erneut Schatten auf der Lunge gefunden." Ich eile ins AKH - aufgeregt zu Bruno - zu Prof. Wolff, der ist ziemlich desperat: "Wenn sich der Befund bestätigt - wir wollen ihn in drei Wochen wiederholen - dann hat die Chemie nicht angeschlagen, und wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen." Ich versuche Bruno zu beruhigen: "Es sind keine Klarheiten, die Untersuchungen sollen in drei Wochen wiederholt werden." Wir entschließen uns, direkt nach Bad Aibling zu fahren, früher als wir es vorhatten.

Am Dienstag den 4. Juli sind wir dort. Prof. Douwes läßt sich die Befunde aus Wien kommen. Bruno und ich gehen täglich in den Park: herrliche Vegetation: Dotterblumen, Iris - und im Teich viele Karpfen und Goldfische. Bruno nimmt immer Brot zum Füttern mit. Er ist so sanft und lieb. Alle in der Klinik lieben ihn. Am Montag, den 10. Juli fahre ich zurück nach Wien. Gleich am Dienstag besuche ich Brunos Vater, der wieder im Spital ist. Schon von Januar 1995 an war er mehr im Krankenhaus als zu Hause. Als ich ihn zum letzten Mal daheim besuchte, ist er gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden, er konnte nur liegen, war sehr mager und schwach. Auch sehr ungeduldig mit Alice, die ebenso in schlechter Verfassung war. Sie zeigte mir von der Küche aus Gäste im Wohnzimmer, die gar nicht zugegen waren mit den Worten: "Wir müssen jetzt hineingehen, die warten schon." Es war gespenstisch. Dazu lag Vater Seiser im Bett und verlangte nach einem weichgekochten Ei. Ich sagte ihm, ich würde ihm eines kochen, er nickte dankbar und sagte: "Aber ein weiches!" Als ich es kochen wollte, sagte mir Alice: "Ich habe ihm doch gerade eines gekocht." Er behauptete, es sei hart, also kochte ich noch eins, dieses war weich und wieder schmeckte es ihm nicht. Er war eben sehr krank. Doch er sagte mir: "Ich weiß gar nicht, warum ich im Krankenhaus war, es fehlt mir doch gar nichts." Als er nach Bruno fragte, sagte ich ihm, es ginge ihm schon besser. Darauf meinte er: "Wir sind zur Zeit in der rue du Gac." Dann wiederholte er immer wieder, wie er sich freue, daß ich ihn besuchen gekommen bin.

Mein nächster Besuch war in der Hera. Da erzählte er mir, er habe heute mit Bruno telefoniert, was nicht der Fall war. Ebenso sagte er, er habe ihm 50.000.- S überwiesen, ebenso Hajo und mir je 25.000.- und fragte mich, ob wir das Geld schon bekommen hätten. Ich verneinte dies, da schüttelte er den Kopf und konnte dies nicht verstehen. Ich sprach dann mit der Schwester darüber und sie sagte mir, wie ich es auch angenommen hatte, sowohl das Telefonat als auch die Geldüberweisungen waren reine Phantasien. Bei diesem Besuch kam dann ein Neffe von Herrn Seiser, dessen Taufpate er war. So verabschiedete ich mich und ließ die Beiden allein. Nun nach meiner Rückkehr aus Bad Aibling lag er im Wilhelminenspital. Er war nicht mehr bei Bewußtsein, sehr abgemagert, aber sehr fein, die Haut sehr glatt und er war schön. Er atmete schwer. Der Mund war geöffnet. Als ich ihn so sah, empfand ich, daß sein Leben in zwei Tagen ausgehaucht sein wird. Als ich am Abend mit Bruno telefonierte, sprach ich diese Vermutung aus. Wie ich Bruno am nächsten Morgen anrufe, macht er mir Vorwürfe, daß ich ihm noch am Abend vom Zustand seines Vaters erzählt habe, und er dadurch nicht schlafen konnte. Ich ärgerte mich über meine Rücksichtslosigkeit.

Am selbigen Tag, es ist der 12. Juli ruft mich um 19.00 Uhr Alice an und sagt mir, daß Vater Seiser um 18.00 Uhr entschlafen ist, sie sei am Vormittag noch bei ihm gewesen. Es ist wieder Abend und ich will Bruno nicht verständigen, zumal ich weiß, daß er in den nächsten Tagen das Fieberbett bekommt. Ich telefoniere mit ihm, als wenn nichts wäre und er fragt mich nicht nach dem Vater. Am Morgen  vor dem Fieberbett wünsche ich ihm viel Glück und Erfolg. Auch da erwähne ich kein Wort von Vater und auch er fragt mich nicht nach ihm. Um 18.30 Uhr vor meiner Abfahrt nach Katzelsdorf rufe ich Bruno an in der Hoffnung, daß er das Fieberbett schon hinter sich hat. Man verbindet mich mit Frau Dr. Douwes, sie betreut die Patienten während des Fieberbetts und ich frage sie, wie es Bruno geht, worauf sie ihm den Hörer gibt: "Ja, ich bin noch im Fieberbett. Friedrich hat mir im Fieber von 41,5 Grad Platin geschossen und damit alle Rezidive in der Lunge entfernt!" Bruno macht einen freudigen,erlösten Eindruck. Als mich Hajo in Bernhardsthal abholt, erzähle ich im Auto dies und bemerke, wie sich sein Gesicht verhärtet: " Also Strahlentherapie" sagte er. Ich bin betroffen.

Es ist Samstag Morgen. Ich telefoniere mit Bruno und er spricht von großer Übelkeit. Wieder kann ich ihm nicht sagen, daß sein Vater gestorben ist. Auch am Abend geht es ihm nicht besser. Am Sonntag rufe ich früh an in Sorge um ihn, er sagt mir: "Bitte, komme gleich, es kann sein, daß Du mich nicht mehr lebendig antriffst." Ich bin total fertig. Ich weiß nicht, was tun. Am Sonntag geht erst wieder um 11.00 Uhr ein Bus nach Wien und für 13.00 Uhr habe ich Alice und ihren Sohn zum Mittagessen eingeladen. Wenn mich dann Otto nach Wien mitnimmt, bin ich nicht viel später dran als mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich sage Bruno: "Ich komme so schnell, wie möglich." Nach dem Essen legen sich Alice und Otto ein wenig hin und dann fahren wir nach Wien. Ich nehme den Zug nach Rosenheim und von dort ein Taxi nach Bad Aibling, wo ich um Mitternacht ankomme. Vom Zug aus habe ich mein Hotelzimmer reserviert. Die Klinik hatte um diese Zeit schon geschlossen aber ich entdecke ein ebenerdiges offenes Gangfenster und steige durch dieses ein und ich eile in Brunos Zimmer. Er schläft und ist im Aussehen so rosig und entspannt, daß ich ganz beruhigt bin. Ich schreibe ein Zettelchen, daß ich da bin, drüben im Hotel und daß er mich anrufen soll, wenn er m ich braucht und lege dieses in seine Hand. Dann gehe ich ins Hotel.

Am Morgen eile ich zu ihm, er hat meinen Zettel noch nachts gelesen. Er ist beruhigt, daß ich da bin. Immer wieder sagt er mir: "Gott sei Dank, daß Du da bist!" Er hat zwar noch mit Übelkeit und Appetitlosigkeit zu kämpfen, aber das Schlimmste ist überwunden. Ich bleibe bei ihm. Inzwischen ist es Mittwoch. Am Freitag wird Vater Seiser beerdigt und ich habe Bruno noch nicht gesagt, daß sein Vater gestorben ist. Selbst Frau Dr. Douwes, die mir vor Tagen noch sagte, man könne Bruno in seinem Zustand nicht sagen, daß sein Vater gestorben ist, drängte: " Sie müssen es ihm jetzt sagen!" Ich nehme mir ein Herz: "Bruno, ich muß morgen nach Wien fahren. Vater ist gestorben. Am Freitag ist das Begräbnis." Langes Schweigen. Dann sagt er: "Ich habe es mir schon gedacht." Weiters wurde darüber nicht gesprochen. In seinem Kalender, wo alles an Terminen eingetragen ist, gibt es von 4. Juli bis 3. August keine Eintragung.

Am Donnerstag war ich dann in Wien. Bruno faxte für das Begräbnis seine Ansprache, die ich verlesen sollte, ebenso bat er Hajo, daß er am Grab eine Rede halten möge.

Am Freitag, den 21. Juli haben wir Vater Seiser zu Grabe geleitet. Um 8.40 fand die Beerdigung statt. Am Zentralfriedhof. Eine lange Kolonne folgte seinem Sarg. Ich sah mir Vater zum Abschied noch an. Es war kein trauriger Anblick, wie er im Sarg lag im Anzug seiner Studentenverbindung mit rotem Band. Ein zarter Körper. Er ist im 95. Lebensjahr gestorben. Hinter seinem Sarg schritten Alice mit ihrem Sohn Otto, dann folgten Alices Tochter Ilse mit Brunos Tochter Sonja und Ottos Frau, dann Hajo und ich mit Dr. Norbert Leser. Am Grab verlas ich Brunos Trauerrede und beendigte diese mit Brunos Gedicht "Rudolfino" ( auch Bruno wünschte, daß dieses gelesen wird, es war ja für Vater geschrieben ), dann hielt Hajo seine Ansprache, nach der wir Vater zum letzten Mal in dieser Welt unsere Reverenz erwiesen mit einem Schäufelchen Erde. Anschließend gab es das Trauermahl beim Wirten in Schwechat, an dem viele der Trauergäste teilnahmen. Es wurden Erinnerungen ausgetauscht und jeder wollte wissen, wie es Bruno gehe. Einige baten mich, die Ansprache zu kopieren und ihnen zu schicken, was ich dann auch tat. Sonja gab mir ihre Visitenkarte mit dem Versprechen, sie würde sich nach ihrer Rückkehr aus Italien bei Bruno melden.

Am Samstag fuhren Hajo und ich zu den Salzburger Festspielen, wie in den vergangenen Jahren hatten wir in Salzburg unsere Zimmer reserviert, Brunos Zimmer mußten wir nun abbestellen, er wollte sich zwar mit uns in Salzburg treffen, am Abend aber wieder in die Klinik zurückfahren. Den neuen Jedermann hatte er schon mit den Douwes gesehen, also trafen wir uns zum Essen im Sternbräu. Eswar ein trauriges Wiedersehen in einer Stadt, wo wir viele Jahre heitere Sommertage in Übermut verbrachten. Dieses Mal blieb uns das Essen im Halse stecken, und Bruno ließ die ganze Forelle unberührt abservieren. Wie jedes Jahr setzten wir uns auch diesmal auf die Bazar-Terrasse, Bruno, wie immer alle Zeitungen durchstöbernd, diesmal ohne Zigarre. Als er auf der Suche nach einer Zeitung mit Jesserer zusammentrifft, nimmt diese ihn nicht einmal wahr. Ohne jegliche Animation kehrt dann Bruno um 16.00 Uhr in seine Klinik-Welt zurück. Ich bringe ihn zum Zug. Damit waren unsere Salzburg - Zeiten besiegelt. Sie hatten für Bruno mit "Über den Dörfern" begonnen und anhänglich, wie er war, hat er dann jedes Jahr das Schauspielrepertoire absolviert mit allem Drumherum, aber sicher ist ihm auch das schon totlangweilig gewesen.

Hajo und ich fuhren am Montag nach München, wo wir von Hajos Tochter Verena schon seit langer Zeit eingeladen waren. Das Herz tat mir weh, als wir an Rosenheim vorbeifuhren, umso wohler taten Verenas Kinder, die in ihrer unbeschwerten Art einem für einige Stunden vergessen ließen, wie bitter das Leben ist. Bei dem Gedanken an Bruno wünschte ich, er hätte als Kind auch so heitere Tage erlebt. Bald wurde ich zu unruhig; ich fuhr früher als Hajo von München weg in Richtung Bad Aibling. Hajo kam einen Tag später da an und wie so oft, konnte Bruno seine Freude nicht zeigen. Es kam zu einer Konfrontation, indem Bruno Hajo einfach ignorierte und sich mit Frau Dr. Douwes unterhielt, als sei Hajo nicht anwesend. Hajo zeigte seinen Ärger und ich beschwerte mich bei Bruno über sein Verhalten. Später sagte mir Bruno, daß er sich bei Hajo entschuldigt hatte, was für Bruno kein Leichtes war. Den nächsten Tag verbrachten wir gemeinsam. Er begann mit einem großen Sektfrühstück im Hotel. Bruno ließ sein gesundes Klinikfrühstück einmal links liegen, dann machten wir einen Spaziergang im Kurpark und lästerten über das Kurorchester, so konnten wir wenigstens ein bißchen lachen, doch der Versuch eine Nachmittagsvorstellung des Zirkus zu frequentieren wurde mangels Publikum vereitelt. Also wurde nochmals der Kurpark durchquert, bevor Hajo und ich zum Bahnhof gingen und Bruno in die Klinik zurückkehrte. Hajo und ich fuhren nach Wien.

Am Mittwoch, den 2. August fuhr ich wieder nach Bad Aibling, um Bruno endlich aus der Klinik abzuholen. Bei der Enduntersuchung ist sein Creatinwert sehr hoch als Folge der Platinbehandlung und man empfiehlt ihm, viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Aber Bruno hat eine Aversion, zu trinken und zu essen. Die abschließenden Lungenröntgen sind angeblich ohne Befund. So verließen wir voll Hoffnung am Donnerstag, den 3. August die Klinik. Mit Sack und Pack, der sich in St.Georg angesammelt hatte, geschmückt mit einem Windrad, das mir Bruno anläßlich eines Kirtags in Bad Aibling geschenkt hatte zogen wir davon. Das Unangenehme war, daß es keinen Direktzug ohne Umsteigen in Rosenheim und Salzburg gab, so schleppte ich jeweils in Rationen die Sachen von Zug zu Zug, Träger gab es keinen und die Wägelchen waren sinnlos, da man treppauf treppab mußte. Bruno saß inzwischen auf einer Bank und sah mir traurig zu. Er mit seinem ehemals so trainierten Körper wollte aber konnte nicht helfen, er war so schwach. Nach all dem Umsteigen saßen wir endlich in einem Zug nach Wien. Dort angekommen nahmen wir ein Taxi in die Lerchengasse und eine neue Etappe konnte beginnen.

Freitag ging Bruno in die Burggasse in sein Redaktionsbüro. Am Abend fuhren wir nach Katzelsdorf. Auch da freute sich wieder sehr über seine Heimkehr. Doch schon am nächsten Morgen wurde er unruhig. Ein Telefonat mit Fred Aram, und Bruno fuhr zu ihm in die Sulz zu einem Fest. Am Sonntag gegen Mittag kehrte er nach Katzelsdorf zurück, da gab es ein Essen mit Else, die mit einer Riesentorte aus Wien angefahren kam. Es war ein schönes Zusammensein.

Am Montag, den 7. August suche ich nach einem Arzt, der Bruno die von Prof. Douwes verordneten Eigenblutinjektionen mit Utilin spritzt. Da keiner, der von mir kontaktierten Ärzte das macht ( und es ist Ferienzeit ), wende ich mich an Dr.Köstler, der seine Patienten fallweise zu Prof. Douwes schickt. Wir bekommen am 10. April bei ihm einen Termin. Bis dahin bleiben wir in Katzelsdorf.

Schon in Bad Aibling gab mir Bruno Post zu lesen, die er vom ORF anläßlich der "Schiejok - Sendung" nachgesandt bekam. In einem Brief schreibt eine Frau, die sich als Medium ausgibt "Daumenhalten hilft nichts! ( Bruno hatte am Ende der Sendung gesagt: "Halten Sie mir Daumen!") Es ist 5 vor zwölf. Nur Beinwell kann Sie retten. Die Chemie bringt Sie um. Bestellen Sie sich Beinwellwurzel und nehmen Sie täglich 4 Eßlöffel davon." Da die Telefonnummer der Frau angegeben ist, rufe ich sie an. Sie weiß sofort, um wen es sich handelt. Sie ist sehr vorwurfsvoll und sagt "Ja hat er bis jetzt noch keinen Beinwell genommen ( sie hatte ihren Brief gleich nach der Schiejok-Sendung verfaßt und abgeschickt ), dann ist es ja schon zu spät, warten Sie!" - und sie war weg, dann kam sie wieder ans Telefon und sagte: "Er hat maximal noch 3 Monate zu leben. Geben Sie ihm trotzdem den Beinwell, aber es ist zu spät!" Ich war, obwohl ich sie für eine Verrückte hielt, sehr betroffen. Ich ertappte mich dabei, wie ich rechnete: August, September, Oktober, November. Ich ärgerte mich über meine Dummheit, die Frau angerufen zu haben. Trotzdem fuhr ich mit Bruno an die Thaya, um Beinwellwurzel auszugraben. In meinem Heilpflanzenbuch steht: früher wurde Beinwell auch innerlich angewandt, wir raten jedoch davon ab...Also gebe ich Bruno nur ganz wenig davon. Ich selbst nehme das doppelte Quantum. Ich merke, daß beim Kauen im Mund sehr viele Schleimstoffe entstehen, sonst merke ich bei mir keine Reaktion. Hingegen Bruno sagt, daß ihm darauf etwas schlecht ist.Ich gebe ihm nichts mehr davon.

Am Donnerstag, den 10. August sind wir bei Dr. Köstler. Dieser zeichnet sich durch Fragen aus, die geradezu unverschämt sind, so sagt er zu Bruno: "Sagen Sie Herr Seiser, wollen Sie überhaupt noch leben?" ( Er hält eine derartige Fragestellung vielleicht für psychologische Schocktherapie. ) Bruno reagiert einigermaßen verblüfft und sagt darauf: "Natürlich will ich noch leben." Darauf Köstler: "Und warum?" Bruno: "Na ich möchte noch Geschichten schreiben." Köstler: "Na Geschichten schreiben können auch andere, da muß es schon andere Motive geben. Was zum Beispiel?" Ich bitte ihn, Bruno doch endlich die von Douwes indizierten Injektionen zu spritzen, das ist ja der Grund unserer Kontaktaufnahme, doch er sagt, er möchte vorher einen differenzierten Blutbefund haben und schickt Bruno ins Labor. Dorthin gehen wir Freitag morgens. Saarplatz. Nachher frühstücken wir im gegenüberliegenden Café und lesen alles an Zeitungen - ein schöner gemeinsamer Vormittag. Dann geht Bruno in die Burggasse.

Am Samstag früh fahren wir nach Katzelsdorf. Sonntag kommen Monika Bruckner und Leo Pech zum Mittagessen. Beide übernachten bei uns und es gibt noch zusammen das Frühstück auf der Terrasse, bevor sie uns in Richtung Wien verlassen. Dienstag ist schon wieder Feiertag, der 15. August und zu Besuch kommen Dr. Lebiszcak mit Frau und Schoßhündchen. Bruno macht von Georg ein Interview und dann fahren Bruno und ich mit ihnen nach Wien, da am Mittwoch endlich die Blutbefunde abzuholen bereit sind und wir gehen damit zu Dr. Köstler. Der stellt eine Blockade der Immunsuppressoren fest und will deshalb die von Prof. Douwes verschriebenen Injektionen nicht geben, verordnet vielmehr Selen-Kupfer-Infusionen in Kombination mit einer Menge Heel-Präparate. Diese Therapie soll wöchentlich wiederholt werden. Bruno gibt Köstler einen "Wendepunkt", dieser bedankt sich und sagt, daß er die Aufregung darüber rege mitverfolgt hätte und damit Bruno schon lange kenne. Dies tut Bruno wenigstens ein bißchen wohl. Wir verabreden einen neuerlichen Termin. Das Wochenende verbringen wir dann wieder in Katzelsdorf. Bruno schreibt, liegt aber viel, weil ihm das Sitzen im Kreuz und in den Oberschenkeln weh tut. Die Oberschenkelschmerzen hatten gleich nach der ersten Chemo eingesetzt und verstärkten sich immer nach der Roferon-A-Spritze. So sind ihm lange Spaziergänge verleidet.

Daß sich für Dienstag Herr Falk zum Tee angesagt hat, ist für Bruno wieder ein kleiner Lichtblick in der von ihm empfundenen Eintönigkeit des Landlebens. Er freut sich über den Besuch und wir plaudern lange auf der Terrasse. Auch mit Hajo hat Falk einen guten Kontakt, da er, wie sich herausstellt, sehr an den wissenschaftlichen Fragen über das Phänomen Licht interessiert ist. So bekamen wir in den nächsten Tagen ein Buch zu diesem Thema von ihm geschickt.

Inzwischen ist schon Mittwoch und wir müssen zu Dr. Köstler. Als wir am Praterstern ankommen, geht Bruno in den Fotoautomaten, um sich Passfotos zu machen, er hat sich für eine Pressefahrt nach Kasachstan entschlossen.

Nach diversen Terminen in Wien - Kostenangebot der Renovierung in der Hameaustraße - Montage einer Therme in der Lerchengasse - fahren wir zurück nach Katzelsdorf, wo uns am Sonntag Maria Stemberger besucht. Sie bleibt bis Montag. Bruno bringt sie zum Zug. Dann essen wir eine Leibspeise von Bruno: Zwetschkenknödel, noch dazu mit von ihm selbst gepflückten Zwetschken. Ich sage: "Bruno, Du hast ja noch gar nichts gegessen! Schmecken sie Dir nicht?" Worauf er antwortet: "Ich hab' doch schon so viel gegessen." Es war ein winziger Teil von dem, was er früher gegessen hatte.

Für 31. August hat er, wie er es den Schwestern und Ärzten im AKH versprochen hatte, ein Dankeschön-Fest, ein "Survival" angesetzt. Pfleger Willi sollte es ausrichten, doch derselbst auf Krankenurlaub übergab die Aufgabe an Oberschwester Milena. Diese organisierte es mit Speis und Trank beim "Welser" um 20.00 Uhr. Die lange Tafel war vollbesetzt als wir kamen - alles Bedienstete der Thoraxchirurgie - inmitten von ihnen saß Prof. Eckersberger, der Bruno an der Lunge operiert hatte. Er war sehr guter Laune, umschwärmt von seinen Schwestern und einigen jungen Kolleginnen. Von der "Haut" waren nur die chinesische Schwester mit ihrer kleinen Tochter gekommen und Frau Hilde, die Bedienerin. Alice und ich saßen einander gegenüber, Hajo neben mir, ihm zur Seite Frau Dr. Montjoye. Bruno saß oben an der Stirnseite der Tafel, sah sehr gut aus, so daß ihm alle zur Genesung gratulierten. Später kamen auch Prof. Pehamberger und Prof. Jakesz. Beide setzten sich zu Bruno und dieser rief mich, daß ich mich zu ihnen setzen soll. So erzählten wir von Bad Aibling, Köstler, den verschiedenen Meinungen und Therapien. Jakesz meinte, Bruno solle eher als Alternativtherapie von Zeit zu Zeit Bad Aibling in Anspruch nehmen. Von Frau Dr. Montjoye animiert hält Hajo eine Ansprache zu Brunos Genesung und wir alle trinken auf sein Wohl. Dann bedankt sich Bruno bei den Schwestern und Ärzten in einer kurzen Rede. Bruno läßt die Rechnung machen, zahlt über 8000,- ö.S. und wir alle brechen auf. Prof. Pehamberger verabschiedet sich mit einem mahnenden: "Aber wir sehen uns schon in den nächsten Tagen, am besten ist, wir machen uns gleich etwas aus. Sagen wir doch am Dienstag um 9.00 Uhr bei mir auf der Ambulanz." So geht das Fest nicht ohne Schatten zu Ende. Wir fahren im Taxi heim.

Für Freitag bis Sonntag hat Bruno eine Einladung für zwei Personen im "Panhans" am Semmering. Er lädt mich dazu ein. Den Vormittag verbringt er in der Burggasse und um 15.45 Uhr treffen wir uns am Bahnhof Wien - Meidling, um auf den Semmering zu fahren. Er kommt mit einer deftigen, neuen Lederjacke, die ihm sehr gut paßt. Er hat sie gerade gegenüber der Redaktion in der Burggasse erstanden. Wie immer, wenn er für sich Geld ausgibt, hat er ein schlechtes Gewissen, trotzdem freut er sich über die Jacke. Auch in den nächsten Monaten sagt er mir immer wieder, wie froh er ist, die Jacke zu haben, er käme sich darin ein bißchen geschützt vor. Das Wetter ist leider schlecht, trotzdem sind wir glücklich, endlich einmal außerhalb von Krankenhaus und Klinik unterwegs zu sein. Wir stapfen vom Bahnhof Semmering auf einem schmalen, steilen Pfad zum "Panhans". Bruno, der früher diesen Weg geradezu rannte, war gezwungen, einmal innezuhalten, damit er "Luftschöpfen" könne. Er, der die steilsten Pisten  hinauf- und hinunterjagte, tat sich auf einmal beim Atmen schwer. Es tat mir bis tief in die Seele weh. Ich tröstete ihn, indem ich die inaktive Krankenhauszeit dafür verantwortlich machte und sagte ihm, er würde schnell wieder die alten Kräfte erlangen, sobald er wieder Training hat.

Wir beziehen unsere Zimmer. Eines ist besonders schön, hat herrlichen Ausblick. Bruno will es mir geben. Aber selbstverständlich wird es seines. Wir gehen zum Abendessen.  Ein Tisch mit Blick auf die Landschaft ist für uns gedeckt und Bruno tut die Aufmerksamkeit des Obers gut. Doch sein Appetit ist selbst mit dem besten Essen sehr bescheiden. Nur das Obst, das für ihn zum Empfang in seinem Zimmer reichhaltig dekoriert ist, schmeckt ihm und er aß fast alles während des Fernsehens auf.

Am Samstag gingen wir in die Sauna und Bruno schwamm im Hallenbad seine 2mal 3 Längen: Schmetterling / Brust / Kraulen. Er war ein meisterhafter Schwimmer und selbst in dieser Zeit voll Intensität. Es war das letzte Mal, daß ich ihn schwimmen sah. Später machten wir einen Spaziergang. Wir besuchten auch das Hotel "Alpenheim", wo Bruno im vergangenen Jahr oft Gast war. Auch am Sonntag nach dem Frühstück machten wir uns trotz nicht allzuguten Wetters auf die Socken, gingen als erstes in die Kapelle, wo wir Lichter anzündeten. Dann läuteten wir am Tor von Frau Ehrlich, einer Bekannten von Bruno, die aber nicht öffnete. Dann marschierten wir auf dem Weg, den wir vor Jahren gemeinsam mit Hajo gewandert waren. Als wir in einiger Entfernung von dem Parkplatz waren, sah ich einen Mann, den ich als meinen Schwager erkannte. Ich hatte ihn über Jahre nicht gesehen. Er sah trotz seiner Parkinson'schen Krankheit sehr gut aus und Bruno fand ihn sehr sympathisch. Wir begrüßten einander und luden ihn und seine Freundin, die am Stock ging, nach dem Mittagessen zum Kaffee ein. Doch die Beiden lehnten entschuldigend ab, da sie wegen ihrer Rekonvaleszenz, sie hatte eine Hüftoperation gehabt, gleich nach dem Essen nach Wien zurückmüßten. Umso erstaunter waren wir, als nach unserem langen Spaziergang das Auto meines Schwagers noch immer auf dem Parkplatz stand und im Vorbeigehen am Restaurant sah Bruno durchs Fenster die Freundin. Ich ging zu ihr hinein und sie sagte mir, daß mein Schwager gerade mit dem Hubschrauber abtransportiert worden sei. Er war gestürzt und hatte sich dabei den Hüftknochen und Oberschenkelhals gebrochen. Bruno bot seine Hilfe an, ihr das Auto nach Wien zu fahren, jedoch hatte sie schon den Wirt darum gebeten und so verabschiedeten wir uns und gingen zum "Panhans" essen. Nach dem Mittagmahl machten wir noch einen Spaziergang Richtung Skipiste. Ins Hotel zurückgekehrt gabs noch Kaffee mit Erdbeertorte und gegen 18.00 Uhr gingen wir zum Zug. Der letzte Ausflug mit Bruno war zu Ende. Es waren die schönsten Tage in diesem Katastrophenjahr. Wir fuhren nach Wien.

Für Dienstag, den 5. September hatte Bruno einen Termin bei Prof. Pehamberger. Eine Computertomografie soll wieder gemacht werden. Frau Dr. Moosbacher fixiert für 25. 9. einen Termin für ein Thorax CT im Institut Wicke und einen für eine Abdomen- und Lymphknotensonografie bei Prof. Lechner. Da wir dafür vergleichende Unterlagen mitnehmen müssen, warte ich bis Frau Dr. Moosbacher diese organisiert hat. Bruno geht indessen schon zu Dr. Demmer, bei dem wir einen Termin ausgemacht haben, da die Termine mit Dr. Köstler kaum zustande kommen, er ist für Bruno nie zu sprechen. Nach Erhalt der Unterlagen - Prof. Pehamberger legt mir ans Herz, diese Bruno nicht zu zeigen - besehe ich mir diese auf dem Weg zu Dr. Demmer und verstehe Prof. Wolffs Panik. Umso wichtiger scheint es mir, daß wir Demmer zu Rate ziehen. Er hatte 1989 anläßlich Brunos Gürtelrose mittels seiner Blutuntersuchungen ein neuerliches Aufflackern des Melanoms konstatiert, was uns damals als absurd erschien, da die zur gleichen Zeit gemachten Computertomografien und Sonografien alle ohne Befund waren. Bruno erhielt dann eine Serie von Infusionen und Dr. Demmer befand dann, er sei wieder in Ordnung. Kurze Zeit darauf stellte er abermals die Melanomerreger im Bluttest fest und behauptete, daß auch in meinem Blut solche nachzuweisen seien, daß also auch ich mich der Infusionen unterziehen müsse. Daraufhin wurde uns Dr. Demmer sehr suspekt. Nun, da bei Bruno die alte Krankheit tatsächlich wieder ausgebrochen war, beurteilten wir Dr. Demmer anders und hofften auf ihn, daß er mit Hilfe der Nosoden das Melanom vernichten könne.

Demmer macht Bruno fast täglich eine Infusion. Er behauptet, daß er sehr gut darauf anspricht. Bruno fühlt sich relativ wohl. Er sieht auch gut aus, das behaupten auch die Gäste, die anläßlich des 2. "Survivals" am 7. September um 19.30 Uhr ins "Duesenberg" gekommen sind, wo Bruno seine "Getreuen", die ihn in den letzten schweren Monaten nicht in Stich gelassen hatten, zu einem Fest geladen hat. Peter Tiedemann, ein alter Freund ist der Besitzer des Lokals und die Feier ausrichtet und alle bewirtet. Alle beglückwünschen Bruno zu seiner Genesung und freuen sich über sein augenscheinlich gutes Befinden, nur Brunos Friseur, Wolfgang Haller, mit dem ich nach Brunos Tod über dieses Fest gesprochen hatte, sagte, er hätte die Situation damals im "Duesenberg" unerträglich gefunden mit seinem Wissen um Brunos Krankheit. Doch für uns war Bruno auf dem Weg der Genesung, wir waren voller Zuversicht.

Das Wochenende verbrachten wir dann in Katzelsdorf. Bruno schrieb. Sonntags fuhren wir nach Wien, da Bruno um 16.00 Uhr bei Demmer seine Infusion bekam. Am Montag packte ich seine Sachen zusammen, die er für seine "Pressefahrt" nach Kasachstan brauchte. Am Dienstag fuhr ich mit ihm zum "Hilton", wo er den Bus zum Flughafen nahm. Um 12.20 Uhr startete das Flugzeug, das ihn nach so vielen Monaten des Krankseins zum ersten Mal wieder unter Kollegen in die Welt trug. Bruno kehrte am Freitag Früh aus Kasachstan zurück. Wir trafen uns um 10.30 Uhr bei Dr. Demmer. Bruno machte zwar körperlich einen müden Eindruck, doch geistig war er angeregt und sehr zufrieden, daß er diese Reise unternommen hatte. Er erzählte mir, es sei sehr schön gewesen, besonders oben in den Bergen bei dem Reitervolk. Er selbst sei auch geritten. Bei dem Empfang im Hotel brachte der Vizepremier Kabatayevich einen Toast auf seine Genesung. Die Mentalität dort hätte ihm viel mehr entsprochen als die in Miami, wohin seine letzte Pressereise Januar 95 ging.

Dr. Demmer ist entsetzt, daß Bruno eine solche Strapaz auf sich genommen hatte, er ist voller Vorwürfe, es sei ein Wahnsinn, in einer derartigen Verfassung eine solche Reise zu unternehmen. Bruno bleibt dabei: er ist froh, daß er sie gemacht hat. Nach der Infusion fahren wir in die Lerchengasse und Bruno schläft sich aus. Er bleibt den ganzen Tag liegen und entschuldigt sich gleichsam dafür. Am Samstag fahren wir um 11.00 Uhr nach Katzelsdorf. Im Zug klagt Bruno über Übelkeit und Magenschmerzen. Ich tippe auf Magenverstimmung durch das Essen und Trinken in Kasachstan. Er sagt, er habe zwecks Desinfektion mehrere Wodka getrunken. Diese waren für seine durch die Chemie geschädigten Schleimhäute sicher nicht das Beste. Auf jeden Fall vermutete ich den Grund für die Schmerzen im Zusammenhang mit der Reise.

In Katzelsdorf angekommen ging Bruno sofort in sein Zimmer ins Presshaus und ins Bett. Ich brachte ihm die Wärmeflasche und alle möglichen Magen- Darmmittel. Er blieb liegen. Ich wäre am liebsten bei ihm geblieben, doch für Sonntag hatte ich ein Fest angesetzt ( wie fast in jedem Jahr im Herbst ) und diesmal vorallem für Bruno. Nicht viele haben fest zugesagt, die meisten wollten sich kurzfristig entscheiden wegen des Wetters. Trotzdem mußte alles vorbereitet werden. Ich verfluchte jetzt meine "Festidee" und traf recht widerwillig meine Vorbereitungen im Gedanken ganz bei Bruno, dessen Zustand mir Sorgen machte, da er sich nicht besserte.

Am Sonntag gegen 11.00 Uhr kamen die ersten Gäste. Bruno mußte liegen bleiben. Für ihn war an Fest nicht zu denken und er wollte niemand sehen. Es war genug, daß er akkustisch alles über sich ergehen lassen mußte, denn die Tische standen auf der Wiese und so drang alles an Unterhaltung hinauf ins Presshaus. Im Nachhinein betrachte ich die Situation an diesem Tag als reinstes Inferno. Am ärgsten für Bruno. Doch auch für mich. Und auch bei den Gästen konnte nicht gerade gute Stimmung aufkommen. Irgendwann lief Bruno im Schlafrock vorbei auf die Sauna zu. Er erhoffte sich in der Sauna Linderung seiner Schmerzen. Ich setzte mich in den kleinen Vorraum, damit ich in seiner Nähe bin, doch nach wenigen Minuten kam er heraus und sagte, daß er es in der Sauna nicht aushält, also ging er wieder zu Bett. Als Else als erste das Fest verließ, schlug ich Bruno vor, daß wir mit ihr nach Wien ins AKH fahren. Doch Bruno sagte, er könne in seinem Zustand eine Autofahrt unmöglich aushalten. Ich fragte ihn, ob ich die Rettung holen soll, dies wollte er nicht. Er wußte, daß ihn die Rettung nach Mistelbach bringen würde und nicht ins AKH. Also zog er es vor, im Liegen auf Besserung zu warten. Und ich wartete auf das Aufbrechen der Gäste. Als zwei von ihnen nicht und nicht gehen wollten, obwohl sie die prekäre Situation mitbekommen hatten, mußte ich sie bitten, Verständnis zu zeigen, wenn ich das Fest als beendet erkläre. Nachdem alle fort waren, kam Bruno in mein Zimmer und ich legte mich in das Nebenzimmer aufs Sofa.

Hajo hatte sich viel Arbeit gemacht mit dem Aufstellen der Tische, Bänke und Stühle. Jetzt stand alles da und mußte wieder auf den Dachboden befördert werden. Mitten in der Nacht hörte ich auf dem Dachboden ein Gepolter. Hajo räumte auf. Ich lief zu ihm, um ihn davon abzubringen, doch er war sehr aufgebracht und ließ sich in seinem Tun nicht unterbrechen. So gab es Streit - eine entsetzliche Szene. Der arme Bruno hatte neben seinen Schmerzen auch noch dies zu ertragen. Dieser 17. September ein Schreckenstag in meinem Leben!

Als am nächsten Morgen die Bauchschmerzen noch immer nicht nachgelassen hatten, holte ich den Arzt aus Großkrut. Ein junger, vertrauensvoll aussehender Mann. Er untersuchte Bruno und meinte, die Schmerzen kämen von einer Magenschleimhautentzündung, denn der Bauch griff sich weich an. Er verschrieb Bruno ein Medikament und ich fuhr mit dem Arzt nach Großkrut, um es abzuholen. Bruno bat mich, recht schnell wieder zu kommen, was für mich selbstverständlich war. Ich mußte zwar zurück Autostopp fahren, aber ich war sicher, daß mich jemand mitnimmt.

Da das Medikament keinerlei Linderung brachte, beschlossen wir, am Dienstag früh, wenn auch im Gerumpel des 2-CV nach Wien zu fahren. Ich breitete Bruno als Unterlage eine dicke Tuchent auf die Rücksitze des Wagens und Hajo chauffierte. So verließ Bruno am 19. September 1995 Katzelsdorf für immer. Nur 11 Jahre waren ihm hier gegönnt. Dabei habe ich mir dort ein ruhiges, erholsames Refugium für sein Alter vorgestellt. Wie kurz waren die schönen Tage und freudigen Stunden: einige Spaziergänge zur Thaya, einige unvergeßliche Radfahrten, ein einziger Urlaub von 3- 4 Tagen mit Radfahrten am frühen Morgen im Nebel. Einige Wochenende mit seinen Gästen. Einige Feste. Sonst noch Wochenenden mit Sauna und Aufarbeiten seines Zeitungspensums. Das wars.

In Wien fuhren wir als erstes zu Demmer, der Brunos Zustand mit seiner Kasachstanreise begründete und ihm nochmals eine Infusion gab, auf die eine Besserung eintrat. So wurde am Mittwoch die Infusion wiederholt. Als am Donnerstag jedoch wieder Schmerzen auftraten, schlug Demmer vor, zur Beobachtung bei ihm zu übernachten. Also fuhr ich in die Lerchengasse, holte Waschsachen und Bettzeug und Bruno und ich blieben im Dachgeschoß von Demmer. Am Morgen organisierte ich in einem nahegelegenen Café das Frühstück und Demmer machte wieder eine Infusion. Doch Bruno ging es nicht besser. Wir beschlossen einen Krankenwagen kommen zu lassen und ins AKH zu fahren. Ich rief von Demmers Wohnung aus Prof. Pehamberger an und berichtete ihm von Brunos Zustand, dann telefonierte ich nach der Rettung. Dr. Demmer ließ mich handeln, hielt sich aber bedeckt. Als die Rettung Bruno abholte, zeigte er sich nicht, was zur Folge hatte, daß uns der eine der beiden Rotkreuzmänner wie Betrüger behandelte, da wir keinerlei Unterlagen bei uns hatten.

Es war inzwischen später Nachmittag geworden, als wir auf H 17 ankamen. Bruno bekam sofort ein Einbettzimmer und er wurde untersucht. Es mußte auch eine Bauchsonografie gemacht werden. Als ich um 22.00 Uhr das AKH verlassen mußte, war dies noch nicht geschehen. Ich verblieb mit dem Stationsarzt, daß er mich telefonisch verständigt, sobald die Untersuchungsergebnisse vorliegen. Ich fuhr nach Hause. Da um 24.00 Uhr noch immer kein Anruf seitens des AKH erfolgt war, rief ich dort an. Man sagte mir, daß zwar die Untersuchungsergebnisse vorliegen, daß deren Beurteilung durch den Chirurgen aber noch nicht erfolgt ist, man würde mich, sobald das geschehen ist, verständigen. Ich fieberte dem Anruf entgegen. Um 1.00 Uhr klingelte das Telefon: "Der Chirurg sei dagewesen und es sähe nach Operation aus." Ich fuhr im Taxi zum AKH. Dort auf H 17 sagte mir Schwester Elisabeth, daß Bruno beim Röntgen ist, ich müsse warten, bis man mich ruft. Ich beschwor sie, mir zu sagen, wo die Röntgen gemacht werden, ich müsse zu ihm. Dann eilte ich zu ihm. Er wartete schon auf mein Kommen. Wieder war er ganz stark und sah dem Kommenden klar ins Auge. Er sagte: "Der Chirurg sagt, es ist ein Darmverschluß und da muß operiert werden. Was meinst Du dazu?" Darauf konnte ich nichts erwidern. Dann sagte Bruno: "So, jetzt laß mich allein, ich muß mich konzentrieren." Also ging ich auf den Gang, nachdem ich ihm das Kreuz gemacht hatte, damit alles gut geht und wir verabschiedeten uns. Er hatte starke, klare Augen und war gefaßt. Auf dem Gang traf ich den Chirurgen Doz. Dr. Teleky. Ich fragte ihn, ob die Operation wirklich sein muß und wie die Chancen stehen. Darauf antwortete er: "Es muß operiert werden, sonst stirbt er an Darmverschluß. Ich werde ihn vom Darmverschluß befreien können, von der Grundkrankheit allerdings nicht." Er ging zu Bruno, um mit ihm zu sprechen. Als er wiederkam, sagte er: "Also wir operieren." Um 4.30 Uhr wird Bruno eingeschleust. Ich bleibe am Gang. Als Teleky zur Operation geht, drücken wir einander die Hände. Dann beginnt die so schreckliche Wartezeit, wie bei den vorhergehenden Operationen. Ich gehe auf dem Gang auf und ab betend, hoffend. Es ist inzwischen Samstag, der 23. September. Um 5.30 Uhr beginnt die Operation um 7.55 Uhr ist sie laut Operationsbericht beendet. Die schreckliche Wartezeit ist nicht zu beschreiben, zumal sie einen Metallsarg in einender Eingänge schieben: welche Vorstellungen rasen durchs Hirn! Um 8.30 kommt Doz.Dr. Teleky und sagt, daß alles gut gegangen ist. Daß es aber höchste Zeit war, da schon 2,5 l Darmsaft aus dem Dickdarm in den Dünndarm gedrungen ist wegen einer Invagination des Dünndarms in den Dickdarm. Dazu bewirkte eine Bindegewebsplatte vom Dünndarm zum ehemaligen Milzbett verlaufend die Kompression des Dickdarms. An einem Verbindungsgefäß wurde eine Metastase entfernt, die in der Nabelgegend den Dünndarm einengte. Von mehreren vergrößerten Lymphknoten wurde einer zur histologischen Untersuchung entnommen. Die Operation sei gut verlaufen. Ich danke Dr. Teleky und bitte ihn zugleich, Bruno nichts von der Metastase zu sagen, ihm gegenüber nur die mechanistische Seite des Darmverschlusses zu erwähnen. Dr. Teleky sichert mir dies zu und geht. Auch er scheint geschafft zu sein.

Ich darf einige Zeit später in den Aufwacheraum. Das Glück ist, daß Andy, der nach der Milzoperation Bruno betreute und dem Bruno so großes Vertrauen schenkte, auch an diesem Morgen Dienst hat. So darf ich den ganzen Vormittag da bei Bruno bleiben. Als Bruno schon etwas bei sich ist, hört er, wie Andy, der telefonisch den Operation durchgibt, etwas von Metastase sagt. Ich mache Andy ein Zeichen, daß er leiser sprechen soll, doch Bruno hat das Wort schon aufgeschnappt und fragt mich verängstigt: "Hast Du gehört?" Ich antworte ganz beiläufig: "Ja, aber das hat nichts mit Dir zu tun." Daraufhin ist er beruhigt. Gegen Mittag fahren ein Pfleger und ich Bruno auf die Station: 21 D Zi. 602.

Alles ist wieder gut gegangen und ich bin überzeugt, daß es die letzte Operation ist. Auch Bruno ist wieder voll Hoffnung und hat den festen Willen, gesund zu werden. Da bei ihm alles immer gut und schnell verheilt, keinerlei Komplikationen auftreten, sehen wir Beide voll Vertrauen in die Zukunft. Gleich am nächsten Tag steht er auf, wäscht sich selbst und wir gehen täglich mehrere Male auf den Gang, kleine Strecken zurücklegend, die Bruno ganz bald zu Runden ausdehnt trotz Anstrengung.

Es kommen auch diesmal wieder Freunde, aber Bruno ist schon weniger besuchsgierig. Am Mittwoch nach der Operation wird die Magensonde entfernt und am Donnerstag der Katheder, sodaß Bruno ab Freitag, also kaum eine Woche nach der Operation, wieder ganz schön mobil ist. Am 6. Oktober, seinem Namenstag darf er das Krankenhaus verlassen. Gerharde holt uns ab und macht mit uns einen Abstecher zu ihr nach Hause zu Tee und ihrem guten Apfelkuchen. Dann fährt sie uns in die Hameaustraße, wo ein Teil der Renovierungsarbeiten im unteren Teil abgeschlossen ist. Nachdem wir uns eingerichtet haben, fährt mich Gerharde nach Glanzing, damit ich für die Tage in der Hameaustraße, wo wir bis Montag bleiben wollen, etwas einkaufe. Sie fährt dann nach Hause.

In der Hameaustraße wieder angekommen, will ich die Betten herrichten, aber ich weiß nicht mehr, wo ich den Schlüssel hingegeben habe, der das Herrenzimmer aufschließt, in dem ich schlafe. Zumal ich dorthinein am Montag das Mobilar aus Brunos Schlafzimmer räumen muß, da die Handwerker kommen, um dieses auszumalen. Ich rufe den Malermeister an, ob er weiß, wo der Schlüssel ist. Es ist Freitag Abend. Trotzdem kommt er und öffnet mir mit einer Art Dietrich die Tür. Bruno und ich essen dann eine Kleinigkeit und schauen noch ein bißchen ins Fernsehen. Dann gehen wir zu Bett. Selig, daß Bruno wieder zu Hause ist.

Am Samstag Morgen kommt Else zum Frühstück. Eigentlich wollten wir anschließend ein bißchen spazieren gehen, aber dazu ist Bruno noch nicht zu bewegen. Am Abend kommt Dr. Georg Lebiszczak und bringt gute Sachen von seiner Frau gekocht: eine kräftige Rindsuppe und Schokoladekuchen, doch Bruno hat auf diese kräftige Kost keinen Appetit, er bevorzugt Früchte. Alles in allem ist Lebiszczak an diesem Abend sehr anstrengend. Er kommt vom Schreiben seiner "Apostelgeschichte" und monologisiert die ganze Zeit, die er bei Bruno verbringt, über den Apostel Paulus. Bruno ist müde und froh, als wir allein sind. Wir legen uns zusammen auf die Couch und sehen fern. Dann sagt Bruno: "Dieses Zusammensein ist das Schönste vom ganzen Tag." Er war in diesem Moment einmal ein bißchen zufrieden.

Am Sonntag Nachmittag kommt Peter Tiedemann, bringt Bruno eine Menge Zeitungen und zwei Fläschchen herrlichen weißen Portwein. Er soll Bruno stärken. Doch er trinkt nur wenig davon. Am Abend kommt Loek Huisman, der mit Michael Heltau ums Eck wohnt, und wir verbringen einen schönen Abend zusammen, es ist für Bruno der letzte Abend in der Hameaustraße. Ein Vierteljahrhundert war er dort zu Hause. Die völlige Renovierung seiner Wohnung hat er nicht mehr erlebt. Am Morgen räume ich das Schlafzimmer aus und gegen 10.00 Uhr holt uns Gerharde ab und fährt uns in die Lerchengasse. Es ist der 9. Oktober und Bruno verläßt für immer sein Zuhause in Salmannsdorf.

Bruno macht wieder Interviewtermine aus und schreibt. Am Freitag, den 13. Oktober hat er eine Kontrolle bei Doz. Dr. Teleky im AKH. Wir fahren mit der U-Bahn hin, auf 7 C wird Bruno von Teleky untersucht. Er ist mit Brunos Darmtätigkeit sehr zufrieden. Bruno ruft beim Pförtner noch Dr. Walter Klimscha an. Hinterläßt für ihn die Bitte um Rückruf. Wir verlassen positiv gestimmt das AKH, nicht ohne, wie immer ein Gebet in der Kapelle zu verrichten. Dann lädt mich Bruno zum Chinesen Ecke Gürtel / Burggasse zum Essen ein. Er selbst ißt wenig. Als am Nachmittag Walter zurückruft, frage ich ihn, ob er Bruno mit den von Köstler verschriebenen Präperaten eine Infusion machen würde. Walter kommt am Abend und verabreicht Bruno den Infusionscocktail aus Vitamin C/ Vitamin B/ und Kupfer/Selen. Bruno schläft sehr gut. Am Samstg ist er zu Hause in der Lerchengasse. Sonntag, den 15. Oktober klagt er über Schmerzen im linken Bein. Er selbst schlägt vor, ins AKH zu fahren, um nichts zu verabsäumen. Wir gehen auf die "Haut", dort hat ein ihm gut bekannter Arzt Sonntagsdienst. Bruno beschreibt ihm seine Symptome. Er untersucht ihn und überwist ihn auf die Neurologie. Dort wird er eingehend untersucht. Es wird eine Computertomografie der Lendenwirbelsäule gemacht. Als der Befund vorliegt, teilt man ihm mit, daß vom 1. bis 4. Lendenwirbel ein Tumor im Rückenmark ist, der auf den Nerv drückt. Man überweist ihn auf die Chirurgie, denn es könnte sein, daß noch nachts operiert werden müsste, falls das Bein taub wird. Bruno ist sehr betroffen, aber auch da wieder bereit, wenn es sein muß, sich operieren zu lassen. Zum Trost sagt man ihm, es müsse nicht sein, daß der Tumor bösartig ist. Am Abend besucht ihn noch Walter, der auf der Chirurgie Dienst hat. Wir sind alle desperat. Doch man sagt Bruno, wenn die Nacht ohne Operation vorüberginge, würde man am Morgen noch genauere Untersuchungen durchführen. Der Zustand Brunos verändert sich nicht. Um 22.00 Uhr muß ich das AKH verlassen. Ich bin zum Sterben unglücklich. Am nächsten Morgen eile ich zu Bruno. Man holt ihn zu einer Magnetresonanzuntersuchung. Wir sind dann auf dem Zimmer und zittern den Ergebnissen entgegen. Gegen 15.00 Uhr kommt Leo Pech. Bruno gibt ihm, wie immer, seinen Nachtisch, diesmal einen Krapfen, dazu trinkt Leo einen Kaffee, da öffnet sich die Tür und ein Arzt mit Jungärztin oder Schwester tritt ein, schaut Bruno kaum an, steckt seinen Kopf in den Akt und sagt: "Also operiert kann nicht werden, der Tumor ist zu groß, das brächte ein zu großes Risiko mit sich. Zu große Komplikationen könnten entstehen und die Einbuße der Bewegungsmöglichkeit ist gegeben." Da frage ich: "Und was kann man tun?" Der Arzt antwortet sachlich: "Strahlentherapie." Bruno erblaßt, sinkt in sein Kissen zurück und sagt: "Das ist das Todesurteil." Der Arzt geht. Leo und ich suchen nach Worten, um Bruno aufzurichten. Jeder versucht es auf seine Art. Daran glauben, kann keiner von uns. Ich bitte Leo, zu gehen, hole Brunos Kleider aus dem Schrank und sage: "Bruno, bitte zieh' Dich an, wir gehen hinunter spazieren." Bruno zieht sich an, wir gehen an der Leitstelle vorbei, ich sage dort: "Wir gehen ein bißchen hinunter." Die Schwester sagt: "Ja, dürfen Sie denn?" Ich sage: "Ja, ja." Im Hinuntergehen sagt Bruno: "Strahlen lasse ich mir auf keinen Fall geben." Ich sage: "Bruno, wir fahren zu Demmer." Bruno ist sofort dafür. Ich rufe dort an und sage, daß wir kommen. Wir besteigen ein Taxi. Die Fahrt ist unendlich lang. Der Chauffeur macht einen schrecklichen Umweg. Aber wir sind Beide so apathisch, daß wir nichts sagen. Endlich sind wir in der Schönburggasse. Demmer hat Bruno eine Infusion gerichtet und ist heilfroh, daß Bruno nicht operiert wird. Er sagt: "Das wäre eine Katastrophe." Er ist wieder voll Optimismus, daß er Brunos Tumor bewältigen wird. Er überträgt seine Hoffnung auf uns. Nach der Infusion lassen wir ein Taxi rufen. Bruno will auf keinen Fall mehr in die Neurochirurgie, er will in die Lerchengasse fahren. In der Lerchengasse angekommen, bittet er mich, die Angelegenheit mit der Chirurgie zu regeln. Ich rufe dort an. Am Telefon ist der Arzt, der Bruno cool die vernichtende Mitteilung gemacht hatte. Er versucht zu überreden, daß Bruno ins AKH zurückkehrt. Ich sage ihm: "Sie hätten sich schon ein bißchen einfühlsamer verhalten können und nicht so brutal Herrn Seiser die Diagnose vor den Latz knallen müssen." Worauf er antwortet: "Ich habe gedacht, Herr Seiser sei über seinen Zustand im Klaren." Er hatte scheinbar ein schlechtes Gewissen und wollte von mir die Absolution haben. Ich sagte ihm, daß ich am nächsten Tag Brunos Sachen abholen werde.

Bruno und ich sprachen am Abend noch die Therapiemöglichkeiten durch und er betonte wieder, daß Strahlen für ihn nicht in Frage kommen. So blieb nur die Hoffnung "Demmer" für uns und Bruno hinkte täglich zur Infusion. Eine große Anstrengung für ihn die 4 Stockwerke bei uns hinauf und hinunter und zu Beginn weigerte er sich auch, ein Taxi zu nehmen. Wir gingen also zum 13 A Bus, fuhren zur Rainergasse und dann mußte er die Schönburggasse hinaufgehen. Zu Hause lag Bruno viel. Ich habe ihm im Wohnzimmer eine Matratze auf den Boden gelegt, damit er nicht immer im Bett liegen mußte. Das Sitzen machte ihm ziemlich zu schaffen. Wegen Demmers Behandlung stellte er auf rein basische Ernährung um und ich mußte zum Entviren alles im Drucktopf kochen. Auch ein Spezialbrot buk ich für ihn. Die Schmerzen nahmen, Gott sei Dank, nicht zu und das andere Bein blieb intakt.

Bruno macht trotz seines Zustandes Interviews. So kamen am Sonntag, es ist der 22. Oktober, Senta Ziegler und ihr Freund in die Lerchengasse, auch ein Fotograf vom ED wurde bestellt und es entstanden neben  den Fotos fürs Interview auch zugleich die letzten Fotos von Bruno. Als wir sie erhielten war Bruno von den beiden, auf denen wir zusammen fotografiert waren, ganz gerührt, er stellte sie auf das Tischchen im Wohnzimmer mit dem Satz: "Jetzt gibt es wenigstens ein Foto, auf dem wir zusammen drauf sind, wir haben sowieso keines." An dem Tag des "Ziegler"- Interviews fuhren wir anschließend im Taxi zum ORF. Es sollte endlich die schon seit langem geplante Aufnahme von Brunos Gedichten für die Sendung "Nachtbilder" gemacht werden, vom Autor selbst gesprochen. Während der Aufnahme sagte Eva Reuter, die die Sendung gestaltete und zugleich als Tonmeisterin fungierte: "Räuspern Sie sich, damit die Stimme frei ist, husten Sie einige Male!" Und das immer wieder. Ich bedauerte Bruno zu tiefst. Er, der immer alles bestens machen wollte, immer seine schöne, sonore Stimme hatte! Die Aufnahme wurde zu Ende gebracht und Eva Reuter meinte: "Ich glaube, so geht's. Es wäre sonst schade, denn die Gedichte sind sehr gut." Bruno fragte darauf: "Wann wollen Sie sie senden?" Das konnte sie ihm nicht sagen. Er hat sie nicht mehr gehört. Die Sendung wurde dann anläßlich seines Todes "vorgezogen".

Wir mußten nach dem ORF Argentinierstraße in die nicht allzu weit entfernte Schönburggasse zur Infusion. Ich wollte ein Taxi nehmen aber Bruno wollte zu Fuß gehen. Doch der Weg zog sich und als Bruno sich schon sehr schwer tat, wollte er an der erstbesten Station in einen Autobus einsteigen, der aber in die andere Richtung fuhr, so mußte ich ihn zu einer anderen Station schleppen, dort angekommen, sackte er zusammen, die Beine rutschten ihm einfach weg. Er schimpfte mich, das käme davon, weil wir nicht an der anderen Haltestelle eingestiegen seien. Er war total überstrapaziert. Aber er wollte das nicht wahr haben. Dann hatte er bei Demmer die Infusion. Und wieder Demmers ewiges Vertrösten, es würde bald eine Besserung eintreten. Zurück fuhren wir dann mit dem Taxi. Ich zwang Bruno, auch in den nächsten Tagen, seine Wege mehr mit dem Taxi zu machen, so lange, bis ohnehin nur noch dieses übrig blieb.

Am Montag, den 23. Oktober abends kam Hajo aus Katzelsdorf. Er wußte von Brunos Zustand nur telefonisch. Er hatte ihn in der Zeit der Darmoperation zum letzten Mal gesehen. Bevor Bruno zu Bett gegangen war, sagte er mir noch: "Bitte, räum' die Matratze weg, bevor Hajo kommt." Ich dachte mir, Hajo wird sich an die Matratze gewöhnen müssen und ließ sie liegen. Tatsächlich gab es gleich darüber einen Streit, den Bruno in seinem Zimmer sicher gehört hat. Er erwähnte am nächsten Morgen nichts davon. Am Vormittag hatte er einen Termin beim Notar in der Nachlaßangelegenheit seines Vaters zu dem ihn Hajo begleitete. Als sie Beide zu Mittag zurückkamen, sagten sie, es laufe alles normal ohne Komplikationen.

Am 31. Oktober machte Bruno seine letzten Interviews: eines von Dr. Franz Kössler, das andere im Café Landtmann von Elisabeth Strunz. Zum letzten Mal fährt er mit der Straßenbahn. Dann begannen die Wochen des totalen Rückzugs. Nur die Fahrten im Taxi zur Infusion und zurück in die Lerchengasse waren die Einschnitte in unserem Tagesgeschehen, da für Bruno aus Liegen, Zeitunglesen, und ein wenig Fernsehen bestand. 

An Besuchen war Bruno nicht mehr sehr interessiert. Ich sagte ihm, daß er mit diesen auch allein sein kann, ich könne in dieser Zeit weggehen, aber ich mußte ihn fast überreden, daß er die wenigen, die sich angesagt haben, auch empfing: ein Essen mit Gerharde, eines mit Loek Huisman, einmal der Friseur zum Haarschneiden, aber einen von mir initierten Besuch seines Freundes Leo, den ich bat, bei Bruno zu bleiben, während ich im Literaturhaus meine "Anarchie" absolvierte, mußte ich wieder rückgängig machen, denn er wollte lieber alleine sein. Zuerst wollte er mit ins Literaturhaus mit dem Argument: "Aber ich war doch bei allen Deinen Aufführungen dabei." Ich wußte, daß er das Sitzen dort niemals aushalten würde und sagte: "Aber Bruno, dieses Programm kennst Du doch bereits." Damit war er zufrieden. Als Hajo und ich nach der Vorstellung so gegen Mitternacht nach Hause kamen, lag Bruno wach im Bett und sagte, er habe lange gewartet, sei aber jetzt doch zu Bett gegangen.

Als die angekündigte Besserung immer noch nicht eintrat, die Schmerzen nicht nachließen, die Behinderung beim Gehen zwar nicht zunahm, aber auch nicht weniger wurde, beschlossen wir, nach Bad Aibling zu fahren. Das Problem war nur wie. Ich sagte zu Bruno: Mucha hat Dir angeboten, daß er Dir seinen Rolls Royce mit Chauffeur zur Verfügung stellt, wenn Du ihn brauchst, ich rufe Mucha an." Bruno war das zuerst nicht recht, dann willigte er doch ein. Mucha war zwar bereit, sein Wort zu halten. Doch der Zeitpunkt sei äußerst ungünstig, da gerade Schnee auf den Straßen lag und der Wagen keine Winterreifen hatte. Wir müßten eine Besserung der Straßenverhältnisse abwarten. Wir mußten aber spätestens am Donnerstag losfahren, denn übers Wochenende war die Ambulanz in der Klinik geschlossen. Wir warteten also bis Mittwoch zu, ob sich die Straßenverhältnisse verbessern würden. An diesem Tag machten wir auch Dr. Demmer die Mitteilung, daß wir uns für die Krebsklinik in Bad Aibling entschlossen hätten. Er schlug die Hände überm Kopf zusammen: "Dort bekommt er Essen, das nicht entkeimt ist, damit noch mehr Viren und Finnen ( er behauptete, der Tumor im Rückenmark würde von Finnen verursacht. ) Bitte, ich kann Sie nicht abhalten, gut gehen Sie dorthin, wenn Sie meinen!". Als ich mich unten in seiner Wohnung von ihm verabschiedete, sagte er mir ganz unwirsch: "Fahren Sie, aber ich sage Ihnen, da hilft nichts, er muß sterben!" Ich hätte ihn am liebsten erwürgt. Seine Zuversicht hat abgenommen, seit er die Röntgen zu Gesicht bekommen hatte. Abgesehen davon, daß er sich beim Lungenröntgen nicht einmal das Datum ansah, er prüfte eines von 1989 und stellte fest ( Bruno mußte hinausgehen, als er mir das sagte ): "Der Tumor in der Wirbelsäule schreckt mich nicht, aber ich muß Ihnen sagen, er hat eine große Metastase in der Lunge mit vielen kleinen versprenkelten rundherum."

Ich war fertig. In der Nacht ließ mich diese Aussage nicht zur Ruhe kommen. Ich überlegte: Wir haben doch kein neues Lungenröntgen. Neu sind Darm- und Wirbelsäulenröntgen, die Demmer hatte - aber von der Lunge? Ich stand auf und holte die Röntgen - das Lungenröntgen war ein altes von 1989. Der Befund dazu war von Dr. Lechner verfaßt: "Ohne Befund." Also, was ist los? Wie kann Dr. Demmer Metastasen feststellen? Hat sie Lechner nicht gesehen? Jetzt jedenfalls sind sie durch die Operation von April 95 entfernt. Wir waren von allen Seiten verlassen. Ich durfte Bruno von diesen "Abgesängen" nichts sagen, denn er mußte alle Hoffnung behalten und auch ich behielt sie, denn ich wollte keinen von diesen Ärzten als "letzte Instanz" betrachten. So habe ich auch die Aussage der "Rechten Hand" von Prof. Pehamberger, Frau Dr. Mossbacher, weggesteckt, die mir die Duplikate der Röntgen und Befunde anfertigen ließ und am Telefon sagte: "... aber Sie brauchen sich nicht der Illusion hingeben, daß da noch was zu machen ist. Man kann alles nur hinausziehen und die Schmerzen reduzieren." Ich betete zu Gott, daß er Bruno an Körper und an Seele heilen möge und ich war sicher, daß meine Bitte erhört wird trotz aller widriger Aussagen dieser Kapazitäten.

Am Donnerstag Morgen mußten wir eine Möglichkeit finden, um nach Bad Aibling zu kommen. Ich rief den Samariterbund an: 18.000.- ö.S. die Fahrt dorthin. Dann rufe ich das Rote Kreuz an: 22.000.-ö.S. Dann sage ich zu Bruno: "Wollen wir nicht Herrn Falk anrufen?" Der faxte mir einmal durch, ich solle mich melden, wenn ich Hilfe für Bruno brauche. So rief ich an und erzählte ihm von unserem Problem. Er sagte: "Rufen Sie mich in 10 Minuten wieder an." Als ich das tat, sagte er: "Wann sind Sie bereit zu fahren?" Ich antwortete: "In einer Stunde." Ich mußte erst packen. Falk: "Gut, in einer Stunde ist mein Chauffeur bei Ihnen." Ich packte das Notwendigste in eine Tasche. Bruno mußte praktische Kleidung anziehen und in einer Stunde läutete es unten und wir fuhren los. Ein kurzer Umweg zur Redaktion in die Burggasse - Bruno wollte sein Band besprechen. Irgendwie funktionierte es nicht. Wir riefen den Auftragsdienst an, damit die Anrufe nicht ins Leere gehen. Die Schreibmaschine wurde auch mitgenommen, diesmal die von Puppi und Ulf ( sie hatten sie Bruno im Krankenhaus geschenkt ). Bruno schloß zum letzten Mal die Redaktion. Wir fuhren nach Bad Aibling. Auf der Fahrt sagte er: "Schau, die Astgasse!" Es war das Haus seiner Kindheit und Jugend, das er zum letzten Mal sah. Die ganze Fahrt lang war er sehr ruhig, konzentriert und voll Rücksicht Rudi ( dem Fahrer ) gegenüber, den er gleich als "klassen Burschen" ins Herz schloß.

Rudi fuhr ohne Unterbrechung bis Bad Aibling durch - und obwohl ich im Auto hinten für Bruno eine dicke Decke zum Liegen gerichtet hatte, ließ Bruno es sich nicht nehmen, die ganze Fahrt lang vorne neben Rudi zu sitzen, mit dem er sich sehr gut verstand und unterhielt.

Außer, daß wir bei Rosenheim einen falschen Abzweiger genommen hatten und so in die Stadt hineinkamen, ging die Fahrt sehr zügig und wir kamen noch zu einer Zeit in der Klinik an, die Bruno die Möglichkeit gab, Prof. Douwes zu konsultieren. Als dieser Bruno heranhinken sah, rief er aus: "Ja, Bruno, was hat man denn mit Dir gemacht?" Bruno erzählte ihm von den Veränderungen und Symptomen. Daraufhin führte ihn Douwes in sein Behandlungszimmer und machte ihm eine Neuraltherapie mit Morphium. Bruno war begeistert, denn seine Schmerzen ließen schlagartig nach und wir gingen mit Rudi, der noch einige Fotos von den Douwes im Auftrage Brunos für seinen Artikel über die Klinik in "Die ganze Woche" machen mußte, ins Hotel essen. Rudi ließ es sich nicht nehmen, am selben Abend nach Wien zurückzufahren. Bruno ging auf sein Zimmer, es waren für ihn doch sehr große Strapazen, die er an diesem Tag hinter sich hatte, und ich blieb bei Rudi, um ihm den Weg genau zu beschreiben. Bruno hatte Rudi beschworen, vor der Abfahrt noch unbedingt auf sein Zimmer zu kommen. Doch Rudi wollte ihn nicht mehr stören und bat mich, Bruno seine Abschiedsgrüße auszurichten. Als ich dies tat, war Bruno aufs tiefste enttäuscht und traurig, daß Rudi nicht mehr zu ihm gekommen ist. Ich mußte dann im Auftrage Brunos Rudis Frau anrufen und ihr mitteilen, daß Rudi sich auf dem Heimweg befindet. Bruno konnte es nicht fassen, daß Rudi sich in der Folgezeit nie mehr bei ihm rührte. Jedoch faxte er Herrn Falk danksagend, welchen "Prima Mann" er an Rudi habe.

Der erste Tag der ambulanten Behandlung in der Klinik gab Bruno einen großen Aufschwung. Die große 1-Liter - Infusion ernährte ihn und gab ihm wieder mehr Kraft. Dazu die Fall- Beschreibungen der anderen Patienten, ihre Hoffnung, ihre guten Erfahrungen übertrugen sich auch auf Bruno und gaben ihm neuen Mut. Als wir am Abend des ersten Behandlungstages ins Hotel zurückkehrten, fühlte sich Bruno viel besser. Vor dem Zubettgehen hatte er sehr starken Stuhlgang. Er fühlte sich wohl und leicht, die Schmerzen waren wie verflogen und er zeigte mir mit gymnastischen Beinbewegungen, wie die Behinderung verschwunden ist. Alles schien so gut zu sein, daß wir glücklich zu Bett gingen im Wissen, daß alles wieder gut wird.

Am nächsten Morgen, als ich in Brunos Zimmer kam, sagte er mir, daß er eine sehr bewegte Nacht hinter sich hätte, daß er mehrere Male aufstehen mußte, starken Stuhlgang hatte und er entschuldigte sich und war sehr betroffen, daß er das Bett schmutzig gemacht hatte. Ich sagte ihm, daß es sehr gut sei, wenn auf diese Art die Gifte ausgeschieden würden und bat ihn, keinerlei falsche Schamgefühle zu haben. Ich zog das Bett ab und brachte die Wäsche in die Wäscherei. Dann gingen wir frühstücken. Das war unsere Freude am Tag. Bruno brachte uns vom Buffet ein Gläschen Sekt, holte alle Zeitungen, die es gab und so saßen wir eine Stunde zusammen, um anschließend in die Klinik zu gehen.

Dort begann der Tag für uns als erstes mit einer langen Wartezeit. Der früher so ungeduldige Bruno wurde zur Geduld gezwungen. Dann wurden nach und nach die vielen Infusionen gemacht. Jeden 2. Tag bekam Bruno eine Teilhyperthermie, täglich den Magnetring unten in der Badeabteilung. Wir kamen selten vor 22.00 Uhr ins Hotel zurück. Zu Mittag brachte ich meist eine Brezel mit Butter, einen Apfel oder Orange. Durch unser großes Frühstück hatten wir mittags noch keinen Appetit. Am Abend aßen wir dann im Hotel. Am Wochenende war die Ambulanz geschlossen, aber Bruno mußte trotzdem seine Behandlung bekommen. So begaben wir uns auf die Station und nahmen mit einer Improvisation vorlieb: auf ein auf dem Gang stehendes Sofa breitete ich meinen Fellmantel, auf dem gekauert Bruno dann seine stundenlang tröpfelnden Infusionen erhielt. So waren gerade die Wochenende von uns gefürchtet.

Auf der Ambulanz war noch ein anderer Melanompatient, 62-jährig. Er sagte uns, bei ihm wäre vor 6 Jahren ein Melanom in Erscheinung getreten, daraufhin habe man ihn operiert, anschließend wäre er unter Kontrolle und alles in Ordnung gewesen, nun aber wären vor einem halben Jahr Metastasen entdeckt worden und die Schulmedizin würde ihn mehr oder weniger abschreiben. Dabei hätte er im Sommer noch Tennis gespielt. Jetzt jedoch könne er es ohne schmerzstillende Mittel gar nicht aushalten. Nun hoffe er auf die Therapie von Prof. Douwes. Bruno meinte einmal mir gegenüber: "Ich sage Dir, der schafft es nicht." Ich war anderer Meinung, denn er sah noch so frisch und dynamisch aus. Er bekam Ende November die große Hyperthermie und wir verabschiedeten uns. Er sollte dann im Januar wiederkommen. Seine Frau war immer sehr deprimiert. Einmal hat sie mich zur Seite geholt und gefragt, wie ich es mache, mit unserem Los fertigzuwerden und dabei begann sie zu weinen. Ich schimpfte mit ihr und sagte: "Sie können sich doch nicht so gehen lassen, das wirkt doch auf Ihren Mann zurück! Sie müssen positiv sein und Hoffnung haben." Das war zu einem Zeitpunkt, als wir, Bruno und ich alle Hoffnung in Douwes' Behandlung setzten. 

Umso schlimmer war es, als Bruno am Wochenende plötzlich so starke Schmerzen bekam, daß wir vormittags nicht einmal auf die Station zur Behandlung gehen konnten. Am Nachmittag gingen wir dann hinüber und Bruno sagte der Schwester, daß er sehr starke Schmerzen habe. Die Schwester ließ den diensthabenden Arzt holen, es war der junge Dr. Machura. Er untersuchte Bruno, sah sich die aktuelle Krankengeschichte an, dann konstatierte er: "Sie müssen ins Krankenhaus nach Rosenheim. Sie brauchen Strahlentherapie. Daraufhin telefonierte er lange mit seinem Oberarzt Dr. Ludwig. Als er wieder zurückkam sagte er: "Bestrahlen geht nicht. Sie müssen operiert werden, sonst werden Sie querschnittgelähmt." Ich sagte: "Ich rufe sofort Prof. Douwes an." Ich lief zum Telefon und bat die Schwester, sie möge mich telefonieren lassen. Schwester Hannelore sagte mir mit süffisantem Lächeln: "Der ist sicher nicht zu Hause, da werden Sie kein Glück haben." Frau Dr. Douwes war gerade in Afrika. Ich war verzweifelt. Wie sehr es Bruno war, läßt sich nur ahnen. Ich lief zu Bruno, wir berieten uns."Was sollen wir machen?" In diesem Augenblick steht Douwes breit in der Tür und sagt: "Was ist denn hier los?" Ich sprudelte los, dazu Machuras Version, die ich ergänze: "und jetzt will er Bruno nach Rosenheim ins Krankenhaus bringen lassen." Darauf Douwes zu Machura: "Moment mal, nicht gar so schnell!" Er untersucht Bruno und ordnet an, ihn nachts auf der Station unterzubringen und zu beobachten. So dankbar, wie diesmal, war ich Douwes noch nie: daß er in diesem Augenblick in Erscheinung trat! Die Nacht verbrachte Bruno also in der Klinik. Unvergeßlich für mich an jenem Abend: die liebe Schwester Dagmar, deren Mann an Krebs gestorben war und die so dankbar und heiter der Zeit mit ihm gedachte.

Am nächsten Morgen wollte Bruno gleich in die Ambulanz, um nicht den Stationsärzten ausgeliefert zu sein. Prof. Douwes vertrat auch die Meinung, daß es für Bruno besser sei, im Hotel zu wohnen und ambulant behandelt zu werden. Wie weit diese Meinung durch Brunos finanzielle Außenstände beeinflußt war, weiß ich nicht. Im übrigen hatte ich den Eindruck, daß zwischen Douwes und den Ärzten der Klinik größere Diskrepanzen bestanden. Auch schien mir, daß die stationäre Behandlung mehr zur Schulmedizin hin tendierte.

Wir hofften aber auf Prof. Douwes' Behandlung, das war der Grund unseres Kommens. Daß der Erfolg diesmal nicht so groß war, zeigte sich schon in der eresten Woche. Denn trotz aller Infusionen sanken Brunos Hämoglobinwerte so stark, daß er 3 Blutkonserven bekommen mußte. Danach allerdings nahm er an Kräften zu und an Appetit. Als wir am Abend zu Lindner essen gingen, bestellte Bruno ein Rinderfilet, das er genüßlich aß und als Nachtisch noch ein Fruchteis. Auch am nächsten Abend hatte er Lust zu essen. Doch zwei Tage später kam das Desaster. Wir verließen am Abend die Klinik, machten noch einige Schritte im Park, drehten aber bald um, da es Bruno zu viel war. Auf dem Weg zum Hotel, bevor wir die Straße überqueren wollten, konnte Bruno nicht mehr weiter. Er setzte sich auf den Eckstein im Durchgang von der Klinik. Ich bat ihn zu warten und lief in die Klinik, um einen Rollstuhl zu holen, damit führte ich ihn dann zum Hotel. Dort humpelte er auf mich gestützt in sein Zimmer.

Es war gut, daß das Zimmer so klein war, so konnte sich Bruno mit Hilfe der Türklinke der WC/Duschetür hochhieven ohne auf mich angewiesen zu sein. Trotzdem humpelte er eines Nachts in den oberen Stock, wo ich schlief, er hatte Angst und wollte, daß ich komme. So fand ich es hoch an der Zeit, ein Zimmer zu nehmen, das Telefon hat. Als ich dann eines auf seiner Etage genommen hatte, hatte er wahrscheinlich vergessen, daß ich Telefon hatte und so stand er auf, um zu mir zu gehen. Einen Meter vor meiner Tür fiel er hin, ich hörte einen Plumps und seinen Hilferuf und stürzte vor Schrecken hinaus. Er lag da, war aber Gott sei Dank nicht verletzt. Ich sagte ihm, er könne mich doch anrufen, wenn er will, daß ich komme. Ab dieser Nacht rief er mich zwei Mal pro Nacht an, daß ich zu ihm kommen soll. Ich ging zu ihm, legte mich neben ihn darauf bedacht, möglichst wenig Platz einzunehmen, denn das Bett war sehr schmal. Auch versuchte ich, mich möglichst wenig zu bewegen, da er trotz Schmerzmittel Schmerzen hatte und so blieb ich bei ihm bis er schlief oder mir sagte: "So, jetzt geht's schon wieder." Das hieß, daß ich gehen konnte oder sollte. Ein einziges Mal ging ich früher, weil ich auf dem schmalen Platz nicht mehr liegen konnte und dies bereue ich noch heute. Wie müssen die schlaflosen Stunden für ihn gewesen sein!? Armer, armer Bruno! Sein Zustand wurde nicht besser. Wenn ich neben ihm lag, spürte ich, wie seine Arme zuckten, Bewegungen machten, die nicht von seinem Willen gesteuert waren. Er wird dies auch selbst registriert haben, trotzdem sagte er: "Diese Schmerzmittel sind eine Mildtätigkeit." Ich glaube, er wußte nicht, wieviel er von diesen Mitteln bekam. Einen Teil oral, den anderen in Form von Injektionen und es waren Morphine.

An manchen Tagen ging es ihm so schlecht, daß er nicht aufstehen konnte. Ich rief in der Klinik an und bat, man möge doch kommen ihm eine Spritze machen. Doch wir mußten mindestens zwei Stunden warten, bis auf erneutes Bitten jemand kam. Deshalb raffte sich Bruno, wenn es nur irgendwie ging, auf, daß ich ihn in die Ambulanz führen konnte. Das Frühstück brachte ich ihm aufs Zimmer. Das Hinuntergehen zum Frühstück war nicht mehr möglich. 

Am 5. Dezember, als die Hämoglobinwerte wieder sehr abgefallen waren, sollte Bruno vormittags eine Blutkonserve bekommen. Doch als wir in die Ambulanz kamen sagte die Schwester, sie müsse die Blutabnahme wiederholen, da die am Vortag gemachte gefroren in München angekommen ist. Ich war wütend, denn das hieß, daß sie nicht sachgemäß verpackt war. Faktum war, daß Bruno an diesem Tag die so notwendige Konserve noch nicht bekommen kann. So ließ ich mir die Phiole mit Brunos Blutprobe nebst einem Schrieb einpacken und fuhr mit dem Zug nach München, um dort beim Roten Kreuz die Blutkonserven für Bruno zu holen. Um 17.30 Uhr war ich wieder in Bad Aibling und Bruno bekam noch am selben Abend 2 Konserven. Wir saßen bis 23.00 Uhr in der Ambulanz allein und sahen uns im Fernsehen Juhnke als "Der Trinker" an. Bruno meinte dazu, er könne diese Problematik gut nachempfinden, er könnte sehr leicht in dieses Verhalten schlittern. Vielleicht vermied er deshalb ziemlich den Alkohol. Als der Film beendet war, waren auch die Blutsäckchen geleert und Frau Dr. Douwes kam, um Bruno von den Schläuchen zu befreien. Bruno fühlte sich auch nach dieser Blutgabe wieder gestärkt und gekräftigt. Wir gingen im Hotel gut Essen und Bruno hatte wieder Appetit. Er bestellte sich Fasan und aß dann noch eine Eisspezialität. Es ging ihm wieder viel besser. Am nächsten Morgen bekam er dann noch 2 weitere Konserven verabreicht.

Sein Zustand blieb die nächsten Tage soweit gebessert, daß er sogar  am Samstag seine Adventgeschichten aus "Wie es halt so spielt - das Leben" selbst lesen konnte. Es war eine Adventveranstaltung der Klinik. Schon in den ersten Tagen nach unserer Ankunft in Bad Aibling hatte Herr Ledi, selbst Patient von Prof. Douwes, Bruno angesprochen und gefragt, ob er bereit sei, am 9. Dezember aus seinen Geschichten zu lesen. Herr Ledi spielte mit seinem Trio Caféhausmusik. Als nun Herr Ledi einige Tage vor der Veranstaltung Brunos Zustand sah, war er sehr in Zweifel, ob Bruno in der Lage sein würde, seinen Textteil beizutragen. Ich sagte also zu, im Falle des Falles einzuspringen. Ich suchte die Geschichten zum Vorlesen aus, sagte Bruno auch, daß er sie viel besser als ich liest und am Tag der Veranstaltung wollte er sie auch selbst lesen.

Es war ein sehr anstrengender Tag für ihn dieser Samstag. Schon am Vormittag führte ich Bruno im Rollstuhl zu einem medizinischen Vortrag in der Klinik. Herr Cremer wollte, daß Bruno anwesend ist und er kümmerte sich selbst um ihn, sodaß mich Bruno an diesem Vormittag wegschickte. Nach dem Mittagessen, das er mit Herrn Cremer und den Vortragenden eingenommen hatte, führte ich ihn um 15.00 Uhr in den Konzertsaal. Herr Ledi hatte mit seinem Trio schon die Plätze eingenommen und er wollte, daß ich Bruno vor dem Trio plaziere. so fuhr ich ihn im Rollstuhl an den Platz, von wo aus er seine Texte vortrug. Wenn man Brunos Vortrag von früher kannte, mußte man feststellen, wie sehr er an Kraft verloren hatte. Es war ihm eine Anstrengung, die Texte zu lesen - doch er hielt durch und bekam auch eine Menge Applaus. Nach dem 1. Teil, in der Pause schickte er mich weg, da er und ich bei Frau Wieland, einer Vortagenden am Vormittag, einen Behandlungstermin ausgemacht hatten. So sollte ich ihn zuerst wahrnehmen, da Bruno nach der Pause noch Gedichte lesen wollte. Eine Zuschauerin übernahm die Fürsore für ihn. Nach der Veranstaltung führte sie Bruno zu Frau Wieland, bei der ich noch in Behandlung war. Bevor Frau Wieland Bruno mit ihrer Moratherapie zu behandeln begann, erzählte er mir, daß er noch eine Menge Gedichte gelesen hätte und als letztes "Rudolfino" Vater gewidmet.

Dann legte Frau Wieland Bruno auf das Massagebett, er war nackt und es war ein Jammer, wie sein einst so starker, kräftiger, muskulöser Körper aussah. Dazu diese Narben. Ich hätte losheulen können. Dann begann Frau Wiegand mit ihrer Behandlung. Es war eine Demonstration, für die sich Bruno zur Verfügung gestellt hatte. Wie immer war zu sehen, welchen Berührungshunger er hatte, wie wohl es ihm tat, wenn er berührende Zuwendung erfuhr und Frau Wiegand hatte sehr gute Hände, unter denen Bruno wieder Reflexe zeigte, er, der durch die vielen Operationen und Medikamente in einen Zustand versetzt war, der nichts mehr mit dem wärmedurchfluteten Bruno zu tun hatte. Die Behandlung von Frau Wieland tat ihm so wohl, man konnte es sehen. So ging ich auch nachher zu ihr und fragte sie, ob es eine Möglichkeit gibt, daß sie Bruno regelmäßig behandeln kommt. Sie sagte mir, daß sie jetzt zu ihrem Sohn nach Znaim führe, daß ich sie aber nach ihrer Rückkehr in Steinheim anrufen könne. Vielleicht ergäbe sich die Möglichkeit für eine regelmäßige Behandlung. Jedenfalls erschien mir eine Hoffnung, da Bruno so gut reagierte. Nachts schlief er sehr tief. Nach dem Frühstück, das ich ihm aufs Zimmer brachte, fuhr ich ihn in die Klinik, damit er die Spritzen und Infusion bekam. Dann fuhren wir zurück ins Hotel und ich bettete ihn in mein Zimmer, damit er die Kulisse gewechselt hatte. Am späten Nachmittag kam Nicki, ein Patient Douwes, mit seiner Frau aus Brüssel. Nicky sollte seine 2. Behandlungsreihe erhalten. Wir hatten uns zum Abendessen im Hotel verabredet gehabt, doch Bruno wollte nicht hinuntergehen und sagte, ich solle allein mit ihnen essen. Ich schlug ihm vor, daß wir absagen, doch er wollte, daß ich hinuntergehe. Ich war kaum 5 Minuten unten, da kam der Kellner und sagte mir, Herr Seiser hätte angerufen, ich solle bitte kommen. Als ich zu Bruno ins Zimmer trat, war er in größter Verzweiflung und schluchzte. Ich war entsetzt: "Bruno, was hast Du denn? Was ist geschehen?" Als er sich etwas beruhigt hatte, erzählte er mir, er habe so schreckliche Angst, daß das Bild über dem Bett auf ihn herunterfalle. Dabei war es ein leichtes Bild, das, wenn es heruntergefallen wäre, sicher nichts bewirkt hätte. Dann erzählte er mir, er hätte sich, als er auf die Toilette ging, im Spiegel gesehen und sei so erschrocken darüber wie er aussieht. Er hatte in seinem Zimmer keinen großen Spiegel und so ist ihm sein körperliches Aussehen nicht bewußt gewesen und es war für ihn eindeutig ein Schock, als er sich sah. Ich blieb dann bei ihm, redete ihm gut zu un konnte ihn auch beruhigen. Dann schlug ich ihm vor,daß ich ihm was zum Essen hole, was er bereitwillig annahm. Als er ein wenig gegessen hatte, meinte er, ich müsse wieder hinuntergehen, was ich ihm ausreden wollte, doch er bestand darauf und ich ging. Das Abendessen war eher eine Qual und ich verkürzte es, so gut es ging. Dann ging ich zu Bruno und brachte ihn in sein Zimmer und blieb bis er eingeschlafen war.

Am Montag Morgen war Bruno sehr müde. Es war das erste und einzige Mal, daß er nicht aufstand und damit die ambulante Behandlung unterließ. Ich ging in die Klinik und bat Frau Dr. Douwes, ins Hotel zu kommen und Bruno die Spritze zu geben. Nach mehreren Anrufen kam sie dann am Nachmittag. Am Dienstag führte ich dann Bruno wieder in die Klinik. Das war der 12. Dezember. Die Bewegungen wurden für Bruno immer mühsamer. Er brauchte schon sehr lange zum Anziehen, was er aber noch immer alleine tat. Nach dem Anziehen, das er nur in Etappen vollziehen konnte, rief er mich und auf mich gestützt handelte er sich der Wand entlang bis zur Treppe ( es gab keinen Aufzug ) und die Treppe hinunter hievte er sich mit einer mir unverständlichen Bravour und Anstrengung, die von einem unendlichen Willen und großer Intelligenz zeugten. Doch es wurde von Tag zu Tag schwieriger.

In der Klinik sollte am Donnerstag ein Zimmer frei werden. Und obwohl Straßenseite redete ich Bruno zu, es zu nehmen. Ich sagte ihm, daß nur so die ärztliche Versorgung während der Weihnachtsfeiertage gewährleistet ist, da die Ambulanz in dieser Zeit geschlossen ist. Bruno fragte mich: "Ja meinst Du, daß wir zu Weihnachten noch hier sein müssen?" Ich entgegnete ihm: "Bruno, bevor es Dir nicht besser geht, fahren wir nicht nach Wien." Worauf er antwortete: "Dann muß aber Hajo zu Weihnachten zu uns kommen." Und Bruno willigte ein, wenn das Zimmer frei ist, auf die Station zu gehen. Ich rief Hajo an, daß er Weihnachten mit uns in Bad Aibling verbringen soll, wozu er auch bereit war.

Wenn ich die Zeit, die wir seit dem 9. November in Bad Aibling verbracht haben, Revue passieren lasse, so stellt sich diese in folgenden Etappen dar: Ankunft voller Hoffnung. Gespräche und Erfahrungsaustausch mit den anderen Patienten in der Ambulanz. Bruno hinkt aber wir können im Park spazieren gehen. Brunos Zustand verbessert sich nach den Blutkonserven. Er sieht wieder besser aus, hat wieder Appetit. Doch dann tut auch das zweite Bein nicht mehr mit: Rollstuhl. Wir stellen im Park den Rollstuhl ab, er versucht auf mich gestützt einige Meter zu gehen, doch dann ist auch das nicht mehr möglich. Ich fahre ihn im Park täglich einige Runden. Er verliert Interesse daran. Das Frühstück mit Zeitungen und einem Gläschen Sekt, das einzig erfreuliche Ereignis des Tages findet dann im Zimmer statt. Schließlich wird das Hotelzimmer gegen das Klinikzimmer getauscht. So lange es ging, wollte Bruno im Hotel wohnen, um auf der Station nicht den Jungärzten ausgeliefert zu sein, was aber letztlich unumgänglich war.

Bevor Bruno das Klinikzimmer bezog, bat ich Prof. Douwes um ein Gespräch. Bis dahin hatte ich mit ihm immer in Gegenwart von Bruno gesprochen. Es war Donnerstag, der 14. Dezember. Douwes sagt: "Es ist ein präfinaler Zustand."

Ich denke mir: Lieber Douwes, du weißt auch nicht alles und bin überzeugt, daß Bruno wieder gesund wird. Am Nachittag ist Bruno noch in ambulanter Behandlung. Um 19.00 Uhr fahre ich ihn auf das Zimmer in der Klinik. Wir bekommen Besuch von einer Mitpatientin, die vor ihrer Heimreise steht. Bruno fühlt sich wohl. Ich verlasse ihn sehr spät. Am Morgen bringe ich ihm Teile meines guten Hotelfrühstücks. Er sagt, daß er schon gefrühstückt hat, ißt aber trotzdem noch eine Käsesemmel.

Vormittags kam dann Dr. Herzog, der Chefarzt und wollte Prof. Douwes Indikation verändern - Bruno statt Dexahexal und Cortison - Spritzen Novalgin - Infusionen verordnen. Ich sagte ihm, daß Novalgin bei Bruno schon in Wien keine Wirkung gezeigt hatte. So blieb es bei den Dexahexal - Spritzen, jedoch das Cortison wurde ab nun als Infusion verabreicht. Ich verstand den Sinn dieser Veränderung nicht, denn vorher wurde beides zusammen als Mischspritze gegeben.

Der Freitag verlief bis zum späten Nachmittag sehr gut. Ich führte Bruno mit seiner Infusion in die Ambulanz, denn er wollte dort bei den anderen Patienten sitzen. Am frühen Nachmittag ließ er sich in die Bäderabteilung zum Magnetring fahren und erst am späten Nachmittag kehrte er auf die Station zurück, weil ihm Blut abgenommen werden sollte. Bruno war mit der Übersiedlung in die Klinik sehr zufrieden und sagte mir: "Es war doch eine gute Entscheidung, auf die Station gegangen zu sein." Ich war auch sehr positiv gestimmt und sagte zu Bruno: "Weißt Du, jetzt wirst Du aufgebaut ( er sah wirklich viel besser als in Wien aus ) und wenn Du wieder kräftiger bist, bekommst Du das Fieberbett, damit der Tumor schmilzt." So hatten wir beide die feste Hoffnung daß sich alles wieder zum Guten wendet. Bruno erzählte mir immer von der Verlegerfrau, die ihm in der Ambulanz erzählt hatte, daß Douwes sie gerettet hat, sie sei im Rollstuhl gekommen und jetzt würde sie wieder Golf spielen. Und ich hatte nur eines im Hinterkopf: Gott wird Bruno wieder gesund machen. Diesen Glauben ließ ich mir durch nichts und niemand nehmen. An dem Freitag hatte Hajo angerufen, daß der Brief vom Notar gekommen ist und daß Bruno das Erbe von Vater angewiesen werden müsse. Ich sagte das Bruno und schlug ihm vor, daß ich das Geld am Montag in Wien holen fahre, damit wir die Schulden in der Klinik begleichen können, denn die Verwaltung war ständig hinter mir her und auch Douwes machte unangenehme Bemerkungen. Doch Bruno sagte zu mir flehentlich: "Bitte nicht wegfahren!" Worauf ich ihm entgegnete: "Natürlich Bruno, wenn Du es nicht willst, fahre ich nicht." Wir beschlossen, daß Hajo, der zu Weihnachten kommen wollte, das Geld mitbringen soll.

Am späten Nachmittag kam Dr. Lob, ein junger Arzt zur Blutabnahme. Bruno mochte ihn. Es kam zu folgender Szene: Dr. Lob fragte Bruno, wie es ihm in den letzten Monaten ergangen sei. Darauf erzählte Bruno von seiner Darmverschlußoperation und sagte: "Gott sei Dank hatte das nichts mit Krebs zu tun." Worauf Dr. Lob entgegnete: "Das hatte sehr wohl mit Krebs zu tun." Darauf sagte ich sehr akzentuiert: "Nein, es war eine rein mechanische Darminfiltration." Dann Dr. Lob: "Ja, aber die histologischen Untersuchungen ergaben, daß es eine Metastase war." Ich lief weg, eilte zu Douwes, klopfte an seine Tür, da es keine Reaktion gab, stürzte ich unaufgefordert in sein Zimmer. Er sehr autoritär: "Ich muß schon bitten!" Ich ging zu Frau Dr. Douwes und erzählte ihr den Wahnsinn und erinnerte sie daran, daß abgemacht war "daß für Bruno der Darmverschluß nichts mit Krebs zu tun haben soll." So war es schon in Wien mit Doz. Teleky besprochen und jeder hatte sich daran gehalten und nun in der "Alternativklinik" bekommt er im Geplauder diese schreckliche Wahrheit so "en passant" serviert. Als ich Frau Dr. Douwes, die wie immer sehr betroffen tat, verließ, kam Dr. Lob. Ich lief ihm in sein Zimmer nach und stellte ihn zur Rede. Er wies mir die Tür mit dem Satz: "Ihr Herr Seiser weiß über seinen Zustand besser Bescheid als Sie meinen." Ich ging zu Bruno und sprach Belanglosigkeiten. Bruno sah vor sich hin und sagte: "Also war es doch Krebs." Ich sagte erregt: "Bruno, laß Dich nicht von dem erstbesten Jungarzt verunsichern. Ich bringe Dir aus dem Hotel die histologischen Befunde, die kannst Du Dir ansehen." Darauf sagte er: "Nein, ich hab' eh keine Angst mehr." Ich holte mir dann Brunos Trenchcoat, an den ich einen Knopf und die Gürtelschleife annähte. Herr Röhrig, ein Patient kam Bruno besuchen und wir saßen 3/4 Stunden zusammen und plauderten. Herr Röhrig hatte sich im Sommer mit Bruno angefreundet, auch er hatte Platin im Fieberbett bekommen und hatte, so fand ich, ziemlich abgenommen. Er war nun voll Hoffnung wieder zur Behandlung gekommen. Bruno war sehr gelöst in diesem Gespräch und es war eine gute Atmosphäre. Als Herr Röhrig gegangen war, richtete ich Bruno für die Nacht einen Teller mit Clementinenspalten und Printen, die er an diesen Tagen sehr gerne aß.

Donnerstag bei dem Gespräch mit Prof. Douwes hatte mir dieser versprochen, er würde am Freitag zu Bruno auf die Station kommen. Nun war es schon 21.00 Uhr und wir warteten noch immer auf ihn. Ich wußte von den Schwestern aus der Ambulanz, daß an diesem Abend ein großes Weihnachtsessen mit der Belegschaft im Schuhbräu stattfindet, so hatte ich noch immer die Hoffnung, daß Douwes käme. Um 22.00 Uhr hängte ich dann ein Zettelchen an die Tür seines Ordinationszimmers: "Sie versprachen, heute zu Bruno zu kommen." Als ich die Klinik verließ, stieß ich mit Douwes zusammen, der gerade von der Toilette ins Restaurant zurückging. Ich sagte: "Sie wollten doch heute zu Bruno kommen." Er entgegnete: "Ja, das werde ich schon tun." Auch Samstag und Sonntag zeigte er sich nicht. 

Als ich am Samstag Morgen zu Bruno kam, ging es ihm schlechter. Er sagte mir ziemlich desperat: "Ich weiß nicht, ob ich es schaffe." Ich liebkoste ihn und sagte: "Bruno, ganz bestimmt. Schau, es gibt einmal einen schlechten Tag, dann aber wieder einen besseren." Ich blieb den ganzen Vormittag bei ihm. Dann kam Besuch aus Tübingen. Ilse mit Mann und Kind. Sie kamen, wie schon einmal im Mai angefahren, um Bruno zu sehen. Nur an diesem Tag hatten sie wenig Glück. Bruno war sehr müde, nicht gesprächig und nach einer halben Stunde gingen sie und sagten, sie würden am Nachmittag wieder vorbeischauen. An dem Samstag war in der Klinik eine Adventveranstaltung "Stubenmusi". Mittags bringe ich Bruno das Essen, aber hat keinen Appetit. Das Einzige, das ihm ein wenig schmeckt sind Clementinen und Printen. An diesem Tag ging es Bruno wirklich nicht gut und ich machte die veränderte Medikamentengabe dafür verantwortlich. Auch die Fernsehnachrichten abends interessierten ihn nicht, obwohl am nächsten Tag in Österreich die Wahlen waren. Nachdem ich ihm eine Nachtversorgung von aufgespaltenen Clementinen und Printen auf sein Nachttischchen gestellt hatte, verließ ich ihn um 22.00 Uhr und ging ins Hotel etwas essen und schlafen.

Am Sonntag Morgen war ich sehr früh bei Bruno. Ich brachte ihm was Gutes vom Hotelfrühstück, aber auch davon aß er fast nichts. Gegen 10.00 Uhr kamen Ilse, Mann und Söhnchen. Bruno war sehr müde, sprach kaum. Ilse ging zum Abschied an Brunos Bett, umarmte ihn und küßte ihn unter Tränen. Ich war böse auf sie, es mußte Bruno als "endgültiges Abschiednehmen" vorgekommen sein. Da Bruno an diesem Vormittag so wegsackte, sagte ich zu Schwester Traudi: "Glauben Sie nicht, daß die intervenöse Cortisongabe eine stärkere Wirkung verursacht? Sie müssen doch zugeben, daß sich Brunos Zustand seit der Indikationsveränderung sichtlich verschlechtert hat." Sie gab mir recht und hängte die Infusion ab. Dann holte sie Dr. Herzog, den Chefarzt. Dieser fragte Bruno, wie es ihm ginge, ob er Ängste hätte, ob er dagegen etwas haben möchte und ordnete dann die Verabreichung eines angsthemmenden Medikaments an. Bruno schlief dann vor sich hin.

Mittags brachte ich ihm etwas zu essen. Er hatte keinen Appetit. Nur das Kompott wollte er haben. Ich stellte das Tablett mit dem Schüsselchen vor ihn auf die Bettdecke, er hatte sich aufgesetzt, er wollte essen, sah aber das Schüsselchen nicht, es stand 30 cm vor ihm, doch er nahm es nicht wahr. Ich hatte die fixe Idee das Cortison ist schuld daran und erklärte mir und ihm sein Nichtsehenkönnen damit. Am frühen Nachmittag kam ein Anruf von Loek Huisman, diesen wollte Bruno entgegennehmen. Ich fragte Bruno, ob ich für ihn Falk anfaxen solle, er tat es jeden Sonntag in der Aiblinger Zeit, doch er verneinte. Die Kontakte nach draußen interessierten ihn nicht mehr. Am Nachmittag war Bruno nur am Schlafen. Ich saß an seinem Bett und las in dem "Wasserbuch", das Bruno am Samstag von Fred Aram geschickt bekommen hatte. Ich blieb bis 22.00 Uhr bei ihm. Nachdem ich ihm das Tellerchen mit Clementinen und Printen für die Nacht gerichtet hatte, gab ich ihm einen Gutenachtkuß und ging ins Hotel.

Montag nach dem Frühstückn ging ich zu Bruno. Die Zeitungen berichteten von den Wahlergebnissen in Österreich. Mir war das völlig egal. Wie ich zu Bruno komme, sitzt er am Bettende und klagt über Schmerzen. Seine Augen und die Armbewegungen haben etwas Fahriges. Ich frage ihn, ob ihm die Schwester noch keine Spritze gegeben hätte. "Doch", sagt er. "Und trotzdem hast Du Schmerzen?" frage ich. "Wo hast Du denn die Schmerzen?" Darauf er: "Ich weiß nicht, überall." Ich bette ihn mit dem Kopf aufs  Kopfkissen. Er wird auf einmal ganz rosig, Schweiß tritt aus. Ich halte ihn fest und streichle ihn immer sagend: "Bruno, es wird schon wieder gut." Nach einigen Minuten setzt er sich auf, wieder nahe dem Fußende, an die Seitenwand gelehnt, sieht teilnahmslos vor sich hin, dann reckt es ihn und ein Schwall von dicker, kotiger Flüssigkeit tritt aus seinem Mund. Ich rufe: "Bruno! Bruno!" renne um ein Handtuch, wische ihn ab, rufe nach der Schwester. Die resolute Hannelore und eine Jungschwester kommen - Hannelore sieht Bruno in dem Erbrochenen -  ihr Blick spricht Bände. Sie holt einen fahrbaren Leibstuhl, fährt ihn ins Badezimmer zum Waschen. Alles geht sehr schnell. Bruno ist wie abwesend, ganz apathisch. Zum ersten Mal schätze ich die Schwestern in ihrem Tun. Das ist gekonnt. Alles andere bisher war mittelmäßig, aber in dieser Situation waren sie geübt. Mir brachen alle Hofnungen zusammen. Ich wußte: erneut Darmverschluß! Jegliche orale Ernährung einschließlich orale Tabletteneinnahme war beendet. An eine abermalige Operation war nicht zu denken. Ich hängte das Medikamentensäckchen, in dem ich die Tagesration schon vorbereitet hatte, für immer beiseite. Brunos Ende stand bevor. Jetzt wußte ich es.

Ich blieb bei Bruno. Er schlief jetzt. Ich ging gegen Mittag zur Telefonzelle, um Hajo anzurufen. Er wollte zu Weihnachten kommen. Ich sagte ihm: "Hajo, wenn Du Bruno nochmals sehen willst, mußt Du nicht bis Weihnachten warten, sondern Du mußt in den nächsten zwei Tagen kommen." Ich beschrieb ihm den Zustand Brunos. Hajo sagte, er brauche etwas Zeit, um Katzelsdorf dicht zu machen und er hätte einen Termin mit Daniela, der Hilfe von Alice Seiser wegen des Geldes. Ich sagte Hajo, daß er alles machen soll, wie er kann, nur, daß ich nicht mehr lange mit Brunos Leben rechne. Dann rief ich noch Gerharde an. Bruno sagte mir am Samstag, daß sie telefonisch angefragt habe, ob sie ihn besuchen solle. Ich sagte ihr, wie es um Bruno steht und daß sie möglichst bald kommen müsse, wenn sie ihn noch lebend sehen wolle.

Ich aß dann eine Kleinigkeit im Hotel, dann ging ich wieder zu Bruno. Er schlief. Ich ging hinunter in die Bäderabteilung, wo er einen Magnetfeldtermin hatte und sagte, daß er nicht kommen könne. Ebenso ging ich zu Sabine, bei der er einen Hyperthermietermin hatte und sagte ihr, wie es Bruno ginge, was zur Folge hatte, daß Christine, die Gymnastin, Frau Zimmer aus der Badeabteilung und Sabine gefolgt von Frau Dr. Douwes mit dem Mann der Benediktiner Geschäftsführerin zu Bruno kamen. Es war wie ein großes Abschiednehmen. Ich weiß nicht, wieviel Bruno von alldem mitbekommen hat. Am Abend ging ich ins Hotel, um meine Schlafsachen zu holen. Ich sagte auf der Station Bescheid, daß ich die Nacht bei Bruno verbringen werde. Es war im Zimmer ein Sofa, das bezog ich mit Bettwäsche und zum Zudecken nahm ich den Schlafsack aus Wien. Als ich vom Hotel in die Klinik zurückgekommen war, saß Bruno aufrecht im Bett an die Seitenwand gelehnt, ihm gegenüber Prof. Douwes im Hubertusmantel. Brunos Blick war frei und voll Hoffnung auf Douwes gerichtet. Douwes gab mit dem üblichen Strahlen einige Stehsätze von sich. So sah ich Bruno zum letzten Mal in bewußtem Zustand. Er wurde aber bald müde und etwas desinteressiert und sank in sein Kissen zurück. Douwes phraselte etwas von dem "kleinen aber ruhigen Zimmer" ( ruhig war es nicht, weil es zur Straßenseite lag und an dem Haus vorbei den ganzen Tag nicht nur Personenautos, sondern alle Kalibers von Lastern vorbeidonnerten )  - schließlich ging er. Ich machte mein Nachtlager zurecht, sagte Bruno "Gute Nacht" mit allen guten Wünschen, einem Kreuz auf die Stirn und legte mich schlafen. Bruno atmete sehr kurz und laut bei offenem Mund. Natürlich habe ich nicht geschlafen. In der Nacht kam Dr. Rapp moit der Nachtschwester, er mußte die Nadel neu legen, weil die Infusion mit Schlaf- und Antischmerzmittel nicht mehr durchging. Bruno merkte von alldem nichts, so sah es aus.

Am Morgen als die Schwestern kamen, um Bruno zu waschen, mußte ich das Zimmer verlassen. Also ging ich ins Hotel, um mein Frühstück einzunehmen. Als ich zurück zu Bruno kam, lag er ruhig atmend im Schlaf. Ich konnte nicht feststellen, ob er sich im Schlaf oder Koma befand. Jedenfalls veränderte er den ganzen Vormittag nichts an seiner Lage und Atmung. Sein Mund stand auf - also trocknete er sehr aus - deshalb ließ ich Glycerinstäbchen bringen, mit denen ich ihm von Zeit zu Zeit den Mund außen und innen befeuchtete. dann legte ich meinen Kopf neben den seinen und sprach auf ihn ein: "Lieber, lieber Bruno. Hast's bald hinter Dir." Ich wußte, daß er bald hinübergehen würde. Gerharde rief an, sie sei bereit loszufahren, ob es Bruno auch recht sei, wenn sie käme. Das Telefon stand auf Brunos Nachttisch, was sollte ich sagen? So antwortete ich: "Ich kann es Dir nicht sagen, Bruno schläft. Du mußt selbst wissen, ob Du kommen willst." Diese ewigen Rückversicherer, sie wurden uns in der letzten Zeit sehr zur Last mit ihren Fragen. Wir hatten uns so sehr Besuch gewünscht, wenn er mit Risikobereitschaft gekommen und im Falle des Falles auch gegangen wäre. Aber sie wollten immer wissen, ob es Sinn hätte zu kommen. Wie sollten wir das wissen, in einer derartigen Situation. So sagte Bruno in letzter Zeit immer: "Laß sie!" Er war auch an Telefonaten kaum mehr interessiert. Allein der letzte Anruf von Hajo freute ihn. Er fragte mich drei Mal: "Ich weiß nicht, habe ich Dir gesagt, daß Hajo angerufen hat." Und er überhörte dabei mein: "Ja, nachdem ich ihm gesagt habe, daß Du einen Anruf von ihm erwartest."

Als ich am Dienstag Morgen im Hotel frühstückte, kam mir der Gedanke, wenn Bruno stirbt, braucht er ein Grab. Ob das von Vater Seiser, der im Juli gestorben ist,schon wieder belegt werden kann, wußte ich nicht. So faxte ich an Kurt Falk, der mir einmal per Fax versicherte: "Wenn Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich jederzeit an mich." Ich bat ihn, er möge sich auf dem Neustifter Friedhof um ein Grab für Bruno kümmern.

Den ganzen Vormittag verbrachte ich bei Bruno. Sein Zustand war immer gleichbleibend. Um 14.30 Uhr verließ ich ihn mit den Worten: "Bruno, ich geh nur kurz weg. Ich komme gleich wieder." Er konnte davon keine Notiz nehmen. Ich ging ins Hotel. Dort fand ich eine Antwort von Kurt Falk vor: "Machen Sie sich um das Grab keine Sorgen, alles ist geregelt." Falk war auf Brunos letztem Weg einer der wenigen, der immer schnell und verläßlich agierte. Eine große Qualität, die man in einer derartigen Ausweglosigkeit um so mehr zu schätzen weiß. Vielen Dank Ihnen, Herr Falk!

Ich trank einen Kaffee und verschlang ruhelos ein Stück Kuchen. Ging am Weg zur Klinik in die neben dem Hotel stehende "Sebastiankirche", in der Bruno und ich so oft ein Stoßgebet verrichtet hatten, ich betete zu Gott, er möge Bruno an Leib und Seele helfen. Über mir sah ich ein Bild - eine Art Apotheose - wahrscheinlich hatte ich diese irgendwo in der Malerei gesehen: ein offener Himmel, rechts und links bunte Heilige, Jubel. Nach dem Gebet ging ich noch ins Reformhaus, mir Wasser zu holen. Am Weg dahin schlugen die Kirchenglocken drei. In der Klinik angekommen, fuhr ich mit dem Lift in den 2. Stock - ich fühlte mich gedrängt. Da werkte der Hausmeister an irgendwelchen Apperaturen herum, ich sagte zu ihm: "Bitte können Sie uns einen Luftbefeuchter ins Zimmer fahren." Er machte sich gleich erbötig und folgte mir. Ich öffnete die Zimmertür, drehte mich um zum Hausmeister und sagte: "Aber leise, er schläft." Und gehe weiter ins Zimmer - sehe Bruno - den Mund geöffnet - wie ich ihn verlassen hatte - aber nicht mehr atmend. Wenn ich das jetzt schreibe, muß ich daran denken, wie er weinte, als er in der Tretten in Katzelsdorf den erlegten Hasen hängen sah, wie er mir auf dem Radweg den toten Dachs gezeigt hatte, den er vorher im Dickicht entdeckt hatte, wie er den Vogel im Hochstand befreit hatte und den anderen tot daneben fand. BRUNO WAR NICHT MEHR. Er lag vor mir und ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Ein Schmerz unsagbar. Ich rufe die Schwester. Zuerst kam die dunkelhaarige, ruhige Schwester, dann Traudi. Sie sagt, daß sie vor 5 Minuten mit Gerda, einer Patientin bei Bruno im Zimmer war und er noch lebte. Seine Hände waren auch ganz warm, nur die Oberlippe hatte viel Spannung und sah unbelebt aus. Alles unabänderlich. Keine Hilfe. Dr. Lob kam, um den Exitus festzustellen. Ich drehte ihm am Fenster stehend den Rücken zu. Er war es, der am Freitag Bruno alle Hoffnung genommen hatte. Dann kamen die Schwestern. Ich mußte das Zimmer verlassen. Sie betteten Bruno um, zogen ihm ein frisches Nachthemd an, legten seine Hände zum Gebet verschränkt auf die Bettdecke gelbe Nelken haltend. Der Kopf wurde so gebettet, daß die Augen, der Mund geschlossen waren. Sein Gesichtsausdruck war sehr friedlich. Er war edel und schön. Er strahlte Ruhe und Friede aus, wie er es im Leben selten tat.

Als die Schwestern gegangen waren, setzte ich mich zu ihm, redete mit ihm. Zuerst faßte ich noch unter die Decke, um nochmals seinen warmen Körper zu fühlen, doch dann zog ich meine Hände zurück. Ich wollte das Leben, das entweichen wollte nicht länger zurückhalten. Er sollte frei werden von den Schmerzen des Diesseits. Ich betete für ihn. Dann schnitt ich ihm einige Haare von seinem Halsbarthaar ab, das in den letzten Wochen viel länger als gewöhnlich war, liebe weiße, weiche Barthaare und wickelte sie in Zellophanpapier. Ich saß bei Bruno. Da kam die Schwester und sagte mir, daß Bruno nachts um 23.00 Uhr ins Totenhaus gebracht wird und daß in einer halben Stunde der Mann vom Bestattungsinstitut kommt, um mit mir alles zu besprechen. Dann kamen Gerda, Frau Dr. Douwes, Herr Cremer, um sich von Bruno zu verabschieden. Frau Dr. Douwes weinte, als sie tot vor sich sah. Herr Cremer brachte eine schöne Blume.

Der Mann vom Bestattunsinstitut war gekommen. Wir besprachen, wie alles ablaufen soll: eine Überführung in verzinntem Sarg nach Wien. Dies sollte am Donnerstag sein. Am Mittwoch die Sarglegung. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, wollte ich zu Bruno aufs Zimmer gehen, da sagte mir die Schwester, vor der Tür warte Besuch aus Wien. Gerharde war gekommen. Es war 16.30 Uhr. Wir umarmten uns und ich mußte ihr sagen: "Gerharde,Bruno ist nicht mehr. Er ist um 15.10 Uhr gestorben." Sie war nicht allzu erstaunt. Tränen traten ihr in die Augen. Wir gingen zu ihm aufs Zimmer. Sie küßte ihn. Dann drehte sie sich um und fragte etwas unsicher: "Das darf man doch?" Ich weiß nicht, was sie damit meinte. Ich selbst bin gar nicht auf die Idee gekommen, ihn zu küssen, gerade die Lippen waren schon so fremd. Dann beteten wir gemeinsam. Wir blieben lange bei ihm im Zimmer sitzen. Ich ließ dann Gerharde mit ihm für eine Stunde allein.

Ich ging ins Hotel, rief in Katzelsdorf an. Hajo war natürlich nicht mehr dort, denn er wollte den Nachtzug nach Bad Aibling nehmen. So rief ich in Wien an, sprach auf Band: "Hajo, Du brauchst nicht zu kommen, denn Bruno ist nicht mehr. Er ist um 15.10 Uhr gestorben." Ich rechnete damit, daß Hajo vor dem Wegfahren den Anrufbeantworter abhören würde. Dann rief ich Herrn Falk an und sagte ihm, daß Bruno gestorben ist.Ich dankte ihm für seine Hilfestellung in dieser schweren Zeit und sagte ihm, daß Bruno ihn geschätzt habe, worauf er mir antwortete: "Ich weiß gar nicht wieso, früher war das eigentlich nicht so." Ich sagte darauf: "Doch, er sagte immer, daß Sie auch ein Narr sind!" In Brunos Diktion war das "Narrsein" eine Anerkennung und ich hoffe, daß Falk es als solche verstanden hatte, andernfalls täte mir meine Offenheit leid.

Ich ging dann zu Bruno. Gerharde saß noch im schwach erleuchteten Zimmer: Kerze neben Brunos Bett und Adventtischchen mit Kerze und Lichtern. Bruno lag in mönchischer Ruhe und Schönheit. Die Nase war größer als sonst. Er sah sehr edel aus. Der Kopf war leicht zur rechten Seite geneigt. Sein Gesichtsausdruck war sehr friedlich: "Endlich alles hinter mir - endlich Ruhe." Nachträglich assoziiere ich zu diesem mir unvergeßlichen Anblick sein Gedicht, das er mit 21 Jahren geschrieben hatte:

Bruno Seiser 1959

und du bist erfüllung

man malt dich immer dunkel, finster, wie regenwolken                                                                 warum malt man dich nicht licht, hell, wie frühlingswiesen                                       

man hört, du reißt uns aus frohsinn, lebensfreude                                                                           warum hört man nicht, du erlöst uns von leiden, von hast                                                              

man sagt, du bist das ende                                                                                                             warum sagt man nicht, du bist der anfang.

Später erst durch die Zeit als Polizeireporter und Journalist kam Brunos "harte" Zeit und dann ganz andere Gedichte über den Tod.

Gerharde und ich gingen ins Hotel eine Kleinigkeit essen und wir sprachen über Bruno.

Bruno war zu tiefst empfindsam und hatte sich die Härte zum Überleben nur als Schale zugelegt, die nun durch Vaters Hinfälligkeit, die Bruno ab 1993 nicht mehr übersehen konnte, geborsten war und ihn auf einmal total schutzlos gegen die Härten des Lebens dastehen ließ. Nach einem Zusammensein mit dem Vater 1994 war er tagelang nicht in der Lage morgens aufzustehen, er der sonst täglich ab 5.30 Uhr auf den Beinen war, sein Gymnastikprogramm absolvierte, bei egal welchem Wetter durch den Wienerwald stapfte. Jetzt muß er sich zwingen, auf die Straße zu gehen. Er konnte nicht mehr allein in seinem Refugium in der Hameaustraße bleiben, das er bis dahin als Abschirmung gegen die Außenwelt benutzt hatte. Er wohnte jetzt bei uns in  der Lerchengasse und des öfteren kam er nachts in mein Zimmer, um nachzusehen, ob ich ihn in der Wohnung nicht allein gelassen habe.

Und immer wieder sagte er: "Bitte, laß mich nicht allein!" Er, der bis zu diesem Zeitpunkt so viel Wert darauf gelegt hatte, unbedingt allein und unabhängig zu sein "Alleinkämpfer", wie er sich immer nannte. Vaters Dahinsiechen in seinem 93. Lebensjahr war meines Erachtens der Auslöser für Brunos Ende. Die sonst regelmäßigen Besuche bei Vater sagte er nun immer häufiger ab. Er konnte den Anblick seines leidenden Vaters einfach nicht ertragen, umso weniger, da dieser ihn immer zitternd an der Hand faßte, wie einen rettenden Anker, von ihm Hilfe erwartend. Einmal sagte mir Bruno: "als wenn er mich mitnehmen möchte." So hatten in den letzten Jahren Vaters Briefe und Feiertagswünsche an Bruno mit dem Satz: "Je älter ich werde, desto mehr wachsen wir zusammen" die Symbiose gefestigt. Bruno war zutiefst ein unendlich treuer Gefährte. In der "ersten" Krebszeit ( 1976 ) konkurrierten Vater und Sohn, wer der "Erste" sein werde, der hinübergeht. ( Im "Wendepunkt" nachzulesen ). Jetzt 1994 bei einem Mittagessen, an dem Bruno wieder einmal "nicht teilnehmen konnte" und mich stellvertretend hinschickte ( Vater hatte inzwischen die häufigen Absagen von Bruno richtig zu interpretieren gewußt ), sagte dieser mir: "Ich fürchte, Bruno ist allein nicht existenzfähig." Worauf ich ihm auf das heftigste widersprach. Schließlich hatte sich Bruno seit seinem 18. Lebensjahr selbständig und sehr gut durchs Leben gebracht. Trotzdem wußte der Vater, wovon er sprach. Sein Zweifel in Bruno, vielleicht von klein auf, hatte Bruno in Abhängigkeit, weil Schutz gehalten. Ein Schutz, der ihn zu unerhörten Risiken befähigte, zumal Vaters Stehsatz  "Ich würde meinen Sohn auch vom Galgen abschneiden" ihn herausreizte. Als nun dieser "sein guter Gesell", wie Vater sich gern bezeichnete, hinfällig wurde, brach über Bruno alles zusammen. Bezeichnenderweise vermerkte er in seinem Kalender, in dem er auch in der Spitalszeit seine Aufzeichnungen machte, weder Vaters Tod noch dessen Begräbnis. So vermied er es auch nach seiner Rückkehr aus Bad Aibling - "gesundet", wie wir alle der Meinung waren - er gab da seine zwei "Revival-Feste " - Vaters Grab zu besuchen. Er hatte es nie besucht, sowenig er in all den Jahren allein Mutters Grab besuchte. Ich fragte ihn in den Monaten nach Vaters Tod, ob er denn unter Mutters Scheiden auch so gelitten hätte, da sagte er mir: "Das war ganz anders, denn Mutter war all die Jahre krank, sehr depressiv, für sie war der Tod eine Erlösung." Doch war es sicher kein Zufall, daß Brunos Melanom ( 1996 ) 2 Jahre nach Mutters Tod manifest wurde. Bruno war als Einzelkind seinen eher alten Eltern sehr treu und verbunden. Er schuftete seit seinem 19. Lebensjahr, um ihnen zu zeigen, wie gut er ist im Ringen um ihre Anerkennung.

Ein wenig "Emanzipation" leistete er sich in der ersten Krebszeit ( nach 1977 ). Die Prügel, die er sich da in den Weg legte, waren in den nächsten Jahren nicht zu übersehen. So balancierte er von da an zwischen "Existenzerhaltung" und "Existenzverweigerung". Dies wurde zuletzt ein unaufhörlicher, kräfteverzehrender Akt. Andererseits hatte er fixe Standpunkte, die aufzugeben er nicht gewillt war. Dazu gehörte eine Abneigung gegen die neuen Technologien, so hämmerte er nach wie vor seine Geschichten in die Reiseschreibmaschine, wo sie doch schon längst auf Disketten abgegeben werden sollten. Im Sexualleben, das für ihn über Jahre ein Ventil aus Ruhelosigkeit und Leistungsdruck bot, wurde es durch die Aidsproblematik immer schwieriger, zumal er eine Abneigung gegen Kondome hatte. Er war in allem ganz der Natur zugetan: Barfußgehen, Schwimmen, Sonnenbaden. Er liebte den Wald, das Wasser. War am liebsten unbekleidet. Dagegen standen die Realitäten:  Heuschnupfen seit dem 9. Lebensjahr - Malignes Melanom im 38. Lebensjahr. Er sollte die Sonne meiden. Tat er es? Er hatte eine Aversion gegen die Weiße der Haut. Er selbst war von heller Komplexion. Jedoch war er immer eher gebräunt. Auf Fotos sehe ich ihn, kahlgeschoren wie er war durch einen Autounfall in jungen Jahren, in der Sonne ohne Kopfbedeckung und trotz Hauttransplantation mit kurzen Hemdärmeln. Wie oft er sich in den letzten Jahren nackt der Sonne ausgesetzt hat, weiß ich nicht, jedenfalls war ich von Sinnen, als er 1994 mit krebsroten Unterleib von einem Badeausflug zurückkam. Er behauptete, den ganzen Tag nur im Schatten gelegen zu sein. Wie und wann seine Metastasen den Anfang genommen haben, wir werden es nicht ergründen. Eines ist sicher: die "Entwarnung", die die Ärzte 1987 gegeben haben, war falsch. Ein Fakt, der Brunos Leben nach 1987 erleichterte aber vielleicht auch verkürzte.

Wir gingen wieder zu ihm.

Nun lag er da - tot - und alles ist Geschichte - unwiederbringlich. Über all mein Denken breitet sich die Ohnmacht vor dem Tod. Diese deckt für immer die Lebensfreude zu, breitet sich über die Jahreszeiten, selbst den Sonnenschein und vergiftet von vornherein jeden Genuß.

Um 23.00 Uhr kamen die Leichenträger. Gerharde ging ins Hotel. Ich begleitete Bruno hinauf zum Friedhof ins Totenhaus. Er liegt auf einer Bahre, ist in ein Gummituch gewickelt. So hatte er eines Morgens bei seinem "Tibetertraining" mit Schrecken einen Toten abtransportiert werden gesehen. Normalerweise wird dies aber nachts vorgenommen, damit die anderen Patienten dies nicht mitbekommen. Im Totenhaus stellen die Leichenträger die Bahre mit Bruno in die Kühlung neben einen anderen Toten im Sarg. Mir trat eine Banalität des Lebens und Totseins vor Augen, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Ich ging dann mit den Leichenträgern, sie fuhren mich zum Hotel.

Wie ausgehöhlt und verlassen betrat ich dort das Zimmer. Hier hatte Bruno die letzten Wochen verbracht. Ich sah ihn vor mir, wie er sich mittels der nahen Badezimmertürklinke aus dem Bett hochhievte, sah ihn von hinten, wie er mit den dünnen Beinen an der Klomuschel stand zum vielleicht schon schmerzhaften Urinieren - er jammerte nie! Im schmalen Bett liegend fühlte ich seinen in Verbände gewickelten, dünnen, zuckenden Arm um mich gelegt, wie er es tat, wenn er mich nachts gerufen hatte, damit er in seiner Angst nicht allein war. Wenn er sich wieder gefaßt hatte, sagte er mir: "Jetzt geh', damit Du Dich ausruhen kannst!" Was er in all diesen Nächten seelisch und körperlich durchlitt, darüber hat er nie gesprochen. Oft fand ich ihn, die Hände auf der Brust zum Gebet verschränkt. Dieses war in letzter Zeit unsere einzige Zuflucht, Menschen waren sie schon lange nicht mehr. Die Anrufe sind seltener geworden. Besucher gab es fast keine mehr. Selbst Gerda, eine Mitpatientin, bei Brunos Erstaufenthalt hatten sie sich angefreundet, ließ sich selten sehen. Von dem Ehepaar Douwes gar nicht zu sprechen. Wir waren auf uns zurückgeworfen und Bruno letztlich auf sich selbst. Ich tat was ich konnte, doch ich war machtlos gegen Brunos Verfall. Wie meines Lebens beraubt schlief ich ein.

Am Morgen klopfte es an meine Tür. Hajo war gekommen. Ohne den Anrufbeantworter abgehört zu haben, fuhr er mit dem Nachtzug los. Ich sagte ihm, daß Bruno gestorben ist. Er war sehr betroffen. Wir gingen zum Frühstück. Dann kam dazu Gerharde. Nach dem Frühstück fuhr Gerharde gleich nach Wien zurück. Ich ging in die Klinik, um wie abgemacht, das Zimmer zu räumen.

Gegen 14.00 Uhr rief das Bestattungsinstitut an, daß sie in einer halben Stunde Bruno einsargen werden. Der Sarg mußte zur Überführung verschlossen werden. So gingen Hajo und ich hinauf zum Friedhof, um Bruno seine letzte Liegestatt zu bereiten. Vorher pflückte ich Efeu und holte in der Kirche Weihwasser. Als wir ankamen, legten die Bestatter Bruno in den Sarg. Ich legte ihm einen Kranz von Efeu um den Kopf. Hajo legte seine Hand auf Brunos Hand und sagte: "Na, Du!" es war herzzerreißender als alle Worte. Ich machte ihm mit Weihwasser ein Kreuzzeichen. Streichelte ihn noch einmal - zum allerletzten Mal. Dann wurde der Sarg geschlossen. Wir gingen.

Am Donnerstag, den 21. Dezember um 7.00 Uhr morgens stand der Leichenwagen mit dem Sarg vor dem Hotel. Der Fahrer kam, wie ich es ihm vorgeschlagen hatte zum Frühstück, bevor wir nach Wien losfuhren. Beim letzten Frühstück im Hotel, wo wir so viele Wochen in diesem Jahr verbracht haben, sitzt auf Brunos Platz mir gegenüber der Fahrer, der ihn im Sarg nach Wien bringen wird. Es ist so irreal. Nach dem Frühstück fahren wir los ohne Unterbrechung zum Neustifter Friedhof. Der Sarg wird dort zu anderen Särgen gestellt, bleibt über Weihnachten dort abgestellt, denn das Begräbnis kann wegen der Feiertage erst am 29. Dezember stattfinden.

Bruno Seiser 1959

GRABLEGUNG

Uneben und eben, gleichmäßig bedeckt von weißer schicht                                                           und feld und wiese erstickt, versunken, begraben                                                                           einsam nur ein unförmiger tritt sie bricht                                                                                       wo wir das letzte gebet zu tale tragen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                                                                                       

 

 

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